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Quelle: Trockij Werke, Linksruck
Original: -
Geschrieben: 1928
 

Lev Trockij

Die permanente Revolution1) 


Inhalt:



Vorwort zur deutschen Ausgabe

Heute, während dieses Buch für den Druck in deutscher Sprache vorbereitet wird, lauscht der ganze denkende Teil der internationalen Arbeiterklasse, und in gewissem Sinne die gesamte "zivilisierte" Menschheit mit besonderer Spannung dem Widerhall jener wirtschaftlichen Umwälzung, die sich auf dem größten Teil des früheren Zarenreiches vollzieht. Die höchste Aufmerksamkeit erregt dabei das Problem der Kollektivisierung der Bauernwirtschaften. Und dies mit Recht. Auf diesem Gebiet trägt der Bruch mit der Vergangenheit einen besonders ausgeprägten Charakter. Eine richtige Einschätzung der Kollektivisierung ist aber ohne eine allgemeine Konzeption der sozialistischen Revolution undenkbar. Und dabei können wir uns erneut, und zwar auf einer höheren Stufe, davon überzeugen, daß es auf dem theoretischen Gebiet des Marxismus für das praktische Handeln nichts Gleichgültiges gibt. Die entlegensten und, wie es scheinen könnte, ganz "abstrakten" Meinungsverschiedenheiten, wenn sie bis zu Ende durchdacht werden, müssen sich früher oder später in der Praxis äußern und diese läßt keinen einzigen theoretischen Fehler ungestraft.

Die Kollektivisierung der Bauernwirtschaften ist selbstverständlich der notwendigste und fundamentalste Teil der sozialistischen Umwandlung der Gesellschaft. Jedoch werden Umfang und Tempo der Kollektivisierung nicht allein von dem Willen der Regierung bestimmt, sondern letzten Endes von den ökonomischen Faktoren: von der Höhe des wirtschaftlichen Niveaus des Landes, von dem Verhältnis zwischen Industrie und Landwirtschaft, also folglich auch von den technischen Hilfsquellen der Landwirtschaft selbst.

Die Industrialisierung ist der treibende Faktor der gesamten neueren Kultur und damit die einzig denkbare Grundlage des Sozialismus. Bei den Verhältnissen in der Sowjetunion bedeutet die Industrialisierung vor allem die Festigung der Basis des Proletariats als der herrschenden Klasse. Gleichzeitig schafft sie die materiellen und technischen Voraussetzungen für die Kollektivisierung der Landwirtschaft. Das Tempo dieser beiden Prozesse steht in einer inneren Abhängigkeit zueinander. Das Proletariat ist an dem höchsten Tempo dieser Prozesse insofern interessiert, als dadurch die neu aufzubauende Gesellschaft gegen die äußeren Gefahren am besten geschützt ist und gleichzeitig eine Quelle für die systematische Steigerung des materiellen Niveaus der werktätigen Massen geschaffen wird.

Das zu erreichende Tempo findet aber seine Einschränkung in der materiellen und kulturellen Gesamtlage des Landes, in den gegenseitigen Beziehungen zwischen Stadt und Land und in den dringendsten Bedürfnissen der Massen, die nur bis zu einem bestimmten Grade ihren heutigen Tag zugunsten des morgigen zu opfern imstande sind. Die besten und vorteilhaftesten Tempos sind jene, die nicht nur im gegenwärtigen Augenblick die schnellste Entwicklung der Industrie und der Kollektivisierung ergeben, sondern die auch den nötigen Widerstand des gesellschaftlichen Regimes sichern, d.h. vor allem die Festigung des Bündnisses zwischen den Arbeitern und den Bauern, das allein die Möglichkeit der weiteren Erfolge vorbereitet.

Von diesem Standpunkt aus gesehen wird jenes historische Gesamtkriterium von entscheidender Bedeutung, das der Partei und Staatsleitung für die Entwicklung der Wirtschaft als Planwirtschaft richtunggebend ist. Dabei sind zwei prinzipielle Variationen möglich: a) der oben charakterisierte Kurs auf die ökonomische Festigung der Diktatur des Proletariats in einem Lande bis zu den weiteren Siegen der internationalen proletarischen Revolution (Standpunkt der linken Opposition). b) der Kurs auf die Errichtung einer isolierten nationalen sozialistischen Gesellschaft, und zwar in »kürzester historischer Frist« (der heutige offizielle Standpunkt).

Das sind zwei verschiedene und letzten Endes einander entgegengesetzte theoretische Konzeptionen des Sozialismus. Aus ihnen folgen grundverschiedene Strategien und grundverschiedene Taktiken.

Wir können im Rahmen dieses Vorwortes die Frage des Aufbaues des Sozialismus in einem Lande nicht erneut untersuchen. Diesem Thema sind andere Arbeiten gewidmet, insbesondere die "Kritik des Programms der Komintern". Hier wollen wir uns auf die grundlegenden Elemente dieser Frage beschränken. Wir wollen zuallererst daran erinnern, daß die Theorie des Sozialismus in einem Lande zum ersten Male im Herbst 1924 von Stalin formuliert wurde, in völligem Gegensatz nicht nur zu den Traditionen des Marxismus und der Schule Lenins, sondern auch zu dem, was Stalin selbst noch im Frühjahr des gleichen Jahres 1924 geschrieben hatte. Die Tiefe der Abkehr der Stalinschen "Schule" vom Marxismus in Fragen des sozialistischen Aufbaues ist in prinzipieller Hinsicht nicht weniger bedeutend und radikal als zum Beispiel der Bruch der deutschen Sozialdemokratie mit dem Marxismus in Fragen des Krieges und des Patriotismus im August 1914, d.h. genau zehn Jahre vor der Stalinschen Wendung. Diese Gegenüberstellung hat keinen zufälligen Charakter. Der "Irrtum" Stalins und der "Irrtum" der deutschen Sozialdemokratie bedeuten: Nationalsozialismus.

Der Marxismus geht von der Weltwirtschaft aus nicht als einer Summe nationaler Teile, sondern als einer gewaltigen, selbständigen Realität, die durch internationale Arbeitsteilung und den Weltmarkt geschaffen wurde und in der gegenwärtigen Epoche über die nationalen Märkte herrscht. Die Produktivkräfte der kapitalistischen Gesellschaft sind längst über die nationalen Grenzen hinausgewachsen. Der imperialistische Krieg war eine der Äußerungen dieser Tatsache. Die sozialistische Gesellschaft muß in produktionstechnischer Hinsicht im Vergleich zu der kapitalistischen Gesellschaft ein höheres Stadium darstellen. Sich das Ziel zu stecken, eine national isolierte sozialistische Gesellschaft aufzubauen, bedeutet, trotz aller vorübergehenden Erfolge, die Produktivkräfte, sogar im Vergleich zum Kapitalismus, zurückzerren zu wollen. Der Versuch, unabhängig von den geographischen, kulturellen und historischen Bedingungen der Entwicklung des Landes, das einen Teil der Weltgesamtheit darstellt, eine in sich selbst abgeschlossene Proportionalität aller Wirtschaftszweige in nationalem Rahmen zu verwirklichen, bedeutet, einer reaktionären Utopie nachzujagen. Wenn die Verkünder und Anhänger dieser Theorie trotzdem an dem internationalen revolutionären Kampfe teilnehmen (mit welchem Erfolg ist eine andere Frage), so deshalb, weil sie als hoffnungslose Eklektiker den abstrakten Internationalismus mit dem reaktionären utopischen Nationalsozialismus mechanisch vermengen. Den vollkommensten Ausdruck dieser Eklektik bietet das vom VI. Kongreß angenommene Programm der "Kommunistischen Internationale".

Um in aller Anschaulichkeit einen der theoretischen Hauptfehler zu zeigen, der der nationalsozialistischen Konzeption zugrunde liegt, können wir nichts Besseres tun, als die vor kurzem veröffentlichte Rede Stalins zu zitieren, die den inneren Fragen des amerikanischen Kommunismus gewidmet ist.1 »Es wäre falsch«, sagt Stalin, sich gegen eine kommunistische Fraktion wendend, »die spezifischen Besonderheiten des amerikanischen Kapitalismus unberücksichtigt zu lassen. Die Kommunistische Partei muß sie bei ihrer Arbeit in Betracht ziehen. Es wäre aber noch verfehlter, wollte man die Tätigkeit der Kommunistischen Partei auf diesen spezifischen Eigenschaften aufbauen, denn die Basis, auf die sich die Tätigkeit einer jeden kommunistischen Partei, darunter auch der amerikanischen, stützen muß, bilden die allgemeinen Eigenschaften des Kapitalismus, die im wesentlichen für alle Länder gleich sind, nicht aber die spezifischen Eigenschaften eines Landes. Darauf eben beruht der Internationalismus der kommunistischen Parteien. Die spezifischen Eigenschaften sind nur Ergänzungen zu den allgemeinen Eigenschaften.« ("Bolschewik", Nr. 1, 1930, unterstrichen von mir.)

Diese Zeilen lassen an Klarheit nichts zu wünschen übrig. Unter dem Schein einer ökonomischen Begründung des Internationalismus gibt Stalin in Wirklichkeit eine Begründung des Nationalsozialismus. Es ist falsch, daß die Weltwirtschaft einfach die Summe gleichartiger nationaler Teile darstelle. Es ist falsch, daß die spezifischen Eigenschaften »nur Ergänzungen zu den allgemeinen Eigenschaften« seien, etwa wie eine Warze auf dem Gesicht. In Wirklichkeit bilden die nationalen Eigenschaften eine eigenartige Vermengung der wesentlichen Triebkräfte des Weltprozesses. Diese Eigenarten können während einer Reihe von Jahren für die revolutionäre Strategie von entscheidender Bedeutung sein. Es genügt an die Tatsache zu erinnern, daß das Proletariat eines zurückgebliebenen Landes viele Jahre vor dem Proletariat der fortgeschrittenen Länder an die Macht gelangt ist. Schon diese historische Lehre allein zeigt, daß es, entgegen der Behauptung Stalins, ganz falsch ist, die Tätigkeit der kommunistischen Parteien auf einige »allgemeine Eigenschaften«, d.h. auf einen abstrakten Typus des nationalen Kapitalismus zu stützen. Vom Grunde aus falsch ist die Behauptung, es beruhe darauf der »Internationalismus der kommunistischen Parteien«. In Wirklichkeit beruht er auf der Unhaltbarkeit des nationalen Staates, der sich längst überlebt hat und zum Hemmnis für die Entwicklung der Produktivkräfte geworden ist. Der nationale Kapitalismus kann nicht anders verstanden, geschweige anders umgestaltet werden, denn als ein Teil der Weltwirtschaft.

Die ökonomische Eigenart der verschiedenen Länder hat keinesfalls einen untergeordneten Charakter: man braucht nur England und Indien, die Vereinigten Staaten und Brasilien zu vergleichen. Aber die spezifischen Eigenarten der Nationalwirtschaft, so groß diese auch sein mögen, gehen, und zwar in wachsendem Maße, als Bestandteile in jene höhere Realität ein, die sich Weltwirtschaft nennt, und auf der allein letzten Endes der Internationalismus der kommunistischen Parteien beruht.

Die Stalinsche Charakteristik der nationalen Eigenart, als einer einfachen »Ergänzung« zu dem allgemeinen Typus, steht in schreiendem und doch nicht zufälligem Widerspruch zu dem Stalinschen Verständnis (d.h. Unverständnis) für das Gesetz der ungleichmäßigen Entwicklung des Kapitalismus. Bekanntlich ist dieses Gesetz von Stalin als das grundlegendste, wichtigste, universellste proklamiert worden. Mit Hilfe des Gesetzes von der ungleichmäßigen Entwicklung, das er in eine Abstraktion verwandelt hat, versucht Stalin, alle Rätsel des Seins zu lösen. Erstaunlich dabei ist, wie er es gar nicht bemerkt, daß gerade die nationale Eigenart das allgemeinste Produkt der Ungleichmäßigkeit der historischen Entwicklung, ja sozusagen ihr Endergebnis ist. Man muß diese Ungleichmäßigkeit nur richtig verstehen, sie in ihrem ganzen Umfange betrachten und auf die vorkapitalistische Vergangenheit ausdehnen. Die schnellere oder langsamere Entwicklung der Produktivkräfte; der breit entfaltete oder der zusammengedrängte Charakter ganzer historischer Epochen, zum Beispiel Mittelalter, Zunftordnung, aufgeklärter Absolutismus, Parlamentarismus; die ungleichmäßige Entwicklung verschiedener Wirtschaftszweige, verschiedener Klassen, verschiedener sozialer Institutionen, verschiedener Gebiete der Kultur - das alles bildet die Basis der nationalen »Eigenarten«. Die Eigenart des national-sozialen Typus ist die Kristallisierung der Ungleichmäßigkeiten seiner Bildung.

Die grandioseste aller Äußerungen der Ungleichmäßigkeit des historischen Prozesses ist die Verwirklichung der Oktoberrevolution. Die Theorie der permanenten Revolution, die die Prognose der Oktoberumwälzung gab, stützte sich allein damit auf das Gesetz der Ungleichmäßigkeit der historischen Entwicklung, aber nicht in dessen abstrakter Form, sondern in seiner materiellen Kristallisierung in der sozialen und politischen Eigenart Rußlands.

Stalin hat das Gesetz von der Ungleichmäßigkeit der Entwicklung herangezogen, nicht um rechtzeitig die Machteroberung durch das Proletariat in einem zurückgebliebenen Lande vorauszusagen, sondern um später, post factum, im Jahre 1924, dem bereits siegreichen Proletariat die Aufgabe des Aufbaues einer nationalen sozialistischen Gesellschaft aufzudrängen. Aber gerade damit hat das Gesetz von der ungleichmäßigen Entwicklung nichts zu tun, denn es ersetzt nicht die Gesetze der Weltwirtschaft, noch schafft es sie ab, sondern, im Gegenteil, es unterwirft sich ihnen.

Indem er das Gesetz von der ungleichmäßigen Entwicklung zum Fetisch erhebt, proklamiert Stalin es als ausreichende Begründung des Nationalsozialismus, aber nicht des typischen, für alle Länder gemeinsamen, sondern des eigenartigen, messianischen, rein russischen. Eine selbständige sozialistische Gesellschaft aufzubauen, ist nach Stalin nur in Rußland möglich. Damit allein erhebt er die nationalen Besonderheiten Rußlands nicht nur über die »allgemeinen Eigenschaften« jeder kapitalistischen Nation, sondern auch über die Weltwirtschaft in ihrer Gesamtheit. Hier beginnt eben der verhängnisvolle Riß in der ganzen Stalinschen Konzeption. Die Eigenart der USSR sei so gewaltig, daß sie innerhalb ihrer Grenzen den Aufbau eines eigenen Sozialismus zulasse, unabhängig davon, was mit der übrigen Menschheit geschehe. Was die anderen Länder betrifft, die vom Stempel des Messianismus nicht gezeichnet sind, so stellt deren Eigenart nur eine »Ergänzung« zu den allgemeinen Eigenschaften dar, nur eine Warze auf dem Gesicht. »Es wäre falsch«, belehrt uns Stalin, »wollte man die Tätigkeit der kommunistischen Parteien auf diese spezifischen Eigenschaften aufbauen.« Diese Moral bezieht sich auf die amerikanische Kommunistische Partei, auf die englische, südafrikanische oder serbische, aber ... nicht auf die russische, deren Tätigkeit sich nicht auf die allgemeinen Eigenschaften, sondern auf die »Eigenarten« stützt. Daraus ergibt sich die durch und durch zwiespältige Strategie der Komintern: während die USSR die »Klassen liquidiert« und den Sozialismus aufbaut, wird das Proletariat aller übrigen Länder, ganz unabhängig von den realen nationalen Bedingungen, zu kalendermäßig festgelegten, gleichförmigen Handlungen verpflichtet (1. August, 6. März usw.). Der messianische Nationalismus wird durch einen bürokratisch-abstrakten Internationalismus vervollständigt. Diese Zwiespältigkeit geht durch das ganze Programm der Komintern und raubt ihm jede prinzipielle Bedeutung.

Nimmt man England und Indien als die Gegenpole kapitalistischer Typen, so muß man feststellen, daß der Internationalismus des britischen und des indischen Proletariats sich keinesfalls auf die Gleichartigkeit der Bedingungen, Aufgaben und Methoden stützt, sondern auf ihre untrennbare gegenseitige Abhängigkeit. Erfolge der Freiheitsbewegung in Indien setzen die revolutionäre Bewegung in England voraus und umgekehrt. Weder in Indien noch in England ist die Errichtung einer selbständigen sozialistischen Gesellschaft möglich. Beide werden als Teile in eine höhere Gesamtheit eingehen müssen. Darin und nur darin besteht das unerschütterliche Fundament des marxistischen Internationalismus.

Ganz vor kurzem, am 8. März 1930, brachte die "Prawda" erneut eine Darstellung der unglückseligen Theorie Stalins in dem Sinne, daß der »Sozialismus als eine sozialökonomische Formation«, d.h. als eine bestimmte Form der Produktionsverhältnisse sich »in nationalem Maßstabe der USSR« absolut verwirklichen lasse. Anders sei es mit dem »endgültigen Siege des Sozialismus, im Sinne einer Garantie gegen Interventionen der kapitalistischen Umkreisung« bestellt - ein solcher endgültiger Sieg des Sozialismus »erfordert tatsächlich den Triumph der proletarischen Revolution in einigen fortgeschrittenen Ländern«. Welch tiefer Niedergang des theoretischen Denkens war erforderlich, um auf den Seiten des Zentralorgans der Partei Lenins diese klägliche Scholastik mit dem Schein der Gelehrsamkeit zu verzapfen! Läßt man einen Augenblick die Möglichkeit der Verwirklichung des Sozialismus als vollendetes Gesellschaftssystem im isolierten Rahmen der USSR zu, dann wäre das eben der »endgültige Sieg«, denn von welcher Intervention könnte dann überhaupt noch die Rede sein? Die sozialistische Gesellschaftsordnung setzt eine hohe Technik, eine hohe Kultur und eine hohe Solidarität der Bevölkerung voraus. Da es, wie man annehmen muß, zur Zeit der endgültigen Errichtung des Sozialismus in der USSR eine Bevölkerung von 200 bis 250 Millionen Menschen geben wird, so fragt es sich: von welcher Intervention könnte da überhaupt noch die Rede sein? Welcher kapitalistische Staat oder welche Koalition würde es unter solchen Umständen wagen, an eine Intervention zu denken? Die einzig denkbare Intervention könnte nur von der USSR ausgehen. Läge eine Notwendigkeit vor? Wohl kaum. Das Beispiel eines zurückgebliebenen Landes, das aus eigenen Kräften mittels einiger »Fünfjahrespläne« eine mächtige sozialistische Gesellschaft errichtete, würde für den Weltkapitalismus den Todesstoß bedeuten und die Kosten der proletarischen Weltrevolution auf ein Minimum, wenn nicht auf Null herabsetzen. Und deshalb führt die ganze Stalinsche Konzeption eigentlich zur Liquidierung der kommunistischen Internationale. Welche historische Bedeutung könnte sie in der Tat noch haben, wenn das Schicksal des Sozialismus in letzter Instanz vom Gosplan2 der USSR entschieden wird? Die Aufgabe der Komintem wäre in diesem Falle, gemeinsam mit der berüchtigten "Gesellschaft der Freunde der Sowjetunion" den Aufbau des Sozialismus gegen eine Intervention zu schützen, also im wesentlichen hätte sie die Rolle einer Grenzwache zu spielen.

Der bereits oben erwähnte Aufsatz bekräftigt die Richtigkeit der Stalinschen Konzeption durch die allerneuesten ökonomischen Argumente: »...gerade jetzt«, sagte die "Prawda", »wo die Produktionsverhältnisse auf sozialistischer Basis außer in die Industrie auch immer mehr in die Landwirtschaft eindringen, durch das Wachsen der Sowchosen, durch die quantitativ und qualitativ gigantisch wachsende Kollektivisierungsbewegung und durch die Liquidierung des Kulakentums als Klasse auf der Grundlage der durchgehenden Kollektivisierung, wird der tägliche Bankrott der trotzkistisch-sinowjewschen Niederlagen-Theorie besonders klar, die ihrem Kern nach die "menschewistische Ablehnung der Rechtmäßigkeit der Oktoberrevolution" (Stalin) bedeutet« ("Prawda" vom 8. März 1930).

Diese Zeilen sind wirklich bemerkenswert, und zwar nicht allein ihres ungezwungenen Tones wegen, der die völlige Gedankenverwirrung verschleiert. Gemeinsam mit Stalin beschuldigt der Autor die »trotzkistische« Konzeption der »Ablehnung der Rechtmäßigkeit der Oktoberrevolution«. Aber gerade auf Grund seiner Konzeption, d.h. der Theorie der permanenten Revolution, hat der Autor dieser Zeilen die Unvermeidlichkeit der Oktoberrevolution 13 Jahre vor ihrer Verwirklichung vorausgesagt. Und Stalin? Noch nach der Februarrevolution, d.h. 7 bis 8 Monate vor der Oktoberumwälzung, trat er als revolutionärer Vulgärdemokrat auf. Es war die Ankunft Lenins in Petrograd (3. April 1917) und Lenins erbarmungsloser Kampf gegen die von ihm damals verlachten, stolztuenden »alten Bolschewiki« erforderlich, damit Stalin vorsichtig und unauffällig von der demokratischen Position zur sozialistischen hinüberrutschte. Dieses innerliche »Hinauswachsen« Stalins, das übrigens niemals bis zu Ende ging, geschah jedenfalls nicht eher, als etwa zwölf Jahre nachdem die Rechtmäßigkeit der Eroberung der Macht durch das russische Proletariat vor dem Beginn der proletarischen Revolution im Westen nachgewiesen worden war.

Aber als wir die theoretische Prognose der Oktoberrevolution ausarbeiteten, meinten wir keinesfalls, daß das russische Proletariat durch die Eroberung der Staatsmacht das frühere zaristische Imperium aus dem Kreis der Weltwirtschaft ausschließen würde. Wir Marxisten kennen die Rolle und die Bedeutung der Staatsmacht. Sie ist keinesfalls ein passives Abbild der ökonomischen Prozesse, wie es die sozialdemokratischen Helfershelfer des bürgerlichen Staates fatalistisch schildern. Die Macht kann von gewaltiger, sowohl reaktionärer wie fortschrittlicher Bedeutung sein, je nachdem, welche Klasse die Macht innehat. Immerhin bleibt die Staatsmacht eine Waffe des Überbaus. Der Übergang der Macht aus den Händen des Zarismus und der Bourgeoisie in die Hände des Proletariats schafft weder die Prozesse noch die Gesetze der Weltwirtschaft ab. Es ist wahr, während einer gewissen Zeit nach der Oktoberrevolution waren die wirtschaftlichen Beziehungen zwischen der Sowjetunion und dem Weltmarkte schwächer geworden. Es wäre jedoch ein ungeheuerlicher Fehler, eine Erscheinung zu verallgemeinern, die nur eine kurze Etappe des dialektischen Prozesses darstellt. Die internationale Arbeitsteilung und der übernationale Charakter der gegenwärtigen Produktivkräfte behalten nicht nur ihre Bedeutung, sondern sie werden diese Bedeutung für die Sowjetunion mit deren ökonomischen Aufstieg verdoppeln und verzehnfachen.

Jedes zurückgebliebene Land, das sich dem Kapitalismus anschließt, macht verschiedene Stadien einer bald sinkenden, bald steigenden Abhängigkeit von den übrigen kapitalistischen Ländern durch, im ganzen aber führt die Tendenz der kapitalistischen Entwicklung in die Richtung der kolossalen Zunahme der Weltverbindungen, was sich in dem wachsenden Umfange des Außenhandels äußert, einschließlich des Kapitalhandels. Die Abhängigkeit Englands von Indien trägt natürlicherweise qualitativ einen anderen Charakter als die Abhängigkeit Indiens von England. Dieser Unterschied wird im wesentlichen durch den Unterschied des Entwicklungsgrades der Produktivkräfte, nicht aber durch den Grad ihrer wirtschaftlichen Selbstgenügsamkeit bestimmt. Indien ist Kolonie, England Metropole. Würde man jedoch heute über England die ökonomische Blockade verhängen, dann würde es eher zugrunde gehen als, unter einer gleichen Blockade, Indien. Das ist nebenbei gesagt die überzeugendste Illustration für die Realität der Weltwirtschaft.

Die kapitalistische Entwicklung - nicht im Sinne der abstrakten Formeln des zweiten Bandes des »Kapitals«, die ihre volle Bedeutung als eine Etappe der Analyse behalten, sondern im Sinne der historischen Wirklichkeit - vollzog sich durch die systematische Verbreiterung ihrer Basis, und konnte sich nicht anders vollziehen. Im Prozesse seiner Entwicklung, folglich im Kampfe mit seinen inneren Widersprüchen, wendet sich jeder nationale Kapitalismus in immer steigendem Maße an die Reserven des »Außenmarktes«, d.h. der Weltwirtschaft. Die unaufhaltsame Expansion, die aus den permanenten inneren Krisen des Kapitalismus erwächst, bildet eine fortschrittliche Kraft, bevor sie für den Kapitalismus tödlich wird.

Die Oktoberrevolution erbte von dem alten Rußland neben den inneren Widersprüchen des Kapitalismus die nicht weniger tiefen Widersprüche zwischen dem Kapitalismus in seiner Gesamtheit und den vorkapitalistischen Formen der Produktion. Diese Widersprüche hatten (und haben noch heute) einen realen Charakter, d.h. sie sind in dem materiellen Verhältnis zwischen Stadt und Land, in den bestimmten Proportionen oder Disproportionen der verschiedenen Zweige der Industrie und der Volkswirtschaft usw. enthalten. Einige Wurzeln dieser Widersprüche liegen unmittelbar in den geographischen und demographischen Bedingungen des Landes, d.h. sie werden von dem Überfluß oder dem Mangel der einen oder der anderen natürlichen Hilfsquelle, durch die historisch entstandene Verteilung der Volksmassen usw. genährt. Die Stärke der Sowjetwirtschaft liegt in der Nationalisierung der Produktionsmittel und in deren planmäßiger Ausnutzung. Die Schwäche der Sowjetwirtschaft dagegen besteht außer in der von der Vergangenheit vererbten Rückständigkeit, in ihrer heutigen, nachrevolutionären Isoliertheit, d.h. in der Unmöglichkeit, die Hilfsquellen der Weltwirtschaft, und zwar nicht nur auf sozialistische, sondern auch auf kapitalistische Art, sich nutzbar zu machen, d.h. in Form von internationalen Krediten und »Finanzierungen« überhaupt, die für zurückgebliebene Länder von entscheidender Bedeutung sind. Die Widersprüche zwischen der kapitalistischen und der vorkapitalistischen Vergangenheit verschwinden nicht nur nicht von selbst, sondern sie werden aus dem Dämmerzustand der Jahre des Verfalls und Niedergangs erweckt, verschärfen sich gleichzeitig mit dem Wachstum der Sowjetwirtschaft und fordern zu ihrer Überwindung oder auch nur Milderung auf Schritt und Tritt den Anschluß an die Hilfsquellen des Weltmarktes.

Um das zu begreifen, was gegenwärtig auf dem Riesenterritorium, das die Oktoberrevolution zu neuem Leben erweckt hat, vor sich geht, muß man sich klar vorstellen, daß sich zu den alten, heute durch die wirtschaftlichen Erfolge aufgelebten Widersprüchen, ein neuer gewaltiger Widerspruch hinzugesellt hat: zwischen dem konzentrierten Charakter der Sowjetindustrie, der ein ungeahntes Entwicklungstempo eröffnet, und der Isoliertheit der Sowjetwirtschaft, die die Möglichkeit einer normalen Ausnutzung der Reserven der Weltwirtschaft ausschließt. Drückend auf die alten Disharmonien führt dieser neue Widerspruch dazu, daß neben den ungeheuren Erfolgen qualvolle Schwierigkeiten erwachsen. Ihren unmittelbaren und stärksten Ausdruck, der von jedem Arbeiter und Bauern täglich empfunden wird, finden sie in der Tatsache, daß die Lage der werktätigen Massen mit dem allgemeinen Aufstieg der Wirtschaft sich nicht in gleichem Schritt bessert, sondern augenblicklich infolge der Verpflegungsschwierigkeiten sogar verschlechtert. Die scharfen Krisen der Sowjetwirtschaft mahnen: die Produktivkräfte, die der Kapitalismus geschaffen hat, sind dem nationalen Rahmen nicht angepaßt und können sozialistisch nur in internationalem Maßstabe in Übereinstimmung und Harmonie gebracht werden. Mit anderen Worten, die Krisen der Sowjetwirtschaft sind nicht Krankheitserscheinungen des Wachstums, sozusagen Kinderkrankheiten, sondern etwas unermeßlich Bedeutsameres: ernste Zurechtweisungen seitens des Weltmarktes, jenes Weltmarktes, »dem wir - nach dem Worte Lenins - unterworfen sind und mit dem wir verbunden sind und von dem wir uns nicht lostrennen können«. (Auf dem XI. Parteitag, 7. März 1922). Daraus ergibt sich aber keinesfalls die Schlußfolgerung von der historischen »Unrechtmäßigkeit« der Oktoberrevolution, eine Schlußfolgerung, die nach schändlichem Philistertum riecht. Die Eroberung der Macht durch das internationale Proletariat kann niemals ein einziger, gleichzeitiger Akt sein. Der politische Überbau - und die Revolution gehört zum "Überbau" - besitzt seine eigene Dialektik, die gebieterisch in den ökonomischen Weltprozeß eingreift, aber dessen tiefere Gesetzmäßigkeiten nicht abschafft. Die Oktoberrevolution ist "rechtmäßig" als die erste Etappe der Weltrevolution, die sich unvermeidlich auf Jahrzehnte erstreckt. Die Pause zwischen der ersten und der zweiten Etappe ist bedeutend länger geworden, als wir es erwartet hatten. Aber doch bleibt sie eine Pause, ohne sich in eine selbstgenügsame Epoche des Aufbaus einer nationalen sozialistischen Gesellschaft zu verwandeln.

Aus den zwei Konzeptionen der Revolution ergeben sich zwei leitende Linien in den Fragen der Wirtschaft. Die ersten schnellen ökonomischen Erfolge, die er gar nicht erwartet hatte, haben Stalin im Herbst 1924 den Gedanken des Sozialismus in einem Lande als die Krönung der praktischen Perspektive einer isolierten nationalen Wirtschaft eingegeben. Gerade in dieser Periode stellte Bucharin seine berühmte Formel auf: geschützt durch das Außenhandelsmonopol vor der Weltwirtschaft, seien wir imstande, den Sozialismus aufzubauen, »wenn auch im Schneckentempo«. Das war die allgemeine Formel des Blocks der Zentristen (Stalin) mit den Rechten (Bucharin). Stalin versuchte schon damals unermüdlich nachzuweisen, daß das Tempo unserer Industrialisierung unsere »innere Angelegenheit« sei, die zur Weltwirtschaft in keiner Beziehung stehe. Diese nationale Selbstzufriedenheit konnte sich natürlicherweise auf die Dauer nicht halten, da sie ja nur die erste kurze Etappe der wirtschaftlichen Belebung widerspiegelte, die notwendigerweise auch unsere Abhängigkeit vom Weltmarkte belebte. Die ersten, den National-Sozialisten unerwartet gekommenen Stöße der internationalen Abhängigkeit, erzeugten eine Unruhe, die im nächsten Stadium in eine Panik überging. So schnell wie möglich mit Hilfe des höchsten Tempos der Industrialisierung und Kollektivisierung die ökonomische "Unabhängigkeit" gewinnen! - das war die Wandlung in der Wirtschaftspolitik des National-Sozialismus in den letzten zwei Jahren. Die Zauderpolitik wurde auf der ganzen Linie durch das Abenteurertum abgelöst. Die theoretische Basis der beiden Erscheinungen ist die gleiche: die national-sozialistische Konzeption.

Die grundlegenden Schwierigkeiten ergeben sich, wie oben gezeigt, aus der objektiven Lage der Dinge, vor allem aus der Isoliertheit der Sowjetunion. Wir wollen hier nicht untersuchen, in welchem Maße diese objektive Lage als das Resultat der Fehler der Leitung zu betrachten ist (die falsche Politik im Jahre 1923 in Deutschland, 1924 in Bulgarien und Estland, 1926 in England und Polen, in den Jahren 1925-27 in China, die gegenwärtige falsche Strategie der "dritten Periode" usw, usw.). Die akutesten wirtschaftlichen Zuckungen in der USSR werden jedoch dadurch erzeugt, daß die heutige Leitung sich bemüht, aus der Not eine Tugend zu machen und auf der politischen Isoliertheit des Arbeiterstaates das Programm einer ökonomisch isolierten sozialistischen Gesellschaft aufzubauen. Daraus entstand das neueste Programm der durchgehenden sozialistischen Kollektivisierung der Bauernwirtschaften auf dem Fundament des vorkapitalistischen Inventars - das gefährlichste Abenteuer, das allein schon die Möglichkeit einer Zusammenarbeit von Proletariat und Bauernschaft zu untergraben droht.

Es ist bemerkenswert, daß gerade in dem Augenblick, als sich diese Gefahr in aller Schärfe anzuzeigen begann, Bucharin, der gestrige Theoretiker des »Schneckentempos«, einen pathetischen Hymnus auf den heutigen »rasenden Galopp« der Industrialisierung und Kollektivisierung verfaßte. Man muß befürchten, daß dieser Hymnus bald als die größte Ketzerei gebrandmarkt werden wird. Denn man vernimmt schon den Klang anderer Melodien. Unter dem Einfluß des Widerstandes der wirtschaftlichen Materie war Stalin gezwungen, Alarm zum Rückzug zu schlagen. Im Augenblick besteht die Gefahr darin, daß die gestrige, von Panik diktierte abenteuerliche Offensive sich heute in einen panischen Rückzug verwandelt. - Solches Wechseln der Etappen ergibt sich unvermeidlich aus der Natur des Nationalsozialismus.

Das reale Programm eines isolierten Arbeiterstaates kann sich nicht die »Unabhängigkeit« von der Weltwirtschaft als Ziel stellen und noch weniger, »in kürzester Frist« eine nationalsozialistische Gesellschaft aufzubauen. Die Aufgabe kann nicht darin bestehen, das abstrakt maximale Tempo zu erreichen, sondern das optimale, d.h. das beste Tempo, das sich sowohl aus den inneren wie aus den internationalen Wirtschaftsbedingungen ergibt, das die Position des Proletariats sichert, die nationalen Elemente für die künftige internationale sozialistische Gesellschaft vorbereitet und gleichzeitig und hauptsächlich das Lebensniveau des Proletariats systematisch verbessert und dessen Bündnis mit den nicht ausbeuterischen Massen des Dorfes festigt. Diese Perspektive muß in Kraft bleiben während der gesamten Vorbereitungsperiode, d.h. bis die siegreiche Revolution in den fortgeschrittenen Ländern die Sowjetunion aus ihrer heutigen isolierten Lage befreien wird.

Einige von den hier geäußerten Gedanken sind in anderen Arbeiten des Autors ausführlicher dargelegt, insbesondere in seiner "Kritik des Programms der Komintern". Wir beabsichtigen, in der nächsten Zeit eine Broschüre herauszugeben, die speziell der Analyse der heutigen Etappe der wirtschaftlichen Entwicklung der USSR gewidmet sein wird. Wir sind gezwungen, den Leser, der sich näher dafür interessiert, wie das Problem der permanenten Revolution heute gestellt wird, auf diese Arbeit zu verweisen. Aber auch die oben angeführten Erwägungen werden, wie wir hoffen, genügen, um die ganze Bedeutung des prinzipiellen Kampfes aufzudecken, der in den letzten Jahren um die zwei Theorien geführt wurde: des Sozialismus in einem Lande und der permanenten Revolution. Schon diese aktuelle Bedeutung der Frage rechtfertigt die Tatsache, daß wir den ausländischen Lesern hier ein Buch bieten, das zu einem großen Teile der kritischen Rekonstruierung der vorrevolutionären Prognosen und der theoretischen Auseinandersetzungen unter den russischen Marxisten gewidmet ist. Es wäre gewiß möglich gewesen, eine andere Form der Darstellung der uns interessierenden Fragen zu wählen. Die Form aber ist nicht vom Autor geschaffen und von ihm nicht freiwillig gewählt worden. Sie wurde ihm zum Teil durch den Willen des Gegners, zum Teil durch den Gang der politischen Entwicklung selbst aufgezwungen. Sogar die Wahrheiten der Mathematik, der abstraktesten aller Wissenschaften, werden am deutlichsten anschaulich in Verbindung mit der Geschichte ihrer Entdeckungen. Um so mehr gilt das für die konkreteren, d.h. historisch bedingten Wahrheiten der marxistischen Politik. Die Geschichte der Entstehung und der Entwicklung der Prognosen der Revolution unter den Bedingungen des vorrevolutionären Rußlands führt, wie uns scheint, den Leser an das Wesen der revolutionären Aufgaben des Weltproletariats näher heran als eine schulmäßige und pedantische Darstellung der gleichen politischen Ideen, aber losgelöst von der Kampfsituation, die sie erzeugt hat.

Verschiedene Gruppierungen der deutschen Kommunistischen Partei sind zur Macht gekommen oder haben um die Macht gekämpft, indem sie ihre Tauglichkeit als Führer durch eine Kritik an der permanenten Revolution nachgewiesen haben. Doch hat sich diese ganze Literatur - Maslow, Thalheimer usw. - auf einem so jämmerlichen Niveau bewegt, daß sie nicht einmal Anlaß zu einer kritischen Antwort bietet. Die Thälmann, Remmele und die übrigen heutigen Führer auf Bestellung haben die Frage noch eine Stufe tiefer hinabgedrückt. Alle diese Kritiker haben nur gezeigt, daß sie nicht bis an die Schwelle des Problems heranzukommen vermochten. Ich habe sie deshalb ... hinter der Schwelle stehenlassen. Wer sich für die theoretische Kritik der Maslow, Thalheimer und der anderen interessieren sollte, der möge nach der Lektüre dieses Buches zu den Schriften der genannten Autoren greifen, um sich von deren Unbildung und Gewissenlosigkeit zu überzeugen. Dieses Resultat wird dem Leser der vorliegenden Arbeit sozusagen als Zugabe geboten.


29. März 1930 L. Trockij

Einleitung

Das vorliegende Buch ist der Frage gewidmet, die mit der Geschichte der drei russischen Revolutionen eng verbunden ist. Aber nicht allein mit ihr. Diese Frage hat in den letzten Jahren im inneren Kampfe der Kommunistischen Partei der Sowjetunion eine ungeheure Rolle gespielt, sie wurde dann in die Kommunistische Internationale hineingetragen, spielte eine ausschlaggebende Rolle in der Entwicklung der chinesischen Revolution und bestimmte eine ganze Reihe wichtigster Beschlüsse, die mit dem revolutionären Kampf der Länder des Ostens verbunden sind. Es handelt sich um die Theorie der "permanenten Revolution", die nach der Lehre der Epigonen des Leninismus (Sinowjew, Stalin, Bucharin usw.), die Erbsünde des »Trotzkismus« darstellt.

Die Frage der permanenten Revolution wurde nach einer längeren Pause scheinbar ganz unerwartet im Jahre 1924 wieder erhoben. Politische Gründe gab es dafür nicht: handelte es sich doch um Meinungsverschiedenheiten, die längst der Vergangenheit angehörten. Der psychologischen Gründe dagegen gab es viele. Die Gruppe der sogenannten "alten Bolschewiki", die den Kampf gegen mich eröffnet hatte, stellte mir vor allem diesen ihren Titel entgegen. Ein großes Hindernis auf dem Wege dieser Gruppe war das Jahr 1917. So wichtig die vorangegangene Geschichte des geistigen Kampfes und der Vorbereitung in bezug auf die Partei als Ganzes wie auch in bezug auf einzelne Personen gewesen war, so hatte diese Periode ihre höchste und unwiderrufliche Nachprüfung in der Oktoberrevolution gefunden. Nicht einer der Epigonen hat dieser Nachprüfung standgehalten. Ausnahmslos hatten sie alle im Augenblick der Februarrevolution 1917 die vulgäre Position der demokratischen Linken eingenommen. Kein einziger von ihnen hat die Losung des Kampfes des Proletariats um die Macht aufgestellt. Sie alle hielten den Kurs auf eine sozialistische Revolution für absurd oder - noch schlimmer - für »Trotzkismus«. In diesem Geiste haben sie die Partei geleitet bis zur Ankunft Lenins aus dem Auslande und bis zum Erscheinen seiner berühmten Thesen vom 4. April. Danach versuchte Kamenjew, bereits im direkten Kampfe gegen Lenin, offen einen demokratischen Flügel des Bolschewismus zu formieren. Später schloß sich ihm der zusammen mit Lenin angekommene Sinowjew an. Der durch seine sozialpatriotische Position schwer kompromittierte Stalin trat beiseite. Er ließ die Partei seine kläglichen Artikel und Reden aus den entscheidenden Wochen des März vergessen und rückte allmählich an den Standpunkt Lenins heran. Deshalb erstand gleichsam von selbst die Frage: was hat einem jeden dieser führenden "alten Bolschewiki" der Leninismus gegeben, wenn kein einziger von ihnen sich als fähig erwiesen hat, im geschichtlich wichtigsten und verantwortungsvollsten Augenblick selbständig die theoretischen und praktischen Erfahrungen der Partei anzuwenden? Man mußte um jeden Preis von dieser Frage ablenken und sie durch eine andere ersetzen. Zu diesem Zwecke beschloß man, die permanente Revolution unter Feuer zu nehmen. Meine Widersacher sahen dabei selbstverständlich nicht voraus, daß sie durch die Schaffung einer künstlichen Kampfachse gezwungen sein würden, sich selbst um diese Achse zu drehen, und sich eine neue Weltanschauung zu fabrizieren.

In ihren wesentlichen Zügen wurde die Theorie der permanenten Revolution von mir noch vor den entscheidenden Ereignissen des Jahres 1905 formuliert. Rußland ging der bürgerlichen Revolution entgegen. Niemand aus den Reihen der russischen Sozialdemokratie (wir alle nannten uns damals Sozialdemokraten) zweifelte daran, daß wir einer bürgerlichen Revolution entgegengingen, d.h. einer Revolution, hervorgerufen durch die Widersprüche zwischen der Entwicklung der Produktivkräfte der kapitalistischen Gesellschaft und den überlebten ständischen und staatlichen Verhältnissen aus der Zeit der Leibeigenschaft und des Mittelalters. Im Kampfe gegen die Narodniki und Anarchisten mußte ich in jener Zeit viele Reden und Artikel der marxistischen Analyse des bürgerlichen Charakters der bevorstehenden Revolution widmen.

Der bürgerliche Charakter der Revolution konnte aber nicht im voraus die Frage beantworten, welche Klassen die Aufgaben der demokratischen Umwälzung lösen und wie die gegenseitigen Beziehungen dieser Klassen sein würden. Gerade bei diesem Punkte begannen die grundsätzlichen strategischen Probleme.

Plechanow, Axelrod, Sassulitsch, Martow und nach ihnen alle russischen Menschewiki gingen davon aus, daß der liberalen Bourgeoisie als dem natürlichen Anwärter auf die Macht die führende Rolle in der bürgerlichen Revolution zustehe. Nach diesem Schema fiel der Partei des Proletariats die Rolle des linken Flügels der demokratischen Front zu: die Sozialdemokratie hatte die liberale Bourgeoisie gegen die Reaktion zu unterstützen und gleichzeitig die Interessen des Proletariats gegen die liberale Bourgeoisie zu verteidigen. Mit anderen Worten, die Menschewiki verstanden die bürgerliche Revolution hauptsächlich als eine liberal-konstitutionelle Reform.

Anders stellte Lenin die Frage. Die Befreiung der Produktivkräfte der bürgerlichen Gesellschaft aus den Fesseln der Leibeigenschaft bedeutete für Lenin vor allem eine radikale Lösung der Agrarfrage im Sinne der völligen Liquidierung der Gutsbesitzerklasse und der revolutionären Umschichtung des Bodenbesitzes. Damit untrennbar verbunden war die Abschaffung der Monarchie. An das Agrarproblem, das die Lebensinteressen der erdrückenden Mehrheit der Bevölkerung berührte und gleichzeitig das Grundproblem des kapitalistischen Marktes bildete, ging Lenin mit wahrhaft revolutionärer Kühnheit heran. Da die liberale Bourgeoisie, die den Arbeitern feindlich gegenübersteht, durch unzählige Fäden mit dem großen Landbesitz eng verbunden ist, kann die wahrhaft demokratische Befreiung der Bauernschaft nur durch die revolutionäre Gemeinschaft der Arbeiter und Bauern verwirklicht werden. Ihr gemeinsamer Aufstand gegen die alte Gesellschaft muß, nach Lenin, im Falle des Sieges, zur Errichtung der »demokratischen Diktatur des Proletariats und der Bauernschaft« führen.

Diese letztere Formel wird jetzt in der Kommunistischen Internationale als eine Art überhistorisches Dogma wiederholt, ohne den Versuch einer Analyse der lebendigen historischen Erfahrung aus dem letzten Vierteljahrhundert, als wären wir nicht Zeugen und Teilnehmer der Revolution von 1905, der Februarrevolution von 1917 und schließlich der Oktoberumwälzung gewesen. Eine solche historische Analyse ist jedoch um so notwendiger, als es ein Regime der "demokratischen Diktatur des Proletariats und der Bauernschaft" in der Geschichte niemals gegeben hat.

Im Jahre 1905 hatte es sich bei Lenin um eine strategische Hypothese gehandelt, die durch den Gang des Klassenkampfes in der Wirklichkeit einer Nachprüfung bedurfte. Die Formel der demokratischen Diktatur des Proletariats und der Bauernschaft hatte zu einem großen Teil einen beabsichtigt algebraischen3 Charakter. Lenin hat nicht im voraus die Frage beantwortet, wie die politischen Beziehungen der beiden Teilnehmer an der vermutlichen demokratischen Diktatur, d.h. der des Proletariats und der Bauernschaft sein würden. Er hat nicht die Möglichkeit ausgeschlossen, die Bauernschaft könnte in der Revolution durch eine selbständige Partei vertreten sein, eine selbständige in doppeltem Sinne: das heißt nicht nur in bezug auf die Bourgeoisie, sondern auch in bezug auf das Proletariat, und gleichzeitig fähig, im Bunde mit der Partei des Proletariats die demokratische Revolution im Kampfe gegen die liberale Bourgeoisie zu verwirklichen. Lenin rechnete sogar, wie wir bald sehen werden, mit der Möglichkeit, daß die revolutionäre Bauernpartei in der Regierung der demokratischen Diktatur die Mehrheit bilden könnte.

In der Frage der entscheidenden Bedeutung der Agrarumwälzung für das Schicksal unserer bürgerlichen Revolution war ich, mindestens seit dem Herbst 1902, d.h. seit dem Moment meiner ersten Flucht ins Ausland, ein Schüler Lenins. Daß die Agrarrevolution, also folglich auch die allgemeine demokratische Revolution, nur durch die vereinigten Kräfte der Arbeiter und Bauern im Kampfe gegen die liberale Bourgeoisie verwirklicht werden könne, stand für mich, im Gegensatz zu den sinnlosen Märchen der letzten Jahre, außer jedem Zweifel. Doch trat ich gegen die Formel: »demokratische Diktatur des Proletariats und der Bauernschaft« auf, weil ich ihren Mangel darin sah, daß sie die Frage offenließ, welcher Klasse die wirkliche Diktatur gehören würde. Ich versuchte zu beweisen, daß die Bauernschaft, trotz ihrem ungeheuren sozialen und revolutionären Gewicht, unfähig sei, eine wirklich selbständige Partei zu schaffen, und noch unfähiger, in den Händen die revolutionäre Macht zu konzentrieren. Wie die Bauernschaft in den alten Revolutionen seit der deutschen Reformation im XVI. Jahrhundert und sogar schon früher durch ihre Aufstände eine der Fraktionen der städtischen Bourgeoisie unterstützte und dieser nicht selten den Sieg sicherte, so könnte sie auch in unserer verspäteten bürgerlichen Revolution bei dem höchsten Schwung des Kampfes dem Proletariat eine ähnliche Unterstützung erweisen und ihm helfen, die Macht zu erobern. Ich zog daraus die Schlußfolgerung, daß unsere bürgerliche Revolution nur in dem Falle ihre Aufgabe radikal lösen könnte, wenn das Proletariat mit Hilfe der vielmillionenstarken Bauernschaft fähig wäre, die revolutionäre Diktatur in seinen Händen zu konzentrieren.

Was würde der soziale Inhalt dieser Diktatur sein? Als erstes hätte sie die Agrarrevolution und die demokratische Umgestaltung des Staates restlos zu vollziehen. Mit anderen Worten, die Diktatur des Proletariats wäre ein Mittel, die Aufgaben der historisch verspäteten bürgerlichen Revolution zu lösen. Darauf aber könnte die Sache sich nicht beschränken. Zur Macht gelangt, würde das Proletariat gezwungen sein, immer tiefer einzugreifen in die Beziehungen des Privateigentums überhaupt, d.h. den Weg sozialistischer Maßnahmen zu beschreiten.

»Glauben Sie etwa«, erwiderten mir in den Jahren 1905 bis 1917 dutzende Male die Stalin, Rykow und alle sonstigen Molotows, »daß Rußland für die sozialistische Revolution reif ist?« Darauf habe ich stets geantwortet: nein, das glaube ich nicht. Aber die Weltwirtschaft als Ganzes und vor allem die europäische Wirtschaft ist für die sozialistische Revolution völlig reif. Ob die Diktatur des Proletariats in Rußland zum Sozialismus führen wird oder nicht, und in welchem Tempo und über welche Etappen, das wird von dem weiteren Schicksal des europäischen und des internationalen Kapitalismus abhängen.

Dies waren die Grundzüge der Theorie der permanenten Revolution bei ihrem Entstehen in den ersten Monaten des Jahres 1905. Inzwischen haben sich drei Revolutionen vollzogen. Das russische Proletariat ist auf der mächtigen Welle des Bauernaufstandes zur Herrschaft aufgestiegen. Die Diktatur des Proletariats ist in Rußland früher zur Tatsache geworden als in irgendeinem anderen der unermeßlich entwickelteren Länder der Welt. Im Jahre 1924, d.h. sieben Jahre nachdem sich die historische Prognose der Theorie der permanenten Revolution mit seltener Kraft bestätigt hat, haben die Epigonen gegen diese Theorie eine wilde Attacke eröffnet, und einzelne Sätze und polemische Repliken aus meinen, bei mir selbst zu jener Zeit bereits gründlich in Vergessenheit geratenen alten Arbeiten herausgezupft.

Es ist angebracht, hier daran zu erinnern, daß die erste russische Revolution mehr als ein halbes Jahrhundert nach der Welle der bürgerlichen Revolutionen in Europa und 35 Jahre nach dem episodischen Aufstand der Pariser Kommune ausbrach. Europa hatte Zeit gehabt, sich von Revolutionen zu entwöhnen. Rußland hatte sie überhaupt nicht gekannt. Alle Probleme der Revolution mußten neu gestellt werden. Es ist nicht schwer, zu begreifen, wieviel unbekannte und mutmaßliche Größen die zukünftige Revolution damals für uns barg. Die Parolen aller Gruppierungen beruhten gewissermaßen auf Hypothesen. Es ist schon völlige Unfähigkeit für historische Prognosen und vollständiges Unverständnis für deren Methoden erforderlich, um jetzt, nachträglich, Analysen und Bewertungen aus dem Jahre 1905 so zu betrachten, als seien sie gestern geschrieben worden. Ich habe oft mir selbst und meinen Freunden gesagt: ich zweifle nicht daran, daß meine Prognosen von 1905 viele Lücken enthalten, die jetzt, nachträglich, nicht schwer aufzudecken sind. Haben aber meine Kritiker besser und weiter gesehen? Ich hatte die Lücken meiner alten Arbeiten, die ich lange nicht nachgelesen hatte, für ernster und wichtiger gehalten, als sie es in Wirklichkeit sind. Davon habe ich mich im Jahre 1928 überzeugt, als mir die aufgezwungene politische Muße in der Verbannung von Alma Ata die Möglichkeit bot, mit einem Bleistift in der Hand die alten Arbeiten über die permanente Revolution nachzuprüfen. Ich hoffe, auch der Leser wird davon aus dem Nachfolgenden völlig überzeugt werden.

Es ist jedoch notwendig, im Rahmen dieser Einleitung eine möglichst genaue Charakteristik der Bestandteile der Theorie der permanenten Revolution und der wichtigsten Einwände gegen sie zu geben. Die Meinungsverschiedenheiten haben sich derart verbreitert und vertieft, daß sie heute eigentlich alle wichtigsten Fragen der revolutionären Weltbewegung umfassen. Die permanente Revolution in dem Sinne, den Marx diesem Begriff gegeben hat, bedeutet eine Revolution, die sich mit keiner Form der Klassenherrschaft abfindet, die bei der demokratischen Etappe nicht haltgemacht, zu sozialistischen Maßnahmen und zum Kriege gegen die Reaktion von außen übergeht, also eine Revolution, deren jede weitere Etappe in der vorangegangenen verankert ist und die nur enden kann mit der restlosen Liquidierung der Klassengesellschaft überhaupt.

Um jenes Chaos zu zerstreuen, das um die Theorie der permanenten Revolution geschaffen wurde, ist es nötig, drei Gedankenreihen zu unterscheiden, die sich in dieser Theorie vereinigen.

Erstens umfaßt sie das Problem des Überganges der demokratischen Revolution in die sozialistische. Dies ist eigentlich die historische Entstehung der Theorie.

Der Begriff der permanenten Revolution ist aufgestellt worden von den großen Kommunisten der Mitte des neunzehnten Jahrhunderts, von Marx und dessen Gesinnungsgenossen als Gegensatz zu jener demokratischen Ideologie, die bekanntlich darauf pocht, daß alle Fragen friedlich, auf reformistischem oder evolutionärem Wege gelöst werden könnten durch Errichtung des »vernünftigen« oder demokratischen Staates. Die bürgerliche Revolution von 48 betrachtete Marx als die unmittelbare Einleitung zur proletarischen Revolution. Marx "irrte". Doch sein Irrtum hatte einen faktischen, keinen methodologischen Charakter. Die Revolution von 1848 ist nicht in die sozialistische Revolution übergegangen. Aber eben deshalb hat sie die Demokratie auch nicht vollendet. Was die deutsche Revolution von 1918 betrifft, so ist sie keine demokratische Vollendung der bürgerlichen Revolution: es ist eine von der Sozialdemokratie enthauptete proletarische Revolution: richtiger gesagt, es ist die bürgerliche Konterrevolution, die nach dem Siege über das Proletariat gezwungen ist, pseudodemokratische Formen zu bewahren.

Der vulgäre »Marxismus« hat ein Schema der historischen Entwicklung ausgearbeitet, wonach jede bürgerliche Gesellschaft sich früher oder später ein demokratisches Regime sichere und danach dann das Proletariat unter den Bedingungen der Demokratie allmählich für den Sozialismus organisiere und erziehe. Von dem Übergang zum Sozialismus selbst hatte man sich verschiedene Vorstellungen gemacht: die offenen Reformisten dachten sich diesen Übergang als reformistische Anfüllung der Demokratie mit sozialistischem Inhalt (Jaurès). Die formalen Revolutionäre anerkannten die Unvermeidlichkeit der Anwendung der revolutionären Gewalt beim Übergang zum Sozialismus (Guèsde). Aber die einen wie die anderen betrachteten Demokratie und Sozialismus in bezug auf alle Völker und Länder als zwei nicht nur durchaus getrennte, sondern auch voneinander weit entfernt liegende Etappen in der Entwicklung der Gesellschaft. Diese Ansicht war auch bei jenen russischen Marxisten vorherrschend, die in der Periode 1905 zum linken Flügel der Zweiten Internationale gehörten. Plechanow, der glänzende Stammvater des russischen Marxismus, hielt die Idee der Diktatur des Proletariats im zeitgenössischen Rußland für einen Wahn. Den gleichen Standpunkt vertraten nicht nur die Menschewiki, sondern auch die erdrückende Mehrheit der führenden Bolschewiki, darunter ausnahmslos alle heutigen Parteiführer, die damals entschiedene revolutionäre Demokraten waren, für die aber das Problem der sozialistischen Revolution nicht nur im Jahre 1905, sondern auch am Vorabend des Jahres 1917 noch nebelhafte Musik einer fernen Zukunft bedeutete.

Diesen Ideen und Stimmungen erklärte die im Jahre 1905 neu erwachte Theorie der permanenten Revolution den Krieg. Sie zeigte, daß die demokratischen Aufgaben der zurückgebliebenen bürgerlichen Nationen in unserer Epoche zur Diktatur des Proletariats führen und daß die Diktatur des Proletariats die sozialistischen Aufgaben auf die Tagesordnung stellt. Darin bestand die zentrale Idee der Theorie. Lautete die traditionelle Meinung, daß der Weg zur Diktatur des Proletariats über eine lange Periode der Demokratie führe, so stellte die Theorie der permanenten Revolution fest, daß für die zurückgebliebenen Länder der Weg zur Demokratie über die Diktatur des Proletariats gehe. Dadurch allein wird die Demokratie kein in sich selbst auf Jahrzehnte hin verankertes Regime, sondern eine unmittelbare Einleitung zur sozialistischen Revolution. Beide werden miteinander durch eine ununterbrochene Kette verbunden. Zwischen der demokratischen Umwälzung und der sozialistischen Umgestaltung der Gesellschaft entsteht auf diese Weise eine Permanenz der revolutionären Entwicklung.

Der zweite Aspekt der »permanenten« Theorie charakterisiert bereits die sozialistische Revolution als solche. Während einer unbestimmt langen Zeit und im ständigen inneren Kampfe werden alle sozialen Beziehungen umgestaltet. Die Gesellschaft mausert sich. Eine Wandlungsetappe ergibt sich aus der anderen. Der Prozeß bewahrt notwendigerweise einen politischen Charakter, d.h. er entwickelt sich durch Zusammenstöße verschiedener Gruppen der sich umgestaltenden Gesellschaft. Ausbrüche von Bürgerkriegen und äußeren Kriegen wechseln ab mit Perioden "friedlicher" Reformen. Revolutionen der Wirtschaft, der Technik, der Wissenschaft, der Familie, der Sitten und Gebräuche entwickeln sich in komplizierten Wechselwirkungen und lassen die Gesellschaft nicht ins Gleichgewicht kommen. Darin besteht der permanente Charakter der sozialistischen Revolution als solcher.

Der internationale Charakter der sozialistischen Revolution, der den dritten Aspekt der Theorie der permanenten Revolution bildet, ergibt sich aus dem heutigen Zustande der Ökonomik und der sozialen Struktur der Menschheit. Der Internationalismus ist kein abstraktes Prinzip, sondern ein theoretisches und politisches Abbild des Charakters der Weltwirtschaft, der Weltentwicklung der Produktivkräfte und des Weltmaßstabes des Klassenkampfes. Die sozialistische Revolution beginnt auf nationalem Boden. Sie kann aber nicht auf diesem Boden vollendet werden. Die Aufrechterhaltung der proletarischen Revolution in nationalem Rahmen kann nur ein provisorischer Zustand sein, wenn auch, wie die Erfahrung der Sowjetunion zeigt, einer von langer Dauer. Bei einer isolierten proletarischen Diktatur wachsen die inneren und äußeren Widersprüche unvermeidlich zusammen mit den wachsenden Erfolgen. Isoliert bleibend, muß der proletarische Staat schließlich ein Opfer dieser Widersprüche werden. Der Ausweg besteht für ihn nur in dem Siege des Proletariats der fortgeschrittenen Länder. Von diesem Standpunkte aus gesehen, ist eine nationale Revolution kein in sich selbst verankertes Ganzes: sie ist nur ein Glied einer internationalen Kette. Die internationale Revolution stellt einen permanenten Prozeß dar, trotz aller zeitlichen Auf- und Abstiege.

Der Kampf der Epigonen richtet sich, wenn auch nicht immer mit gleicher Deutlichkeit, gegen alle drei Aspekte der Theorie der permanenten Revolution. Anders könnte es auch nicht sein, handelt es sich doch um drei untrennbar verbundene Teile eines Ganzen. Die Epigonen machen eine mechanische Trennung zwischen der demokratischen Diktatur und der sozialistischen. Sie trennen die nationale sozialistische Revolution von der internationalen. Die Eroberung der Macht in nationalem Rahmen betrachten sie im wesentlichen nicht als den Anfangsakt, sondern als den Schlußakt der Revolution: danach folgt die Periode der Reformen, die zur nationalen sozialistischen Gesellschaft führt.

Im Jahre 1905 haben sie nicht einmal den Gedanken zugelassen, das Proletariat könne in Rußland die Macht früher erobern als in West-Europa. Im Jahre 1917 haben sie die selbständige demokratische Revolution in Rußland gepredigt und die Diktatur des Proletariats verworfen. In den Jahren 1925-27 haben sie den Kurs gehalten auf die nationale Revolution in China unter der Führung der nationalen Bourgeoisie. Danach haben sie für China die Losung der demokratischen Diktatur der Arbeiter und Bauern aufgestellt - im Gegensatz zur Diktatur des Proletariats. Sie verkündeten die Möglichkeit des Aufbaus einer isolierten und selbständigen sozialistischen Gesellschaft in der Sowjetunion. Die Weltrevolution wurde für sie aus einer unumgänglichen Vorbedingung des Sieges nur zu einem günstigen Umstand. Zu diesem tiefen Bruch mit dem Marxismus kamen die Epigonen im Prozeß des permanenten Kampfes gegen die Theorie der permanenten Revolution.

Der Kampf, der mit einer künstlichen Belebung historischer Erinnerungen und Fälschung der fernen Vergangenheit begann, führte zur völligen Umgestaltung der Weltanschauung der regierenden Schicht der Revolution. Wir haben bereits wiederholt auseinandergesetzt, daß sich diese Umwertung der Werte unter dem Einfluß der sozialen Bedürfnisse der Sowjetbürokratie vollzog, die immer konservativer wurde, nach nationaler Ordnung strebte und schließlich forderte, daß die bereits vollzogene Revolution, die der Bürokratie die privilegierten Positionen gesichert hatte, nun als ausreichend zu gelten habe für den friedlichen Aufbau des Sozialismus. Wir wollen hier zu diesem Thema nicht zurückkehren. Es sei nur bemerkt, daß die Bürokratie sich tief bewußt ist des innigen Zusammenhanges ihrer materiellen und geistigen Positionen mit der Theorie des nationalen Sozialismus. Das äußert sich am krassesten gerade jetzt, obwohl der stalinsche Apparat unter dem Druck der Widersprüche, die er nicht vorausgesehen hat, mit aller Kraft nach links drängt und seinen gestrigen rechten Inspiratoren recht schmerzhafte Schläge zufügt. Die Feindschaft der Bürokraten gegen die marxistische Opposition, der sie in aller Eile ihre Parolen und Argumente entliehen haben, nimmt bekanntlich nicht im mindesten ab. Von den Oppositionellen, die die Frage nach ihrer Wiederaufnahme in die Partei zum Zwecke der Unterstützung des Kurses auf Industrialisierung usw. erheben, fordert man vor allem die Verurteilung der Theorie der permanenten Revolution und eine wenn auch nur indirekte Anerkennung der Theorie des Sozialismus in einem Lande. Damit enthüllt die stalinsche Bürokratie den rein taktischen Charakter ihrer Linksschwenkung unter Beibehaltung der nationalreformistischen strategischen Grundlagen. Es ist überflüssig auseinanderzusetzen, was das bedeutet; in der Politik wie im Kriegshandwerk ist die Taktik letzten Endes der Strategie unterworfen.

Die Frage ist längst über die eigentliche Sphäre des Kampfes gegen den »Trotzkismus« hinausgewachsen. Allmählich sich ausdehnend, hat sie heute buchstäblich alle Probleme der revolutionären Weltanschauung erfaßt. Permanente Revolution oder Sozialismus in einem Lande - diese Alternative betrifft in gleicher Weise die inneren Probleme der Sowjetunion wie die Perspektiven der Revolution im Osten und schließlich das Schicksal der gesamten Kommunistischen Internationale.

Die vorliegende Arbeit untersucht diese Frage nicht von allen Seiten: es ist nicht notwendig, das zu wiederholen, was in anderen Arbeiten bereits gesagt wurde. In der "Kritik des Programms der Komintern" habe ich versucht, die ökonomische und politische Unhaltbarkeit des National-Sozialismus theoretisch aufzudecken. Die Theoretiker der Komintern schwiegen dazu, als hätten sie den Mund voll Wasser. Das ist vielleicht das einzige, was ihnen zu tun übrigblieb. In diesem Büchlein stelle ich vor allem die Theorie der permanenten Revolution so wieder her, wie sie im Jahre 1905 in bezug auf die inneren Probleme der russischen Revolution formuliert wurde. Ich zeige, worin sich meine Position von der leninschen tatsächlich unterschied, und wie und weshalb sie sich in allen entscheidenden Situationen mit der Position Lenins deckte. Schließlich versuche ich, die entscheidende Bedeutung der uns hier interessierenden Frage für das Proletariat der zurückgebliebenen Länder und damit für die gesamte Kommunistische Internationale aufzuzeigen.

Welche Anklagen sind von den Epigonen gegen die Theorie der permanenten Revolution erhoben worden? Läßt man die zahllosen Widersprüche meiner Kritiker unbeachtet, dann kann man ihre gesamte, wahrhaft unermeßliche Literatur in folgenden Sätzen wiedergeben:

1. Trockij ignorierte den Unterschied zwischen der bürgerlichen Revolution und der sozialistischen; er vertrat schon 1905 die Ansicht, daß das Proletariat Rußlands vor den Aufgaben der unmittelbaren sozialistischen Umwälzung stehe.

2. Trockij ignorierte völlig die Agrarfrage. Die Bauernschaft existierte für ihn nicht. Er hat die Revolution wie einen Zweikampf zwischen Proletariat und Zarismus geschildert.

3. Trockij glaubte nicht, daß die Weltbourgeoisie ein einigermaßen längeres Bestehen der Diktatur des russischen Proletariats dulden werde und betrachtete deren Untergang als unvermeidlich, falls das Proletariat des Westens nicht in kürzester Frist die Macht ergreifen und Hilfe leisten würde. Somit hat Trockij den Druck des westeuropäischen Proletariats auf dessen eigene Bourgeoisie unterschätzt.

4. Trockij glaubt überhaupt nicht an die Kraft des russischen Proletariats, nicht an dessen Fähigkeit, selbständig den Sozialismus aufzubauen und darum übertrug und überträgt er alle seine Hoffnungen auf die internationale Revolution.

Diese Motive gehen nicht nur durch die zahllosen Schriften und Reden Sinowjews, Stalins, Bucharins und anderer, sie sind auch in den allerautoritärsten Resolutionen der Russischen Kommunistischen Partei und der Kommunistischen Internationale enthalten. Und trotzdem ist man gezwungen, auszusprechen, daß sie auf ein Gemisch von Unbildung und Gewissenlosigkeit beruhen.

Die ersten zwei Behauptungen der Kritiker sind, wie später gezeigt werden wird, von Grund auf falsch. Nein, ich ging gerade von dem bürgerlich-demokratischen Charakter der Revolution aus und gelangte zu der Schlußfolgerung, daß die Tiefe der Agrarkrise das Proletariat des rückständigen Rußlands an die Macht heben kann. Ja, eben diesen Gedanken habe ich am Vorabend der Revolution von 1905 verteidigt. Eben diesen Gedanken hat allein schon die Bezeichnung der Revolution als einer "permanenten" ausgedrückt, d.h. einer ununterbrochenen, d.h. einer Revolution, die aus dem bürgerlichen Stadium unmittelbar in das sozialistische übergeht. Um den gleichen Gedanken auszudrücken, hat Lenin später den vorzüglichen Ausdruck gebraucht von dem »Hineinwachsen« der bürgerlichen Revolution in die sozialistische. Den Begriff des Hineinwachsens hat Stalin nachträglich (im Jahre 1924) der permanenten Revolution als einem direkten Sprung aus dem Reiche des Selbstherrschertums in das Reich des Sozialismus entgegengestellt. Der unglückselige "Theoretiker" hat sich nicht mal die Mühe gemacht, darüber nachzudenken, wenn es einfach um einen Sprung geht, was denn dann die Permanenz der Revolution bedeutet!

Was die dritte Anklage betrifft, so wurde sie diktiert von dem kurzfristigen Glauben der Epigonen an die Möglichkeit, die imperialistische Bourgeoisie mit Hilfe des »vernünftigen« organisierten Drucks des Proletariats auf unbeschränkte Zeit zu neutralisieren. In den Jahren 1924-27 war das die zentrale Idee von Stalin. Als ihre Frucht entstand dann das anglo-russische Komitee. Die Enttäuschung an der Möglichkeit, mit Hilfe der Purcell, Raditsch, La Folette und Tschangkaischek die Weltbourgeoisie an Händen und Füßen zu fesseln, führte zu einem akuten Angstparoxysmus vor der unmittelbaren Kriegsgefahr. Diese Periode macht die Komintern noch heute durch.

Der vierte Einwand gegen die Theorie der permanenten Revolution läuft einfach darauf hinaus, ich hätte im Jahre 1905 nicht den Standpunkt der Theorie des Sozialismus in einem Lande vertreten, den Stalin erst im Jahre 1924 für die Sowjetbürokratie fabriziert hat. Diese Anklage ist nur als eine historische Kuriosität zu bewerten. Man könnte in der Tat glauben, daß meine Kritiker, soweit sie im Jahre 1905 überhaupt etwas gedacht haben, damals der Ansicht waren, Rußland sei für eine selbständige sozialistische Revolution vorbereitet. Tatsächlich jedoch beschuldigten sie mich in der Zeit von 1905 bis 1917 unermüdlich des Utopismus, weil ich mit der Wahrscheinlichkeit rechnete, das russische Proletariat könne eher zur Macht kommen als das Proletariat Westeuropas. Kamenjew und Rykow klagten im April 1917 Lenin des Utopismus an, wobei sie ihm populär auseinandersetzten, daß die sozialistische Revolution sich zuerst in England und in den anderen fortgeschrittenen Ländern vollziehen müsse, bevor die Reihe an Rußland kommen könne. Denselben Standpunkt vertrat bis zum 4. April 1917 auch Stalin. Erst allmählich und mühevoll eignete er sich die leninsche Formel der Diktatur des Proletariats im Gegensatz zur demokratischen Diktatur an. Noch im Frühling 1924 wiederholte Stalin, was ihm die anderen vorgesagt hatten: isoliert sei Rußland für den Aufbau der sozialistischen Gesellschaft nicht reif. Im Herbst 1924 machte Stalin im Kampfe gegen die Theorie der permanenten Revolution zum ersten Male die Entdeckung der Möglichkeit des Aufbaus des isolierten Sozialismus in Rußland. Erst danach haben die roten Professoren Zitate für Stalin zusammengesucht, die Trockij überführen, daß er im Jahre 1905 - hu, schrecklich! - geglaubt habe, Rußland könne nur mit Hilfe des westeuropäischen Proletariats zum Sozialismus kommen.

Nimmt man die Geschichte eines geistigen Kampfes eines Vierteljahrhunderts, zerschneidet man sie mit einer Schere in kleine Stücke, mischt man sie in einem Mörser durcheinander und beauftragt dann einen Blinden, diese Stücke wieder zusammenzukleben, so kann wohl kaum ein größerer theoretischer und historischer Galimathias entstehen, als der, mit dem die Epigonen ihre Leser und Hörer füttern.

Damit die Verbindung der gestrigen Probleme mit den heutigen sichtbarer hervortrete, muß man hier, wenn auch nur ganz im allgemeinen, daran erinnern, was die Leitung der Komintern, d.h. Stalin und Bucharin, in China alles vollführt hat.

Unter dem Vorwand, China stehe vor einer nationalen Revolution, wurde im Jahre 1924 der chinesischen Bourgeoisie die führende Rolle zugesprochen. Die Partei der nationalen Bourgeoisie, die Kuomintang, wurde offiziell als die führende Partei anerkannt. Soweit sind 1905 nicht einmal die russischen Menschewiki gegangen in bezug auf die Kadetten (die Partei der liberalen Bourgeoisie).

Die Führung der Komintern blieb aber dabei nicht stehen. Sie verpflichtete die Chinesische Kommunistische Partei, in die Kuomintang hineinzugehen und sich deren Disziplin zu unterwerfen. Durch besondere Telegramme Stalins wurde den chinesischen Kommunisten anempfohlen, die Agrarbewegung einzudämmen. Den aufständischen Arbeitern und Bauern wurde verboten, eigene Sowjets zu bilden, um Tschangkaischek nicht abzustoßen, den Stalin in einer Parteiversammlung in Moskau Anfang April 1927, d.h. einige Tage vor dem konterrevolutionären Streich in Schanghai, den Oppositionellen gegenüber als einen »zuverlässigen Verbündeten« verteidigte.

Die offizielle Unterwerfung der Kommunistischen Partei unter die bürgerliche Führung und das offizielle Verbot, Sowjets zu bilden (Stalin und Bucharin lehrten, die Kuomintang »ersetze« die Sowjets), war ein gröberer und schreienderer Verrat am Marxismus, als alle Taten der Menschewiki in den Jahren 1905 bis 1917.

Nach dem Staatsstreich Tschangkaischeks im April 1927 spaltete sich ein linker Flügel unter der Führung von Wan-Tin-Wei vorübergehend von der Kuomintang ab. Wan-Tin-Wei wurde in der 'Prawda' sofort als zuverlässiger Verbündeter erklärt. Im wesentlichen verhielt sich Wan-Tin-Wei zu Tschangkaischek wie Kerenski zu Miljukow, mit dem Unterschied, daß in China Miljukow und Kornilow sich in der Person Tschangkaischeks vereinigten.

Nach dem April 1927 wurde der Chinesischen Kommunistischen Partei befohlen, in die »linke« Kuomintang hineinzugehen und sich der Disziplin des chinesischen Kerenski zu unterwerfen, statt den offenen Krieg gegen ihn vorzubereiten. Der »zuverlässige« Wan-Tin-Wei hat die Kommunistische Partei zusammen mit der Arbeiter- und Bauernbewegung nicht weniger verbrecherisch niedergeschlagen als Tschangkaischek, den Stalin als seinen zuverlässigen Verbündeten erklärt hatte.

Wenn die Menschewiki im Jahre 1905 und später Miljukow unterstützten, so traten sie doch immerhin nicht in die Liberale Partei ein. Wenn die Menschewiki im Jahre 1917 Hand in Hand mit Kerenski gingen, so behielten sie doch ihre eigene Organisation bei. Die Politik Stalins in China war eine böse Karikatur sogar auf den Menschewismus. So sah die erste und wichtigste Periode aus.

Nachdem sich ihre unvermeidlichen Früchte gezeigt hatten: völliger Niedergang der Arbeiter- und Bauernbewegung, Demoralisierung und Zerfall der Kommunistischen Partei, gab die Leitung der Komintern das Kommando "Linksum kehrt!" und verlangte den sofortigen bewaffneten Aufstand der Arbeiter und Bauern. Auf diese Weise wurde der jungen, unterdrückten und verstümmelten Kommunistischen Partei, die noch gestern das fünfte Rad am Wagen Tschangkaischeks und Wan-Tin-Wei's gewesen war, und folglich nicht die geringste eigene politische Erfahrung besaß, der Befehl erteilt, die Arbeiter und Bauern, die die Komintern bis zum gestrigen Tage im Zeichen der Kuomintang zurückgehalten hatte - in den bewaffneten Aufstand gegen diese selbe Kuomintang zu führen, die inzwischen Zeit gefunden hatte, die Macht und die Armee in ihren Händen zu konzentrieren. Im Laufe von 24 Stunden wurde in Kanton ein fiktiver Sowjet improvisiert. Der bewaffnete Aufstand, im voraus dem Termin der Eröffnung des XV. Parteitages der Kommunistischen Partei der Sowjetunion angepaßt, bildete gleichzeitig einen Ausdruck des Heroismus der Avantgarde des chinesischen Proletariats wie des Verbrechens der Komintern. Kleine Abenteuer gingen dem Kantoner Aufstand voran und folgten ihm. So sah das zweite Kapitel der chinesischen Strategie der Komintern aus, einer Strategie, die man als die böseste Karikatur auf den Bolschewismus bezeichnen kann.

Das liberal-opportunistische Kapitel, wie das der Abenteuer, fügten der Chinesischen Kommunistischen Partei einen Schlag zu, von dem sie sich selbst bei einer richtigen Politik erst nach einer langen Zeit wird erholen können.

Der VI. Kongreß der Komintern hat das Fazit dieser Arbeit gezogen. Er hat sie durchaus gutgeheißen, was nicht weiter verwunderlich ist: er war ja zu diesem Zwecke zusammengerufen worden. Für die Zukunft hat der Kongreß die Losung "Demokratische Diktatur der Arbeiter und Bauern" aufgestellt. Wodurch sich diese Diktatur von der rechten und linken Kuomintang einerseits und von der Diktatur des Proletariats andererseits unterscheiden soll, hat man den chinesischen Kommunisten nicht erklärt. Das zu erklären ist auch nicht möglich.

Die Parole der demokratischen Diktatur ausgebend, hat der VI. Kongreß gleichzeitig die Parolen der Demokratie als unzulässig erklärt (Konstituierende Versammlung, allgemeines Wahlrecht, Presse- und Versammlungsfreiheit usw. usw.) und damit die Chinesische Kommunistische Partei angesichts der Diktatur der Militär-Oligarchie gänzlich entwaffnet. Die russischen Bolschewiki haben während einer langen Reihe von Jahren die Arbeiter und Bauern um die Parole der Demokratie mobilisiert. Die Parolen der Demokratie spielten auch im Jahre 1917 eine große Rolle. Erst nachdem die bereits real existierende Sowjetmacht vor den Augen des ganzen Volkes in einen unversöhnlichen politischen Gegensatz zu der Konstituierenden Versammlung geraten war, hat unsere Partei zugunsten der realen Sowjetdemokratie, d.h. der proletarischen Demokratie, die Institutionen und Parolen der formalen, d.h. der bürgerlichen Demokratie, liquidiert.

Der VI. Kongreß der Komintern unter Leitung Stalins und Bucharins hat das alles auf den Kopf gestellt. Während er der Partei einerseits die "demokratische" und nicht die "proletarische" Diktatur vorschrieb, untersagte er ihr gleichzeitig demokratische Parolen zur Vorbereitung dieser Diktatur. Die Chinesische Kommunistische Partei ist nicht nur entwaffnet, sondern nackt ausgezogen worden. Dafür aber hat man ihr als Trost schließlich, in der Periode der uneingeschränkten Herrschaft der Konterrevolution, die Parole der Sowjets freigegeben, die zur Zeit des revolutionären Aufstiegs unter Verbot stand. Ein sehr populärer Held eines russischen Volksmärchens singt Hochzeitslieder bei Begräbnissen und Trauerlieder bei Hochzeiten. Er bekommt hier wie dort seine Tracht Prügel. Würde sich die Sache auf eine Tracht Prügel für die heutigen Führer der Komintern beschränken, man könnte sich damit abfinden. Doch der Einsatz ist größer. Es geht um das Schicksal des Proletariats. Die Taktik der Komintern war eine unbewußte, aber um so sicherer organisierte Sabotage der chinesischen Revolution. Diese Sabotage vollzog sich ohne alle Störungen, denn die rechtsmenschewistische Politik der Komintern in den Jahren 1924-1927 wurde von der ganzen Autorität des Bolschewismus gedeckt und von der Sowjetmacht durch die gewaltige Maschinerie der Repressalien gegen die Kritik der linken Opposition geschützt.

Im Resultat erhielten wir ein vollendetes Experiment der stalinschen Strategie, die von Anfang bis zum Ende im Zeichen des Kampfes gegen die permanente Revolution stand. Es ist deshalb ganz in der Ordnung, wenn der stalinsche Haupttheoretiker der Unterwerfung der Chinesischen Kommunistischen Partei unter die nationalbürgerliche Kuomintang Martynow war, also jener menschewistische Hauptkritiker der Theorie der permanenten Revolution von 1905 bis zum Jahre 1923, wo er seine historische Mission bereits in den Reihen des Bolschewismus zu erfüllen begann.

Das Nötigste darüber, wie die vorliegende Arbeit entstand, ist in dem ersten Kapitel gesagt. In Alma-Ata bereitete ich in aller Ruhe ein theoretisch polemisches Buch gegen die Epigonen vor. Einen großen Platz in dem Buche sollte die Theorie der permanenten Revolution einnehmen. Während der Arbeit erhielt ich ein Manuskript Radeks, das sich damit beschäftigte, der permanenten Revolution die strategische Linie Lenins entgegenzustellen. Radek hatte diesen scheinbar plötzlichen Ausfall aus dem Grunde nötig, weil er selbst bis über den Kopf in der chinesischen Politik Stalins steckte: die Unterwerfung der Kommunistischen Partei unter die Kuomintang hatte Radek (zusammen mit Sinowjew) nicht nur vor dem Streich Tschangkaischeks gepredigt, sondern auch später.

Zur Begründung der Versklavung des Proletariats an die Bourgeoisie berief sich Radek selbstverständlich auf die Notwendigkeit eines Bündnisses mit der Bauernschaft und auf die »Unterschätzung« dieser Notwendigkeit durch mich. Nach Stalin verteidigte auch er mit der bolschewistischen Phraseologie die menschewistische Politik. Mit der Formel der demokratischen Diktatur des Proletariats und der Bauernschaft bemäntelte Radek, darin Stalin folgend, die Ablenkung des chinesischen Proletariats, an der Spitze der Bauernmassen den selbständigen Kampf um die Macht zu führen. Als ich diese geistige Maskerade entlarvte, entstand in Radek das dringende Bedürfnis, geschminkt mit Zitaten aus Lenin, nachzuweisen, mein Kampf gegen den Opportunismus ergäbe sich in Wirklichkeit aus dem Gegensatz zwischen der Theorie der permanenten Revolution und dem Leninismus. Die advokatenhafte Verteidigung seines eigenen Sündenfalls verwandelte Radek in eine Staatsanwaltrede gegen die permanente Revolution. Dieses Auftreten war für ihn nur eine Brücke zur Kapitulation. Ich durfte das mit um so größerem Recht vermuten, als Radek in den vorangegangenen Jahren eine Broschüre zur Verteidigung der permanenten Revolution zu schreiben vorgehabt hatte. Aber ich beeilte mich noch immer nicht, über Radek ein Kreuz zu machen. Ich unternahm den Versuch, seinen Artikel mit aller Offenheit und Entschiedenheit zu beantworten, ohne jedoch Radek den Weg zu einem Rückzug abzuschneiden. Ich drucke meine Antwort an Radek so, wie sie geschrieben wurde, und beschränke mich auf einige erklärende Ergänzungen und stilistische Korrekturen.

Radeks Aufsatz ist in der Presse nicht veröffentlicht worden und ich glaube, er wird auch nicht veröffentlicht werden, denn in der Form, wie er im Jahre 1928 geschrieben wurde, könnte er das Sieb der stalinschen Zensur nicht passieren. Aber auch für Radek selbst wäre dieser Aufsatz heute geradezu vernichtend, denn er würde ein grelles Bild von Radeks geistiger Evolution geben, die sehr stark an die »Evolution« eines Menschen erinnert, der aus der sechsten Etage hinunterstürzt.

Die Entstehung dieser Schrift erklärt zur Genüge, weshalb Radek darin vielleicht einen größeren Platz einnimmt als den, auf den Anspruch zu erheben er ein Recht hat. Radek selbst hat kein einziges Argument gegen die Theorie der permanenten Revolution ausgedacht. Er tritt nur als Epigone der Epigonen auf. Es wird dem Leser deshalb empfohlen, in Radek nicht einfach Radek zu sehen, sondern den Vertreter einer gewissen Kollektivfirma, deren nicht vollberechtigte Mitgliedschaft Radek sich um den Preis der Lossagung vom Marxismus erkauft hat. Sollte trotzdem Radek persönlich die Empfindung haben, es seien auf seinen Teil zu viele Rippenstöße entfallen, so darf er sie nach eigenem Ermessen an die richtigen Adressen weitergeben. Das ist nun eine innere Angelegenheit der Firma. Ich meinerseits mache keine Einwände.


L.T. - Prinkipo, 30. November 1930


1. Der erzwungene Charakter dieser Arbeit und ihr Ziel

Der theoretische Bedarf der Partei, die vom rechtszentristischen Block geleitet wird, wurde sechs Jahre nacheinander durch den Antitrotzkismus gedeckt: das einzige Erzeugnis, das in unbeschränktem Maße vorhanden ist und gratis zur Verteilung kommt. Stalin schloß sich einer "Theorie" zum ersten Mal im Jahre 1924 an, mit seinen unsterblichen Artikeln gegen die permanente Revolution. Sogar Molotow wurde in diesem Becken zum »Führer« getauft. Die Fälschung ist in vollem Gange. Ich sah vor wenigen Tagen zufällig eine Ankündigung der Herausgabe der Leninschen Arbeiten aus dem Jahre 1917 in deutscher Sprache. Das ist ein unschätzbares Geschenk an die fortgeschrittene deutsche Arbeiterschaft. Man kann sich jedoch von vornherein denken, wie viele Fälschungen es dort im Text und besonders in den Anmerkungen geben wird. Es genügt, darauf zu verweisen, daß im Inhaltsverzeichnis an erster Stelle die Briefe Lenins an die Kolontai (nach New York) angegeben sind. Weshalb? Weil diese Briefe schroffe Äußerungen über mich enthalten, beruhend auf völlig falschen Informationen der Kolontai, die in jener Zeit ihrem organischen Menschewismus eine hysterisch ultralinke Impfung gab. In der russischen Ausgabe waren die Epigonen gezwungen, wenigstens zweideutig darauf hinzuweisen, daß Lenin falsch informiert gewesen war. Man kann ohne weiteres annehmen, daß die deutsche Ausgabe auch diesen ausweichenden Vorbehalt nicht bringen wird. Man muß noch hinzufügen, daß in den gleichen Briefen Lenins an die Kolontai wütende Angriffe auf Bucharin enthalten sind, mit dem sich die Kolontai damals solidarisierte. Dieser Teil der Briefe ist allerdings vorläufig unterschlagen worden. Er wird erst im Moment der offenen Kampagne gegen Bucharin auftauchen. Man wird nicht lange darauf zu warten haben.4 Andererseits bleiben wertvolle Dokumente, Artikel und Reden Lenins, sowie Protokolle, Briefe usw. nur deshalb verheimlicht, weil sie gegen Stalin und Co. gerichtet sind, und die Legende vom Trotzkismus untergraben. An der Geschichte der drei russischen Revolutionen, wie auch an der Geschichte der Partei ist buchstäblich kein heiler Fleck mehr übriggeblieben: Theorie, Tatsachen, Traditionen, das Erbe Lenins, alles ist dem "Kampf gegen den Trotzkismus" zum Opfer gebracht worden, der seit der Erkrankung Lenins als persönlicher Kampf gegen Trockij erfunden und organisiert wurde und sich zu einem Kampf gegen den Marxismus entwickelte.

Es hat sich wieder bestätigt, daß die, wie es scheinen könnte, nutzloseste Aufwühlung längst verklungener Streitigkeiten in der Regel irgendein unbewußtes gesellschaftliches Bedürfnis des Tages befriedigt, ein Bedürfnis, das an sich nicht in der Linie der alten Streitigkeiten liegt. Die Kampagne gegen den "alten Trotzkismus" war in Wirklichkeit die Kampagne gegen die Oktobertraditionen, die von der neuen Bürokratie als hemmend und unerträglich empfunden werden. Als "Trotzkismus" begann man alles zu bezeichnen, wovon man sich befreien wollte. So wurde der Kampf gegen den Trotzkismus allmählich der Ausdruck der theoretischen und politischen Reaktion in den breitesten unproletarischen und teilweise auch in den proletarischen Kreisen, sowie der Ausdruck dieser Reaktion in der Partei. Eine besonders karikaturenhafte, historisch verfälschte Gegenüberstellung der permanenten Revolution und der Leninschen Linie in bezug auf das "Bündnis mit dem Bauern", entstand, zusammen mit der Periode der allgemeinen Reaktion wie der internen Parteireaktion, im Jahre 1923, als der vollendetste Ausdruck und die organisierteste Lossagung des Bürokraten und des Kleinbürgers von der internationalen Revolution mit ihren »permanenten« Erschütterungen, als Ausdruck der kleinbürgerlichen und bürokratischen Neigung zu Ruhe und Ordnung. Die bösartige Hetze gegen die permanente Revolution erschien wiederum nur als die Vorbereitung des Bodens für die Theorie der Revolution in einem Lande, das heißt für den National-Sozialismus neuester Formation. Es ist selbstverständlich, daß diese neuen sozialen Wurzeln des Kampfes gegen den "Trotzkismus" an und für sich weder etwas gegen noch für die Richtigkeit der Theorie der permanenten Revolution beweisen. Jedoch ohne Verständnis für diese verborgenen Wurzeln muß der Kampf stets einen akademisch unfruchtbaren Charakter tragen.

Ich war nicht in der Lage, mich in den letzten Jahren dazu zu zwingen, die neuen Aufgaben beiseite zu lassen und mich den alten Fragen zuzuwenden, die mit der Periode der Revolution von 1905 verbunden sind, hauptsächlich soweit sie meine Vergangenheit betreffen und künstlich gegen diese gerichtet wurden. Eine Analyse der alten Meinungsverschiedenheiten, unter anderem meiner alten Fehler im Zusammenhang mit den Verhältnissen, aus denen sie entstanden waren, eine derart gründliche Analyse, daß sie der jungen Generation verständlich wird, von den in politische Kindheit verfallenen Alten zu schweigen, ist nur im Rahmen eines umfangreicheren Buches möglich. Es schien mir ungeheuerlich, eigene und fremde Zeit darauf zu vergeuden, wo dauernd neue Aufgaben von gigantischer Größe erstanden: die Aufgaben der deutschen Revolution, die Frage nach dem weiteren Schicksal Englands, die Frage der gegenseitigen Beziehungen von Amerika und Europa, die Probleme, die durch die Streiks des britischen Proletariats akut wurden, die Aufgaben der chinesischen Revolution und schließlich und hauptsächlich unsere inneren wirtschaftlichen und sozial-politischen Gegensätze und Aufgaben - das alles rechtfertigt, glaube ich, hinreichend die Zurückstellung meiner historisch-polemischen Arbeit über die permanente Revolution. Aber das gesellschaftliche Bewußtsein duldet keine Lücke. Während der letzten Jahre wurde diese theoretische Lücke, wie gesagt, mit dem Kehricht des Antitrotzkismus ausgefüllt. Die Epigonen, Philosophen und Handlanger der Parteireaktion rutschten immer tiefer hinab, gingen zu dem stumpfsinnigen Menschewiken Martynow in die Lehre, traten Lenin mit Füßen, zappelten im Sumpfe herum und nannten das alles Kampf gegen den Trotzkismus. Sie haben es in all diesen Jahren nicht vermocht, auch nur eine irgendwie ernste oder bedeutsame Arbeit zustande zu bringen, die man ohne Scham laut nennen könnte, eine politische Untersuchung von bleibender Bedeutung, eine Prognose, die sich bestätigt, eine selbständige Parole, die uns geistig vorwärts gebracht hätte. Überall nur Verfall und Albernheiten.

Die Stalinschen "Fragen des Leninismus" bilden eine Kodifikation geistigen Ausschusses, ein offizielles Lehrbuch der Engstirnigkeit, eine Kollektion numerierter Banalitäten (ich bemühe mich, die gemäßigten Bezeichnungen zu finden). Der »Leninismus« von Sinowjew ist ... sinowjewscher Leninismus, nicht mehr und nicht weniger. Sein Credo ist fast das des Luther: »Hier stehe ich, aber ... ich kann auch anders.« Die Befassung mit all diesen theoretischen Früchten des Epigonentums ist gleich unerträglich, mit dem einen Unterschiede: bei der Lektüre des sinowjewschen "Leninismus" ist es einem, als ersticke man an ungepreßter Watte, während die stalinschen "Fragen" das physische Gefühl erwecken, als habe man den Hals voll zerhackter Borsten. Diese zwei Bücher sind, jedes in seiner Art, Abbild und Krönung der Epoche der geistigen Reaktion.

Alle Fragen - ob von rechts, von links, von oben, von unten, von vorne oder von hinten - auf den Trotzkismus anwendend, haben die Epigonen es schließlich verstanden, alle Weltereignisse in direkte oder indirekte Abhängigkeit davon zu bringen, wie die permanente Revolution bei Trockij im Jahre 1905 ausgesehen hat. Die von Fälschungen vollgestopfte Legende vom "Trotzkismus" wurde gewissermaßen zu einem Faktor zeitgenössischer Geschichte. Und obwohl die rechtszentristische Linie der letzten Jahre sich in allen Weltteilen durch eine Reihe von Bankrotten in historischem Ausmaße kompromittiert hat, ist der Kampf mit der zentristischen Ideologie der Komintern heute bereits undenkbar oder mindestens sehr erschwert ohne die richtige Bewertung der alten Streitfragen und Prognosen, die ihren Ursprung im Anfange des Jahres 1905 haben.

Die Auferstehung des marxistischen, folglich leninistischen Gedankens in der Partei ist undenkbar ohne eine polemische Vernichtung der Makulatur der Epigonen, ohne theoretisch erbarmungslose Exekution an den Apparat-Exekutoren. Ein solches Buch zu schreiben, ist eigentlich nicht schwer. Alle seine Bestandteile sind gegeben. Dennoch ist es schwer, ein solches Buch zu schreiben, weil man dabei, nach dem Ausdruck des großen Satirikers Saltykow, in das Gebiet der »Abc-Ausdünstungen« hinabsteigen und längere Zeit in dieser wenig ambrosischen Atmosphäre verweilen muß. Aber die Arbeit ist absolut unaufschiebbar, denn gerade auf dem Kampfe gegen die permanente Revolution ist unmittelbar die Verteidigung der opportunistischen Linie in den Fragen des Ostens, d.h. der größten Hälfte der Menschheit, aufgebaut.

Schon war ich dabei, an die wenig verlockende Arbeit einer theoretischen Polemik mit Sinowjew und Stalin heranzugehen und die Bücher unserer Klassiker für die Erholungsstunden zurückzulegen (auch die Taucher müssen ab und zu nach oben steigen, um einen Schluck frischer Luft zu atmen), als, für mich ganz unerwartet, ein Artikel Radeks erschien und zu kursieren begann, der der »tieferen« Gegenüberstellung der Theorie der permanenten Revolution mit den Ansichten Lenins über diese Frage gewidmet ist. Anfangs wollte ich die Arbeit Radeks unbeachtet lassen, um der mir vom Schicksal zugedachten Portion ungepreßter Watte und gehackter Borsten nicht auszuweichen. Doch eine Reihe freundschaftlicher Briefe veranlaßte mich, die radeksche Arbeit aufmerksamer zu lesen, und ich kam zu folgendem Schluß: für einen engeren Kreis von Menschen, der selbständig, nicht auf Befehl, zu denken fähig ist und der den Marxismus gewissenhaft studiert, ist die Arbeit Radeks gefährlicher als die offizielle Literatur - so wie Opportunismus in der Politik um so gefährlicher ist, je verschleierter er auftritt und je größeres persönliches Ansehen ihn deckt. Radek ist einer meiner nächsten politischen Freunde. Das ist durch die Ereignisse der jüngsten Periode genügend besiegelt worden. In den letzten Monaten jedoch haben verschiedene Genossen mit Besorgnis Radeks Entwicklung verfolgt, die ihn vom äußersten linken Flügel der Opposition auf ihren rechtesten Flügel geschoben hat. Wir, die nächsten Freunde Radeks, wissen, daß seine glänzenden politischen und literarischen Fähigkeiten, die sich mit einer seltenen Impulsivität und Sensibilität vereinigen, Eigenschaften sind, die unter Bedingungen kollektiver Arbeit sicher eine wertvolle Quelle für Initiative und Kritik darstellen, unter den Bedingungen der Isoliertheit aber auch ganz andere Früchte tragen können. Die jüngste Arbeit Radeks - in Verbindung mit seinen ihr vorangegangenen Handlungen - führt zu der Erkenntnis, daß Radek den Kompaß verloren hat, oder aber, daß sein Kompaß sich unter der Einwirkung einer anhaltenden magnetischen Störung befindet. Radeks Arbeit ist keinesfalls eine episodische Exkursion in die Vergangenheit; nein, es ist eine nicht genügend durchdachte, aber darum nicht weniger schädliche Unterstützung des offiziellen Kurses, mit all seiner theoretischen Mythologie.

Die oben charakterisierte politische Funktion des heutigen Kampfes gegen den "Trotzkismus" bedeutet selbstverständlich keinesfalls, daß nun innerhalb der Opposition, die sich als marxistischer Stützpunkt gegen die geistig-politische Reaktion herausgebildet hat, eine Kritik unzulässig sei, insbesondere eine Kritik an meinen alten Meinungsverschiedenheiten mit Lenin. Im Gegenteil, eine solche Arbeit der Klärung könnte nur segensreich sein. Hierbei aber wäre eine sorgfältige Wahrung der historischen Perspektive, eine ernste Untersuchung der Quellen und eine Beleuchtung der vergangenen Differenzen im Lichte des heutigen Kampfes unbedingt erforderlich. Von alledem findet sich bei Radek keine Spur. Sich ahnungslos stellend, schließt er sich der gegen den »Trotzkismus« kämpfenden Kette an, wobei er nicht nur die einseitig ausgewählten Zitate, sondern auch ihre in der Wurzel falschen offiziellen Auslegungen benutzt. Dort, wo er sich scheinbar gegen die offizielle Kampagne abgrenzt, tut er es derart zweideutig, daß er ihr in Wirklichkeit die doppelte Hilfe des »unparteiischen« Zeugen leistet. Wie es stets bei einem geistigen Verfall geschieht, enthält die letzte Arbeit Radeks keine Spuren seines politischen Scharfsinns und seiner literarischen Meisterschaft. Es ist eine Arbeit ohne Perspektiven, ohne die drei Dimensionen, eine Arbeit in der Fläche der Zitate und darum - eine flache Arbeit.

Aus welchem politischen Bedürfnis heraus wurde sie geboren? Aus den Meinungsverschiedenheiten, die bei Radek mit der überwiegenden Mehrheit der Opposition in den Fragen der chinesischen Revolution entstanden sind. Man vernimmt zwar einzelne Stimmen, die chinesischen Meinungsverschiedenheiten seien jetzt »nicht aktuell« (Preobraschenski). Aber diese Stimmen verdienen nicht einmal ernstliche Beachtung. Der ganze Bolschewismus ist gewachsen und endgültig erstarkt an der Kritik und der Verarbeitung der Erfahrungen des Jahres 1905, in all ihrer Frische, als diese Erfahrungen noch ein unmittelbares Erlebnis der ersten Generation der Bolschewiki waren. Wie auch anders, an welchem anderen Ereignis könnten die neuen Generationen der proletarischen Revolutionäre lernen, wenn nicht an den frischen, warmen, vom Blute noch dampfenden Erfahrungen der chinesischen Revolution? Nur leblose Pedanten sind imstande, die Fragen der chinesischen Revolution zu »vertagen«, um sie später, in Mußestunden, in aller Ruhe zu »studieren«. Bolschewiken-Leninisten kleidet dies um so weniger, als die Revolutionen in den Ländern des Ostens noch keinesfalls von der Tagesordnung abgesetzt und deren Fristen noch niemandem bekannt sind.

Eine falsche Position in den Fragen der chinesischen Revolution einnehmend, versucht Radek nachträglich, durch eine einseitige und schiefe Darstellung meiner alten Meinungsverschiedenheiten mit Lenin diese Position zu begründen. Und hier ist nun Radek gezwungen, seine Waffen dem fremden Arsenal zu entnehmen und kompaßlos in fremdem Fahrwasser zu schwimmen.

Radek ist mein Freund, aber die Wahrheit ist mir teurer. Ich fühle mich verpflichtet, die umfangreichere Arbeit über die Fragen der Revolution beiseite zu legen, um Radek eine Zurückweisung zu erteilen. Es geht um zu große und in äußerster Schärfe gestellte Fragen. Ich habe dabei eine dreifache Schwierigkeit der Irrtümer in Radeks Arbeit; der Überfluß literarischer historischer Tatsachen aus dreiundzwanzig Jahren (1905 bis 1928), die Radek widerlegen; und drittens die Kürze der Zeit, die ich dieser Arbeit widmen kann, denn es drängen sich wirtschaftliche Probleme der UdSSR in den Vordergrund.

Diese Umstände bestimmen Charakter und Umfang der vorliegenden Arbeit. Sie erschöpft die Frage nicht. Vieles bleibt darin unausgesprochen - teils allerdings auch deshalb, weil sie sich den vorangegangenen Arbeiten, vor allem der "Kritik des Programms der Kommunistischen Internationale" anschließt. Berge von Tatsachenmaterial, die ich über diese Frage gesammelt habe, bleiben unausgenutzt - bis zur Niederschrift des geplanten Buches gegen die Epigonen, das heißt gegen die Ideologie der Reaktionsperiode.

Die Arbeit Radeks über die permanente Revolution gipfelt in der Schlußfolgerung:

»Dem neuen Teil der Partei (Opposition) droht die Gefahr der Entstehung von Tendenzen, welche in der Folge die proletarische Revolution von ihrem Verbündeten - der Bauernschaft losreißen.«

Es verblüfft auf den ersten Blick, daß diese Schlußfolgerung in bezug auf den »neuen« Teil der Partei in der zweiten Hälfte des Jahres 1928 als eine neue Schlußfolgerung ausgegeben wird. Wir vernehmen es ununterbrochen seit dem Herbst 1923. Wie aber begründet Radek seine Wendung zur offiziellen Hauptthese? Wiederum nicht auf neuen Wegen: er kehrt zur Theorie der permanenten Revolution zurück. In den Jahren 1924-25 hatte Radek mehrfach die Absicht gehabt, eine Broschüre zu schreiben, die dem Gedanken gewidmet sein sollte, zu beweisen, daß die Theorie der permanenten Revolution und die leninsche Parole von der demokratischen Diktatur des Proletariats und der Bauernschaft, im historischen Maßstabe gesehen, d.h. im Lichte der von uns durchlebten drei Revolutionen, keinesfalls einander gegenübergestellt werden könnten, sondern, im Gegenteil, sich im wesentlichen decken, jetzt, nachdem er die Frage - wie er einem seiner Freunde schreibt - »aufs neue« durchgearbeitet hat, ist Radek zu der Schlußfolgerung gekommen, daß die alte permanente Theorie den »neuen« Teil der Partei mit nicht mehr und nicht weniger als mit der Gefahr der Lostrennung von der Bauernschaft bedrohe.

Wie aber hat Radek diese Frage durchgearbeitet? Er gibt uns darüber einige Mitteilungen:

»Wir haben die Formulierungen nicht bei der Hand, die Trockij im Jahre 1905 in einer Vorrede zu Marx "Bürgerkrieg in Frankreich" und im Jahre 1905 in "Unsere Revolution" gegeben hat.«

Die Jahre sind hier zwar nicht ganz richtig angegeben, doch es lohnt nicht, dabei zu verweilen. Es handelt sich darum, daß die einzige Arbeit, in der ich in jener Zeit meine Ansichten über die Entwicklung der Revolution mehr oder weniger systematisch dargelegt habe, ein größerer Aufsatz ist: "Ergebnisse und Perspektiven" (Seite 224-286 des Buches "Unsere Revolution", Petersburg 1906). Der Aufsatz in dem polnischen Organ von Rosa Luxemburg und Tyschko (1909), auf den Radek verweist, den er aber leider im Sinne Kamenjews auslegt, erhebt keine Ansprüche auf Vollständigkeit und Geschlossenheit. Theoretisch stützte sich diese Arbeit auf das oben genannte Buch "Unsere Revolution". Niemand ist verpflichtet, dieses Buch jetzt zu lesen. Danach sind derart große Ereignisse geschehen und von diesen Ereignissen haben wir soviel gelernt, daß mich, offen gestanden, die Manier der Epigonen anwidert, neue historische Probleme nicht im Lichte der lebendigen Erfahrungen der von uns bereits vollzogenen Revolutionen zu betrachten, sondern hauptsächlich im Lichte der Zitate, die sich auf unsere Prognose über künftige Revolutionen beziehen. Ich will damit selbstverständlich Radek nicht das Recht absprechen, an die Frage auch von der historisch-literarischen Seite heranzugehen. Dann aber muß es in richtiger Weise geschehen. Radek unternimmt den Versuch, das Schicksal der Theorie der permanenten Revolution im Verlauf eines Vierteljahrhunderts zu beleuchten, und bemerkt nebenbei, er habe gerade jene Arbeiten »nicht bei der Hand«, in denen ich diese Theorie darlege.

Ich will hier gleich darauf hinweisen, daß Lenin, wie mir jetzt beim Lesen seiner alten Arbeiten besonders klar wurde, den oben erwähnten grundlegenden Artikel nicht gelesen hatte. Das läßt sich wahrscheinlich nicht allein damit erklären, daß »Unsere Revolution«, das im Jahre 1906 erschien, bald konfisziert wurde, und daß wir in die Emigration gerieten, sondern auch damit, daß zwei Drittel dieses Buches aus Nachdrucken alter Beiträge bestanden. Ich habe später von vielen Genossen gehört, daß sie dieses Buch nicht gelesen hätten, weil sie der Meinung waren, es bestehe ausschließlich aus Nachdrucken alter Arbeiten. Jedenfalls beruhen die wenigen zerstreuten polemischen Bemerkungen Lenins gegen die permanente Revolution ausschließlich auf dem Vorwort von Parvus zu meiner Broschüre "Bis zum 9. Januar", ferner auf Parvus' mir völlig unbekannt gebliebene Proklamation "Ohne Zaren" und auf innerparteilichen Differenzen Lenins mit Bucharin und anderen. Niemals hat Lenin irgendwo, sei es auch nur nebenbei, die "Ergebnisse und Perspektiven" analysiert, und einige sich offensichtlich auf mich beziehende Erwiderungen Lenins gegen die permanente Revolution, beweisen direkt, daß er diese Arbeit nicht gelesen hatte.5

Es wäre jedoch irrig zu glauben, Lenins »Leninismus« bestehe gerade darin. Dies scheint aber die Ansicht Radeks zu sein. Jedenfalls beweist Radeks von mir hier zu untersuchender Artikel nicht nur, daß er meine grundlegenden Arbeiten »nicht bei der Hand«, sondern auch, daß er sie wohl niemals gelesen, und wenn er sie gelesen haben sollte, so vor langer Zeit, vor der Oktoberumwälzung, und daß er jedenfalls nicht viel davon im Gedächtnis behalten hat.

Darauf aber beschränkt sich die Sache nicht. Wenn es auch in den Jahren 1905 oder 1909 zulässig und sogar unvermeidlich war, über einzelne damals aktuelle Artikel und sogar über einzelne Sätze der einzelnen Artikel miteinander zu polemisieren, besonders unter den Verhältnissen der Spaltung, so muß sich heute ein revolutionärer Marxist, will er Rückschau halten über eine gewaltige historische Periode, doch die Frage stellen: wie wurden die betreffenden Formeln in der Praxis angewandt, wie wurden sie bei der Anwendung gedeutet? Wie war die Taktik? Wenn Radek sich die Mühe gemacht haben würde, auch nur die zwei Bücher: "Unsere erste Revolution" ("Gesammelte Werke") durchzublättern, er hätte den Mut nicht gefunden, seine heutige Arbeit zu schreiben, jedenfalls würde er eine ganze Reihe seiner schwungvollen Behauptungen gestrichen haben. Ich möchte es mindestens hoffen.

Radek würde aus diesen zwei Büchern in erster Linie erfahren haben, daß die permanente Revolution für mich in meiner politischen Tätigkeit keinesfalls ein Überspringen der demokratischen Etappe der Revolution oder deren besondere Stufen bedeutet hat. Er hätte sich davon überzeugen können, daß ich, wiewohl das ganze Jahr 1905 illegal, ohne Verbindung mit der Emigration, in Rußland weilend, die einander folgenden Etappen der Revolution in gleicher Weise wie Lenin formuliert habe; er hätte erfahren können, daß die grundsätzlichen Aufrufe an die Bauern, die von der Zentraldruckerei der Bolschewiki im Jahre 1905 herausgegeben wurden, von mir geschrieben waren; daß die von Lenin redigierte 'Nowaja Schisn' ('Neues Leben') in einer redaktionellen Notiz meinen im 'Natschalo' ('Anfang') erschienenen Artikel über die permanente Revolution entschieden in Schutz genommen hat; daß die leninsche 'Nowaja Schisn' und mitunter Lenin selbst jene politischen Beschlüsse des Sowjets der Deputierten unterstützte und verteidigte, deren Autor ich war und die ich in neun von zehn Fällen als Berichterstatter vertrat; daß ich, nach der Zertrümmerung vom Dezember, im Gefängnis eine taktische Broschüre schrieb, in der ich die Verbindung des proletarischen Angriffs mit der Agrarrevolution der Bauern als das zentrale strategische Problem zeigte; daß Lenin diese Broschüre in dem bolschewistischen Verlag "Nowaja Wolna" ("Neue Welle") druckte und mir durch Knunianz seine starke Zustimmung aussprechen ließ; daß Lenin auf dem Londoner Kongreß von 1907 von meiner "Solidarität" mit dem Bolschewismus in den Ansichten über Bauernschaft und liberale Bourgeoisie gesprochen hat. Das alles existiert für Radek nicht: wahrscheinlich hatte er auch das nicht »bei der Hand« gehabt.

Wie verhält sich bei Radek die Sache mit den Arbeiten von Lenin? Nicht besser oder nicht viel besser. Radek beschränkt sich auf jene Zitate, die Lenin zwar gegen mich gerichtet, aber häufig gegen andere gemeint hat (z.B. gegen Bucharin und Radek: ein offener Hinweis darauf befindet sich bei Radek selbst). Nicht ein einziges neues Zitat hat Radek anzuführen gewußt: er hat einfach das fertige Zitatenmaterial verwendet, das jetzt fast jeder Bürger der UdSSR »bei der Hand« hat. Radek hat nur einige Zitate hinzugefügt, in denen Lenin den Anarchisten und den Sozialrevolutionären die Anfangswahrheiten über den Unterschied zwischen bürgerlicher Republik und Sozialismus auseinandersetzte, wobei es bei Radek so aussieht, als seien diese Sätze gegen mich gerichtet gewesen. Kaum glaubhaft, aber es ist so!

Radek umgeht völlig jene alten Erklärungen, in denen Lenin sehr zurückhaltend und sehr karg, aber mit um so größerem Nachdruck meine Solidarität mit dem Bolschewismus in den grundsätzlichen revolutionären Fragen feststellt. Man darf hierbei keinen Augenblick vergessen, daß Lenin das zu einer Zeit tat, als ich der bolschewistischen Fraktion nicht angehörte, und daß Lenin mich erbarmungslos (und mit Recht) wegen meines Versöhnlertums angriff - nicht wegen der permanenten Revolution, wo er sich nur auf gelegentliche Erwiderungen beschränkte -, sondern wegen meines Versöhnlertums, wegen meiner Bereitwilligkeit, auf die Entwicklung der Menschewiki nach links zu hoffen. Lenin war um den Kampf mit dem Versöhnlertum viel besorgter als um die »Berechtigung« einzelner polemischer Schläge gegen den »Versöhnler« Trockij.

Im Jahre 1924, Sinowjews Verhalten im Oktober 1917 vor mir verteidigend, schrieb Stalin:

»Genosse Trockij hat die Briefe Lenins [über Sinowjew L.T.], ihre Bedeutung und ihre Bestimmung nicht begriffen. Lenin pflegte manchmal in seinen Briefen absichtlich vorauszueilen und jene möglichen Fehler, die gemacht werden könnten, in den Vordergrund zu schieben. Er kritisiert sie auf Vorschuß, in der Absicht, die Partei zu warnen und sie gegen Fehler zu sichern, oder er übertrieb manchmal eine »Lappalie« und machte mit der gleichen pädagogischen Absicht »aus der Mücke einen Elefanten« ... Aber aus solchen Briefen Lenins (und solcher Briefe von ihm gibt es nicht wenige) den Schluß auf »tragische« Meinungsverschiedenheiten zu ziehen und darüber in alle Welt zu posaunen - das heißt, Lenins Briefe nicht zu verstehen, Lenin nicht kennen. (J.Stalin, "Trotzkismus oder Leninismus", 1924.)

Ist die Formulierung auch tölpelhaft: »Der Stil ist der Mensch«, so sind die Gedanken im wesentlichen doch richtig, wenn sie auch am allerwenigsten gerade auf die Meinungsverschiedenheiten über den Oktober 1917 passen, die einer »Mücke« nicht ganz ähnlich sind. Wenn aber Lenin zu »pädagogischen« Übertreibungen und zur Präventivpolitik gegen die nächsten Mitglieder der eigenen Fraktion zu greifen pflegte, dann sicher um so mehr gegenüber einem Menschen, der damals außerhalb der bolschewistischen Fraktion stand und das Versöhnlertum predigte. Radek kam es gar nicht in den Sinn, diesen korrigierenden Koeffizienten in den alten Zitaten zu berücksichtigen.

Im Jahre 1922 schrieb ich in dem Vorwort zu meinem Buch "1905", daß meine Prognose, die Diktatur des Proletariats sei in Rußland früher als in den fortgeschrittenen Ländern wahrscheinlich und möglich, sich in der Tat nach zwölf Jahren bestätigt habe. Radek, einem nicht sehr verführerischen Beispiel folgend, schildert es so, als hätte ich diese Prognose der strategischen Linie Lenins entgegengehalten. Aus dem »Vorwort« ist jedoch klar zu ersehen, daß ich die Prognose der permanenten Revolution in jenen ihren Grundzügen betrachtete, in denen sie sich mit der strategischen Linie des Bolschewismus deckt. Wenn ich in einer Anmerkung von der »Umbewaffnung« der Partei zu Beginn des Jahres 1917 spreche, so doch gewiß nicht in dem Sinne, als habe Lenin den früheren Weg der Partei als »irrig« erkannt, sondern, daß Lenin, wenn auch mit einer Verspätung, so doch zum Glück für die Revolution rechtzeitig genug, nach Rußland gekommen war, um die Partei zu lehren, sich von der überlebten Parole »demokratischer Diktatur« zu befreien, an die sich die Stalin, Kamenjew, Rykows, Molotow usw. noch immer klammerten. Wenn die Kamenjews sich über die Erwähnung der »Umbewaffnung« entrüsteten, so ist es begreiflich, denn sie wurde gegen sie unternommen. Aber Radek? Er begann erst im Jahre 1928 sich zu entrüsten, das heißt, erst nachdem er selbst sich der notwendigen »Umbewaffnung« der chinesischen kommunistischen Partei zu widersetzen begonnen hatte.

Wir wollen Radek daran erinnern, daß meine Bücher "1905" (mit dem inkriminierten "Vorwort") und die "Oktoberrevolution" zu Lenins Lebzeiten die Rolle der grundlegenden historischen Lehrbücher der beiden Revolutionen spielten. Sie haben damals unzählige Auflagen erlebt sowohl in der russischen wie in den fremden Sprachen. Niemals hat mir jemand gesagt, daß meine Bücher die Gegenüberstellung zweier Linien enthalten, weil damals, vor dem revisionistischen Kurswechsel durch die Epigonen, jedes normal denkende Parteimitglied die Oktober-Erfahrungen nicht im Lichte der alten Zitate betrachtete, sondern die alten Zitate im Lichte der Oktoberrevolution.

Damit in Verbindung steht noch ein anderes Moment, das Radek auf unerlaubte Weise mißbraucht: Trockij habe doch anerkannt - sagt er -, daß Lenin gegen ihn recht behalten habe. Gewiß, das hat er anerkannt. Und in dieser Anerkennung war kein Jota von Diplomatie. Ich aber meinte den gesamten historischen Weg Lenins, seine ganze theoretische Einstellung, seine Strategie, seinen Parteiaufbau. Das betrifft jedoch nicht jedes polemische Zitat, das heute überdies mißbraucht wird für Zwecke, die dem Leninismus feindlich sind. Im Jahre 1926, in der Periode des Blocks mit Sinowjew, warnte mich Radek: Sinowjew brauche meine Erklärung, daß Lenin recht gehabt habe, um sein, Sinowjews, Unrecht gegen mich ein wenig zu entschuldigen. Ich hatte das natürlich gut begriffen. Und deshalb sagte ich auf dem VII. Plenum des EKKI, daß ich das historische Recht Lenins und seiner Partei gemeint, keinesfalls aber das Recht meiner heutigen Kritiker, die bemüht sind, sich mit bei Lenin herausgezupften Zitaten zu decken.

Heute bin ich leider gezwungen, diese Worte auf Radek auszudehnen. In bezug auf die permanente Revolution habe ich nur von den Lücken der Theorie gesprochen, die insofern unvermeidlich waren, als es sich um eine Prognose handelte, Bucharin hat auf dem VII. Plenum des EKKI mit Recht betont, daß Trockij sich von der Konzeption in ihrer Gesamtheit nicht lossage. Über die »Lücken« werde ich in einer anderen, umfangreicheren Arbeit sprechen, in der ich versuchen will, die Erfahrung der drei Revolutionen und deren Anwendung für den weiteren Weg der Komintern, besonders im Osten, darzustellen. Um aber keinen Platz für Zweideutigkeiten zu lassen, will ich hier kurz sagen: trotz aller ihrer Lücken ist die Theorie der permanenten Revolution, selbst in der Darstellung meiner frühesten Arbeiten, vor allem in den »Ergebnissen und Perspektiven« (1906) in unvergleichlich größerem Maße vom Geiste des Marxismus durchdrungen und steht folglich der historischen Linie Lenins und der Bolschewistischen Partei unvergleichlich näher, nicht nur als die heutigen stalinschen und bucharinschen rückschauenden Weisheiten, sondern auch als die letzte Arbeit Radeks. Damit will ich aber keineswegs sagen, daß die Konzeption der Revolution in allen meinen Schriften die gleiche unverrückbare Linie darstelle. Ich habe mich nicht mit der Sammlung alter Zitate beschäftigt - dazu zwingt mich jetzt die Periode der Parteireaktion und des Epigonentums -, sondern ich habe schlecht und recht versucht, die realen Lebensprozesse zu analysieren. Aus den zwölf Jahren (1905-19117) meiner revolutionären journalistischen Tätigkeit gibt es auch solche Artikel, in denen die Konjunkturverhältnisse, und sogar die im Kampfe unvermeidlichen konjunkturpolemischen Übertreibungen unter Verletzung der strategischen Linie hervorstechen. So kann man zum Beispiel Artikel finden, in denen ich über die zukünftige revolutionäre Rolle der gesamten Bauernschaft, als eines Standes Zweifel äußerte und in Verbindung damit es ablehnte, besonders während des imperialistischen Krieges, die zukünftige russische Revolution als eine "nationale" zu bezeichnen, da ich diese Bezeichnung als zweideutig empfand. Man darf aber dabei nicht vergessen, daß die uns interessierenden, historischen Prozesse, auch die in der Bauernschaft, jetzt bedeutend klarer zutage liegen nachdem sie sich vollzogen haben, als in jener Zeit, wo sie sich erst entwickelten. Ich will nebenbei bemerken, daß Lenin - der die Bauernfrage in ihrem ganzen gigantischen historischen Ausmaße keinen Augenblick außer acht gelassen hat, und von dem wir alle dies gelernt haben -, sogar noch nach der Februar-Revolution es als ungewiß betrachtete, ob es gelingen würde, die Bauernschaft von der Bourgeoisie loszureißen und dem Proletariat anzugliedern. Ich möchte übrigens den strengen Kritikern ganz allgemein sagen, daß es viel leichter ist, aus einem Vierteljahrhundert fremder Zeitungsartikel innerhalb einer Stunde die formalen Widersprüche herauszufinden, als selber auch nur ein Jahr lang die Einheit der grundsätzlichen Linie zu wahren.

Es bleibt noch übrig, in diesen einführenden Zeilen eine ganz besonders bemerkenswerte Ergänzung zu erwähnen: wenn die Theorie der permanenten Revolution richtig gewesen wäre, sagt Radek -, würde Trockij auf dieser Basis eine große Fraktion versammelt haben. Das sei aber nicht geschehen. Folglich ... war die Theorie falsch.

Das Argument Radeks als Ganzes genommen, riecht nicht eine Spur nach Dialektik. Aus ihm könnte man folgern, daß der Standpunkt der Opposition in der Frage der chinesischen Revolution, oder daß die Stellung von Marx in der britischen Angelegenheit falsch war; daß die Stellung der Komintern in bezug auf die Reformisten in Amerika, in Österreich, und wenn man will - in allen Ländern falsch ist. Nimmt man das Argument Radeks nicht in seiner allgemein "historisch-philosophischen" Form, sondern nur angewandt auf die uns interessierende Frage, dann schlägt es Radek selbst: das Argument könnte irgendeinen Sinn haben, wenn ich der Meinung wäre, oder, was noch wichtiger ist, wenn die Ereignisse gezeigt hätten, daß die Linie der permanenten Revolution der strategischen Linie des Bolschewismus widerspricht, zu ihr im Gegensatz steht und sich von ihr immer weiter entfernt: nur dann wäre der Boden für zwei Fraktionen gegeben. Das aber will Radek gerade beweisen. Ich aber beweise dagegen, daß, trotz allen fraktionell-polemischen Übertreibungen und konjunkturmäßigen Zuspitzungen der Frage, die strategische Grundlinie die gleiche war. Woher sollte dann eine zweite Fraktion gekommen sein? In Wirklichkeit war es so, daß ich in der ersten Revolution Hand in Hand mit den Bolschewiki arbeitete und später in der internationalen Presse diese gemeinsame Arbeit gegen die Renegatenkritik der Menschewiki verteidigte. In der Revolution 1917 habe ich gemeinsam mit Lenin gegen den demokratischen Opportunismus jener "alten Bolschewiki" gekämpft, die heute von der reaktionären Welle emporgehoben und auf die Hetzjagd gegen die permanente Revolution geschickt wurden.

Schließlich hatte ich niemals versucht, auf der Basis der Theorie der permanenten Revolution eine Gruppierung zu schaffen. Meine innerparteiliche Stellung war eine versöhnlichere, und wenn ich in gewissen Augenblicken Gruppierungen anstrebte, so eben auf dieser Basis. Mein Versöhnlertum entstammte einem gewissen sozialrevolutionären Fatalismus. Ich glaubte, die Logik des Klassenkampfes werde beide Fraktionen zwingen, die gleiche revolutionäre Linie zu verfolgen. Mir war damals der große historische Sinn der Haltung Lenins noch unklar, seiner Politik der unversöhnlichen geistigen Abgrenzung und, wenn nötig, Spaltung zum Zwecke der Vereinigung und Stählung des Rückgrates der wahrhaft proletarischen Partei. 1911 schrieb Lenin darüber:

»Das Versöhnlertum ist das Ergebnis von Stimmungen, Bestrebungen und Meinungen, die untrennbar mit dem Wesen der historischen Aufgabe verbunden sind, die in konterrevolutionären Epochen der Jahre 1908-1911 vor der Russischen Sozialdemokratischen Arbeiterpartei gestellt war. Deshalb verfiel in dieser Epoche eine ganze Reihe von Sozialdemokraten dem Versöhnlertum, ausgehend von den verschiedensten Voraussetzungen. Am konsequentesten hat Trockij das Versöhnlertum vertreten, der beinahe als einziger versuchte, dieser Richtung ein theoretisches Fundament zu schaffen.« (Bd. XI. 2.T., S. 371.)

Indem ich die Einheit um jeden Preis anstrebte, mußte ich unwillkürlich und unvermeidlich die zentristischen Tendenzen im Menschewismus idealisieren. Trotz der dreifachen episodischen Versuche kam ich zu keiner gemeinsamen Arbeit mit den Menschewiki und konnte auch nicht dazu kommen. Gleichzeitig jedoch brachte mich die versöhnlichere Linie in eine um so schroffere Stellung zum Bolschewismus, als Lenin, im Gegensatze zu den Menschewiki, das Versöhnlertum unbarmherzig zurückwies, und es auch nicht anders tun konnte. Es ist selbstverständlich, daß sich auf der Plattform des Versöhnlertums keine Fraktion schaffen ließ. Daraus ergibt sich die Lehre: es ist unzulässig und schädlich, eine politische Linie zugunsten des vulgären Versöhnlertums umzubiegen oder zu schwächen; es ist unzulässig, den Zentrismus, der nach links zickzackt, zu beschönigen; es ist unzulässig, auf der Jagd nach den Irrlichtern des Zentrismus Meinungsverschiedenheiten mit wirklich revolutionären Gesinnungsgenossen zu übertreiben. Das sind die wahren Lehren aus den Fehlern Trockijs. Diese Lehren sind sehr bedeutsam. Sie behalten auch jetzt ihre ganze Kraft und gerade Radek sollte darüber gut nachdenken.

Mit dem Zynismus, der ihn auszeichnet, hat Stalin einmal gesagt:

»Trotzki muß es wissen, daß Lenin bis ans Ende seines Lebens gegen die Theorie der permanenten Revolution gekämpft hat. Aber das beunruhigt ihn nicht.« ('Prawda' Nr. 262, 12.11.26.)

Das ist eine plumpe, illoyale, das heißt rein stalinsche Karikatur auf die Wirklichkeit. In einem Appell an die ausländischen Kommunisten erklärte Lenin, daß Meinungsverschiedenheiten innerhalb der Kommunisten etwas ganz anderes sind, als Meinungsverschiedenheiten mit den Sozialdemokraten. Solche Meinungsverschiedenheiten, schrieb er, hätte der Bolschewismus auch früher schon durchgemacht. Aber

»im Augenblick der Eroberung der Macht und der Schaffung der Sowjetrepublik war der Bolschewismus einig und hat die besten der ihm nächsten Strömungen des sozialistischen Gedankens herangezogen«.« (Bd. XVI, S. 333.)

Welche nächsten Strömungen des sozialistischen Gedankens hatte Lenin gemeint, als er diese Zeilen schrieb? Martynow und Kuusinen? Oder Cachin, Thälmann und Smeral? Schienen etwa sie ihm als die »besten« aus den nächsten Strömungen? Welche andere Richtung war dem Bolschewismus näher als die, die ich in allen grundsätzlichen Fragen, auch in der Bauernfrage, vertrat? Sogar Rosa Luxemburg ist im ersten Augenblick vor der Agrarpolitik der bolschewistischen Regierung zurückgeschreckt. Für mich aber gab es hier überhaupt keine Frage. Wir waren zu zweien am Tische, als Lenin mit einem Bleistift den Entwurf seines Agrargesetzes niederschrieb. Und der Meinungsaustausch bestand aus kaum mehr als einem Dutzend kurzer Repliken, deren Sinn etwa der folgende war: ein widerspruchsvoller, aber historisch gänzlich unvermeidlicher Schritt; unter dem Regime der proletarischen Diktatur und im Ausmaße der Weltrevolution werden sich die Widersprüche ausgleichen - man braucht nur Zeit. Wenn wirklich in der Bauernfrage zwischen der Theorie der permanenten Revolution und der leninschen Dialektik ein diametraler Gegensatz bestand, wie will dann Radek die Tatsache erklären, daß ich, ohne auf meine grundlegenden Ansichten über den Entwicklungsgang der Revolution zu verzichten, im Jahre 1917 nicht im geringsten über die Bauernfrage gestolpert bin, wie die Mehrzahl der damaligen bolschewistischen Spitzen? Wie erklärt Radek die Tatsache, daß die heutigen Theoretiker und Politiker des Antitrotzkismus - die Sinowjew, Kamenjew, Stalin, Rykow, Molotow usw. usw. - nach der Februarrevolution alle bis auf den letzten Mann die vulgär-demokratische, nicht aber die proletarische Position eingenommen hatten? Und noch einmal: von wem und wovon konnte Lenin überhaupt gesprochen haben, als er auf die Verschmelzung des Bolschewismus mit den besten Elementen der ihm nächsten marxistischen Strömungen verwies? Und beweist nicht Lenins abschließendes Urteil über die vergangenen Meinungsverschiedenheiten, daß er jedenfalls keine zwei unversöhnlichen strategischen Linien sah?

Noch bemerkenswerter in dieser Hinsicht ist die Rede Lenins in der Sitzung des Petrograder Komitees vom 1./14. November 19176. Dort wurde die Frage nach einer Verständigung mit Menschewiki und Sozialrevolutionären behandelt. Die damaligen Anhänger der Koalition versuchten auch dort, allerdings sehr zaghaft, auf den »Trotzkismus« anzuspielen. Was hat Lenin geantwortet?

»...Verständigung? ich kann darüber nicht einmal ernsthaft sprechen. Trockij hat längst gesagt, daß eine Einigung unmöglich ist. Trockij hat das begriffen - seitdem hat es keinen besseren Bolschewiken gegeben.«

Nicht die permanente Revolution, sondern das Versöhnlertum war es, was mich, nach der Ansicht Lenins, vom Bolschewismus getrennt hatte. Um der »beste Bolschewik« zu werden, hatte ich, wie wir hören, nur nötig, die Unmöglichkeit einer Verständigung mit den Menschewiki zu begreifen.

Wie aber ist der schroffe Charakter der Wendung Radeks gerade in der Frage der permanenten Revolution zu erklären? Ein Element der Erklärung glaube ich zu besitzen. Radek war im Jahre 1916, wie wir aus seinem Artikel erfahren, mit der permanenten Revolution einverstanden, aber in der Bucharinschen Deutung, nach der die bürgerliche Revolution in Rußland beendet sei - nicht nur die revolutionäre Rolle der Bourgeoisie und nicht einmal die historische Rolle der Parole »demokratische Diktatur«, sondern die bürgerliche Revolution an sich -, und daß deshalb das Proletariat unter rein sozialistischem Banner zur Machteroberung schreiten müsse. Offenbar hatte Radek auch meine damalige Position auf Bucharinsche Art gedeutet: andernfalls hätte er sich doch nicht gleichzeitig mit Bucharin und mit mir solidarisieren können. Dieses erklärt übrigens auch, weshalb Lenin gegen Bucharin und Radek, mit denen er ja gemeinsam arbeitete, polemisierte, wobei er sie unter dem Pseudonym Trockij auftreten ließ. (Radek gesteht in seinem Artikel auch dies.) Ich erinnere mich, daß auch M.N. Pokrowski, ein Gesinnungsgenosse von Bucharin und ein unermüdlicher Konstrukteur historischer, mit großem Geschick marxistisch gefärbter Schemen, mich in Paris bei Gesprächen über diese Frage mit seiner problematischen »Solidarität« ängstigte. (In der Politik war und blieb Pokrowski ein Anti-Kadett, was er aufrichtig für Bolschewismus hält.)

In den Jahren 1924-25 hat Radek offensichtlich noch immer von geistigen Erinnerungen an die Bucharinsche Position von 1916 gelebt, die er mit der meinen zu identifizieren fortfuhr. Auf Grund eines flüchtigen Studiums der Schriften Lenins mit Recht von der Hoffnungslosigkeit seiner Position enttäuscht, beschrieb Radek wohl, wie es in solchen Fällen häufig zu geschehen pflegt, um meinen Kopf einen Bogen von 180 Grad. Das ist sehr wahrscheinlich, weil es typisch ist. So unterschiebt mir Bucharin, der sich in den Jahren 1923-25 selbst vollständig umkrempelte, d.h. sich aus einem Ultralinken in einen Opportunisten verwandelte, dauernd seine eigene geistige Vergangenheit, die er für »Trotzkismus« ausgibt. In der ersten Periode der Kampagne gegen mich, als ich es manchmal noch fertig brachte, die Artikel Bucharins anzusehen, pflegte ich mich häufig zu fragen: woher hat er das? - aber bald erriet ich es, er hatte in sein gestriges Tagebuch geblickt. Und nun denke ich, ob nicht der Verwandlung Radeks aus einem Paulus der permanenten Revolution in deren Saulus, das gleiche psychologische Fundament zugrunde liegt? Ich wage nicht, auf dieser Hypothese zu bestehen. Aber eine andere Erklärung kann ich nicht finden.

So oder so, nach meinem französischen Ausdruck: die Flasche ist entkorkt, der Wein muß getrunken werden. Wir sind gezwungen, eine größere Exkursion in das Gebiet der alten Zitate zu unternehmen. Soweit es anging, habe ich ihre Zahl vermindert. Doch sind ihrer noch viele. Als Rechtfertigung möge die Tatsache dienen, daß ich mich die ganze Zeit bemühe, von dem mir aufgezwungenen Wühlen in alten Zitaten Fäden zu finden zu den brennenden Fragen der Gegenwart.

2. Die permanente Revolution ist nicht ein "Sprung" des Proletariats, sondern die Umgestaltung der Nation unter der Leitung des Proletariats
Radek schreibt:

»Das wesentliche Merkmal, das den Gedankenkreis, den man Theorie und Taktik [man beachte: auch die Taktik. L.T.] der "permanenten Revolution", nennt, von der leninschen Theorie unterscheidet, besteht in der Vermengung der Etappe der bürgerlichen Revolution mit der Etappe der sozialistischen Revolution.«

Mit diesem grundsätzlichen Vorwurf eng verbunden sind, oder aus ihm ergeben sich, andere, nicht weniger schwerwiegende Anklagen: Trockij habe nicht begriffen, daß »unter den russischen Verhältnissen eine sozialistische Revolution unmöglich ist, die nicht aus der demokratischen Revolution erwächst«. Woraus sich das »Überspringen der Stufe der demokratischen Diktatur« von selbst ergibt. Trockij »leugnete« die Rolle der Bauernschaft, worin »die Gemeinsamkeit der Ansichten Trockijs mit denen der Menschewiki« bestand. Wie gesagt, das alles soll nach dem System der indirekten Indizien die Unrichtigkeit meiner Position in den grundlegenden Fragen der chinesischen Revolution beweisen.

Gewiß, in formal-literarischer Hinsicht kann sich Radek hie und da auf Lenin berufen. Das tut er auch: diesen Teil der Zitate hat jeder »bei der Hand«. Wie ich aber bald nachweisen werde, hatten diese Behauptungen Lenins in bezug auf mich einen rein episodischen Charakter und waren unrichtig, d.h. sie charakterisierten in keiner Weise meine wirkliche Position im Jahre 1905. Bei Lenin selbst gibt es ganz andere, direkt entgegengesetzte und viel begründetere Äußerungen über meine Stellung in den grundsätzlichen Fragen der Revolution. Radek hat nicht einmal den Versuch gemacht, die verschiedenen und direkt entgegengesetzten Äußerungen Lenins zu vereinen, und diese polemischen Widersprüche durch eine Gegenüberstellung mit meinen tatsächlichen Ansichten zu erläutern.7

Im Jahre 1906 gab Lenin mit einem eigenen Vorwort einen Artikel Kautskys über die bewegenden Kräfte der russischen Revolution heraus. Ohne davon etwas zu wissen, übersetzte ich im Gefängnis den Artikel Kautskys ebenfalls, versah ihn mit einem Vorwort und nahm ihn in mein Buch: "Zur Verteidigung der Partei" auf. Sowohl Lenin wie ich äußerten unsere völlige Zustimmung zu der Analyse Kautskys. Auf die Frage Plechanows: ist unsere Revolution eine bürgerliche oder eine sozialistische? hatte Kautsky geantwortet, sie sei schon keine bürgerliche mehr, aber auch noch keine sozialistische, d.h. sie bilde die Übergangsform von der einen zur anderen. Lenin schrieb dazu in seinem Vorwort:

»Haben wir es bei uns mit einer ihrem Gesamtcharakter nach bürgerlichen oder mit einer sozialistischen Revolution zu tun? Das ist die alte Schablone, sagt Kautsky. So darf man die Frage nicht stellen, das ist nicht marxistisch. Die Revolution in Rußland ist keine bürgerliche, denn die Bourgeoisie gehört nicht zu den treibenden Kräften der heutigen revolutionären Bewegung Rußlands. Die Revolution in Rußland ist aber auch keine sozialistische.« (Bd. VIII. S. 82.)

Man kann allerdings nicht wenige Stellen bei Lenin finden, geschrieben vor und nach diesem Vorwort, wo er die russische Revolution kategorisch eine bürgerliche nennt. Ist das ein Widerspruch? Wenn man mit den Methoden der heutigen Kritiker des »Trotzkismus« an Lenin herangeht, so kann man bei ihm Dutzende und Hunderte solcher »Widersprüche« finden, die sich für einen ernsten und gewissenhaften Leser mit der Verschiedenheit der Fragestellung zu verschiedenen Zeitpunkten erklären, was keinesfalls die Einheit der Leninschen Konzeption verletzt.

Andererseits habe ich niemals den bürgerlichen Charakter der Revolution im Sinne ihrer aktuellen historischen Aufgaben, sondern nur im Sinne der sie bewegenden Kräfte und ihrer Perspektiven bestritten. Mit folgenden Sätzen beginnt meine grundlegende Arbeit aus jener Zeit (aus den Jahren 1905 bis 1906) über die permanente Revolution:

»Die Revolution in Rußland kam allen unerwartet, außer der Sozialdemokratie. Der Marxismus hat die Unvermeidlichkeit der russischen Revolution längst vorausgesagt, die als Folge des Zusammenstoßes der Kräfte der kapitalistischen Entwicklung mit den Kräften des starren Absolutismus kommen mußte. Indem er sie als eine bürgerliche bezeichnete, zeigte er damit, daß die unmittelbaren objektiven Aufgaben der Revolution in der Schaffung »normaler« Bedingungen für die Entwicklung der bürgerlichen Gesellschaft in ihrer Gesamtheit bestanden. Der Marxismus hatte recht. - Dies kann man heute nicht mehr bestreiten, noch braucht man es zu beweisen. Vor den Marxisten steht eine ganz andere Aufgabe: durch die Analyse der inneren Mechanik der sich entwickelnden Revolution ihre "Möglichkeiten" aufzudecken.

Die russische Revolution besitzt einen ganz eigenartigen Charakter, der die Folge der Eigenarten unserer gesamten gesellschaftlich-historischen Entwicklung ist und der seinerseits ganz neue historische Perspektiven eröffnet.« ("Unsere Revolution", 1906, Artikel "Ergebnisse und Perspektiven", S. 224.)

»Die allgemeine soziologische Bezeichnung bürgerliche Revolution löst keinesfalls jene politisch-taktischen Aufgaben, Widersprüche und Schwierigkeiten, die von dieser gegebenen bürgerlichen Revolution gestellt werden.« (Ebenda, Seite 249.)

Auf diese Weise habe ich den bürgerlichen Charakter der auf der Tagesordnung stehenden Revolution nicht bestritten und Demokratie und Sozialismus nicht vermischt. Aber ich versuchte zu beweisen, daß bei uns die Klassendialektik der bürgerlichen Revolution das Proletariat zur Macht bringen werde, und daß ohne seine Diktatur auch die demokratischen Aufgaben nicht gelöst werden könnten. In dem gleichen Artikel wird (1905-06) gesagt:

»Das Proletariat wächst und festigt sich mit dem Wachstum des Kapitalismus. In diesem Sinne bedeutet die Entwicklung des Kapitalismus die Entwicklung des Proletariats zur Diktatur. Aber Tag und Stunde, wann die Macht in die Hände der Arbeiterklasse übergehen wird, hängen unmittelbar nicht vom Stande der Produktivkräfte ab, sondern von den Verhältnissen des Klassenkampfes, von der internationalen Situation und schließlich von einer Reihe subjektiver Momente: der Tradition, der Initiative, der Kampfbereitschaft ...

In einem ökonomisch zurückgebliebenen Lande kann das Proletariat eher an die Macht kommen als in den kapitalistisch fortgeschritteneren Ländern. Die Vorstellung von irgendeiner automatischen Abhängigkeit der proletarischen Diktatur von den technischen Kräften und Mitteln des Landes bildet ein Vorurteil des bis zum äußersten versimpelten "ökonomischen" Materialismus. Mit Marxismus hat diese Ansicht nichts gemein.

Die russische Revolution schafft unserer Ansicht nach solche Bedingungen, unter denen die Macht an das Proletariat übergehen kann (und bei einer siegreichen Revolution übergehen muß), bevor noch die Politik des bürgerlichen Liberalismus die Möglichkeit erhalten wird, dessen Staatsgenie zur vollen Entfaltung zubringen.« (Ebenda. S. 245.)

Diese Zeilen enthalten eine Polemik gegen jenen vulgären "Marxismus", der nicht nur in den Jahren 1905-06 geherrscht hat, sondern auch tonangebend war bei der Beratung der Bolschewiki vom März 1917, vor Lenins Ankunft, und der in der April-Konferenz den krassesten Ausdruck in Rykow fand. Auf dem VI. Kongreß der Komintern bildete dieser Pseudomarxismus, d.h. der durch Scholastik verdorbene "gesunde Menschenverstand" des Philisters, die "wissenschaftliche" Basis der Reden von Kuusinen und vieler anderer. Und dies zehn Jahre nach der Oktoberrevolution!

Da ich nicht die Möglichkeit habe, hier den ganzen Gedankengang der "Ergebnisse und Perspektiven" darzulegen, will ich noch ein übersichtliches Zitat aus meinem Artikel im 'Natschalo' ('Anfang' 1905) anführen:

»Unsere liberale Bourgeoisie tritt konterrevolutionär auf noch vor dem revolutionären Höhepunkt. Unsere intellektuelle Demokratie demonstriert in jedem kritischen Moment nur ihre Ohnmacht. Die Bauernschaft stellt in ihrer Gesamtheit eine elementare Rebellion dar. Sie kann in den Dienst der Revolution gestellt werden nur von der Macht, die die Staatsmacht übernehmen wird. Die Vorpostenstellung der Arbeiterklasse in der Revolution, die unmittelbare Verbindung zwischen ihr und dem revolutionären Dorfe; der Zauber, durch den sie sich die Armee unterwirft - das alles stößt sie unabwendbar zur Macht. Der volle Sieg der Revolution bedeutet den Sieg des Proletariats. Dieser wiederum bedeutet das weitere ununterbrochene Fortschreiten der Revolution.« ("Unsere Revolution", S. 172.)

Die Perspektive der Diktatur des Proletariats erwächst hier folglich gerade aus der bürgerlich-demokratischen Revolution im Gegensatz zu alldem, was Radek schreibt. Eben deshalb heißt die Revolution - die permanente (ununterbrochene). Aber die Diktatur des Proletariats kommt nicht nach der Vollendung der demokratischen Revolution, wie es sich bei Radek ergibt - in diesem Falle wäre sie in Rußland einfach unmöglich, denn in einem zurückgebliebenen Lande kann das zahlenmäßig schwache Proletariat nicht zur Macht gelangen, wenn die Aufgaben der Bauernschaft während der vorangegangenen Etappe gelöst worden sind. Nein, die Diktatur des Proletariats erschien gerade deshalb wahrscheinlich und sogar unvermeidlich auf der Basis der bürgerlichen Revolution, weil es keine andere Macht und keine anderen Wege zur Lösung der Aufgaben der Agrarrevolution gab. Das allein aber öffnet die Perspektive des Hineinwachsens der demokratischen Revolution in eine sozialistische.

»Eintretend in die Regierung nicht als ohnmächtige Geißeln, sondern als eine führende Macht, zerstören die Vertreter des Proletariats schon damit allein die Grenze zwischen Minimum- und Maximum-Programm, d.h. sie stellen den Kollektivismus auf die Tagesordnung. An welchem Punkte das Proletariat auf diesem Wege aufgehalten werden wird, das hängt von dem Kräfteverhältnis ab, nicht aber von den ursprünglichen Absichten der Partei des Proletariats. Deshalb kann auch keine Rede sein von irgendeiner besonderen Form der proletarischen Diktatur in der bürgerlichen Revolution, nämlich von der demokratischen Diktatur des Proletariats (oder des Proletariats und der Bauernschaft). Die Arbeiterklasse kann den demokratischen Charakter ihrer Diktatur nicht sichern, ohne die Grenzen ihres demokratischen Programms zu überschreiten.

Wenn die Partei des Proletariats die Macht übernehmen wird, wird sie für diese Macht bis zu Ende kämpfen. Wenn eins der Mittel dieses Kampfes um die Erhaltung und Festigung der Macht Agitation und Organisation, besonders im Dorf, sein wird, so wird das andere Mittel im kollektivistischen Programm bestehen. Der Kollektivismus wird nicht nur die unvermeidliche Folgerung sein aus der Tatsache, daß die Partei an der Macht ist, sondern auch das Mittel, diese Situation, gestützt auf das Proletariat, zu sichern.« ("Ergebnisse und Perspektiven", S. 258.)

Gehen wir weiter:

»Wir kennen das klassische Beispiel einer Revolution schrieb ich im Jahre 1908 gegen den Menschewiken Tscherewanin -, in der die Bedingungen der Herrschaft der kapitalistischen Bourgeoisie von der terroristischen Diktatur der siegreichen Sansculotten vorbereitet wurden. Das war in einer Epoche, als die Hauptmasse der städtischen Bevölkerung aus Handwerkern und Handelstreibenden, also aus dem Kleinbürgertum bestand. Sie folgte der Führung der Jakobiner. Die Hauptmasse der städtischen Bevölkerung in Rußland bildet heute das Industrie-Proletariat. Allein schon diese Analogie verweist auf die Möglichkeit einer solchen historischen Situation, in der der Sieg der "bürgerlichen" Revolution nur durch die Eroberung der revolutionären Macht durch das Proletariat gegeben ist. Hört die Revolution damit auf, eine bürgerliche zu sein? Ja und nein. Das hängt nicht von der formalen Bezeichnung ab, sondern von der weiteren Entwicklung der Ereignisse. Wenn das Proletariat von der Koalition der bürgerlichen Klassen, darunter auch der durch das Proletariat befreiten Bauernschaft, gestürzt wird, dann behält die Revolution ihren beschränkten bürgerlichen Charakter. Wird es aber dem Proletariat möglich sein, alle Mittel seiner politischen Herrschaft in Bewegung zu bringen, um den nationalen Rahmen der russischen Revolution zu sprengen, so kann dieses zum Prolog der sozialistischen Weltära werden. Die Frage: Welche Etappe wird die russische Revolution erreichen? läßt natürlicherweise nur eine bedingte Beantwortung zu. Unbedingt und unzweifelhaft richtig ist nur das eine: die nackte Bezeichnung der russischen Revolution als einer bürgerlichen sagt nichts aus über den Typus ihrer inneren Entwicklung und bedeutet keinesfalls, daß das Proletariat seine Taktik dem Verhalten der bürgerlichen Demokratie, als dem einzigen gesetzmäßigen Prätendenten auf die Staatsmacht anpassen muß.« (L. Trockij "1905", S. 263 der russischen Ausgabe.)

Aus dem selben Artikel:

»Unsere Revolution, die nach den unmittelbaren Aufgaben, aus denen sie erwuchs, eine bürgerliche Revolution ist, kennt, infolge der äußersten Klassendifferenzierung der Industriebevölkerung, keine solche bürgerliche Klasse, die sich durch Verbindung ihres sozialen Gewichts und ihrer politischen Erfahrung mit der revolutionären Energie an die Spitze der Volksmassen stellen könnte. Die unterdrückten Arbeiter- und Bauernmassen müssen, sich selbst überlassen, in der harten Schule erbarmungsloser Zusammenstöße und grausamer Niederlagen sich selbst die notwendigen politischen und organisatorischen Voraussetzungen für ihren Sieg schaffen. Einen andern Weg haben sie nicht.« (L. Trockij, "1905", S. 267/8.)

Es muß hier noch ein Zitat aus »Ergebnisse und Perspektiven« über den am heftigsten angegriffenen Punkt - über die Bauernschaft - angeführt werden. In dem besonderen Kapitel: "Das Proletariat an der Macht und die Bauernschaft" wird dort folgendes gesagt:

»Das Proletariat wird seine Macht nicht sichern können, ohne die Basis seiner Revolution zu erweitern.

Viele Schichten der werktätigen Massen, besonders im Dorfe, werden zum ersten Mal in die Revolution hineingezogen und von einer politischen Organisation erfaßt werden, erst nachdem die Avantgarde der Revolution, das Stadtproletariat, sich an das Steuer der Staatsmacht gestellt hat. Die revolutionäre Agitation und die Organisierung werden mit Hilfe der Staatsmittel durchgeführt. Schließlich wird die gesetzgebende Macht selbst ein mächtiges Werkzeug zur Revolutionierung der Volksmassen werden ...

Das Schicksal der elementarsten revolutionären Interessen der Bauernschaft - selbst der Gesamtbauernschaft als eines Standes - verknüpft sich mit dem Schicksal der Revolution, d.h. mit dem Schicksal des Proletariats.

Das Proletariat an der Macht wird der Bauernschaft als Befreierklasse erscheinen.

Die Herrschaft des Proletariats wird nicht nur bedeuten: demokratische Gleichheit, freie Selbstverwaltung, Übertragung der Steuerlast auf die besitzenden Klassen, Umwandlung des stehenden Heeres in bewaffnetes Volk, Abschaffung der Zwangssteuern der Kirche, sondern auch Anerkennung aller von den Bauern vorgenommenen revolutionären Umschichtungen (Aneignungen) des Bodenbesitzes. Diese Umschichtungen wird das Proletariat zum Ausgangspunkt weiterer staatlicher Maßnahmen auf dem Gebiete der Landwirtschaft machen. Unter diesen Bedingungen wird die russische Bauernschaft in der ersten schwierigsten Periode an der Unterstützung des proletarischen Regimes nicht weniger interessiert sein, als die französische Bauernschaft an der Unterstützung des Militärregimes Napoleon Bonapartes interessiert war, welches den neuen Besitzern die Unantastbarkeit ihrer Landstriche kraft der Bajonette garantierte ...

Vielleicht aber wird die Bauernschaft das Proletariat verdrängen und dessen Platz selbst einnehmen?

Das ist unmöglich. Die gesamte historische Erfahrung protestiert gegen solche Annahme. Diese Erfahrung beweist, daß die Bauernschaft zu einer selbständigen politischen Rolle völlig unfähig ist« (Seite 251).

Das alles ist nicht 1929 und auch nicht 1924, sondern 1905 geschrieben worden. Ähnelt das einer »Ignorierung der Bauernschaft«, möchte ich wissen? Wo ist hier das »Hinüberspringen« über die Agrarfrage? Wäre es nicht an der Zeit, Freunde, etwas, mehr Anstandsgefühl zu zeigen?

Sehen wir nun zu, wie ist es mit diesem »Anstandsgefühl« bei Stalin bestellt? Bezüglich meiner New Yorker Artikel über die Februar-Revolution 1917, die in allem wesentlichen mit den Genfer Artikeln Lenins übereinstimmen, schreibt der Theoretiker der Parteireaktion:

»Die Briefe des Genossen Trockij sind sowohl dem Geiste wie den Schlußfolgerungen nach den Briefen Lenins ganz und gar unähnlich, denn sie geben völlig die antibolschewistische Parole Trockijs wieder: "Ohne Zaren - und eine Arbeiterregierung", einer Parole, die bedeutet: Revolution ohne die Bauernschaft.« (Rede vor der Fraktion des Zentralsowjets der Gewerkschaften, 19. November 1924.)

Herrlich klingen diese Worte von der »antibolschewistischen Parole« (angeblich Trockijs): »ohne Zaren, und eine Arbeiterregierung«. Nach Stalin hätte die bolschewistische Parole lauten müssen: »ohne Arbeiterregierung, aber mit dem Zaren«. Von der angeblichen »Parole« Trockijs soll noch die Rede sein. Jetzt wollen wir erst mal eine andere Größe des zur Zeit herrschenden Geistes hören, eine vielleicht weniger ungebildete, die aber vom theoretischen Gewissen für immer Abschied genommen hat: ich spreche von Lunatscharski.

»Lew Dawidowitsch Trockij neigte im Jahre 1905 dem Gedanken zu: das Proletariat müsse isoliert bleiben [!] und dürfe die Bourgeoisie nicht unterstützen, da dies Opportunismus sei; für das Proletariat allein wäre es jedoch sehr schwer, die Revolution durchzuführen, da das Proletariat zu jener Zeit nur 7-8 % der Gesamtbevölkerung ausmachte und man mit solch kleinem Kader keinen großen Krieg führen könnte. So beschloß Lew Dawidowitsch, daß das Proletariat in Rußland die permanente Revolution unterstützen, d.h. um möglichst große Erfolge kämpfen müsse, bis die glühenden Scheite dieses Brandes die Pulverlager der Welt in die Luft sprengen würden.« (»Die Macht der Sowjets« Nr. 7, "Zur Charakteristik der Oktoberrevolution" A. Lunatscharski, S. 10.)

Das Proletariat »muß isoliert bleiben«, bis die glühenden Scheite die Pulverlager sprengen werden ... Schön schreiben manche Volkskommissare, die vorläufig noch nicht »isoliert« sind, trotz der bedrohten Lage ihres eigenen Gedankenpulvers. Wir wollen aber gegen Lunatscharski nicht so streng sein: jeder tut, was er kann. Seine schlampigen Sinnlosigkeiten sind nicht sinnloser als die vieler anderer.

Wie aber muß, nach Trockij, das »Proletariat isoliert bleiben«? Es sei hier ein Zitat aus meiner Streitschrift gegen Struve angeführt (1906). Übrigens hatte Lunatscharski dieser Schrift seinerzeit maßlose Lobhymnen gesungen. Während die bürgerlichen Parteien - es ist vom Sowjet der Deputierten die Rede - von den erwachenden Massen »völlig abseits blieben«

»konzentrierte sich das politische Leben um den Arbeitersowjet. Das Verhalten der städtischen Masse zum Sowjet (1905) war offensichtlich ein sympathisierendes, wenn auch kein klares. Alle Unterdrückten und Beleidigten suchten bei ihm Schutz. Die Popularität des Sowjets wuchs weit über die Stadt hinaus. Er erhielt »Bittschriften« von Bauern, denen Unrecht zugefügt war, dem Sowjet strömten Bauernresolutionen zu, es kamen zu ihm Delegierte von Dorfgemeinden. Hier, gerade hier konzentrierten sich die Gedanken und Sympathien der Nation, der echten, nicht der falsifizierten demokratischen Nation.« ("Unsere Revolution", S. 199)

In all diesen Zitaten - ihre Zahl kann leicht verdoppelt, verdreifacht und verzehnfacht werden - wird die permanente Revolution als eine solche Revolution dargestellt, die die unterdrückten Massen aus Stadt und Dorf um das in Sowjets organisierte Proletariat zusammenschweißt; als eine nationale Revolution, die das Proletariat zur Macht erhebt und dadurch allein die Möglichkeit gibt des Hinauswachsens der demokratischen Revolution in eine sozialistische Revolution.

Die permanente Revolution ist kein isolierter Sprung des Proletariats, sondern sie ist der Neuaufbau der ganzen Nation unter Führung des Proletariats. So hatte ich mir, seit 1905, die Perspektive der permanenten Revolution vorgestellt und so sie gedeutet.

Auch in bezug auf Parvus8, dessen Ansichten über die russische Revolution im Jahre 1905 sich mit den meinen eng berührten, ohne jedoch mit ihnen identisch zu sein, hat Radek Unrecht, wenn er den Klischeesatz über Parvus' »Sprung« von der zaristischen zu der sozialdemokratischen Regierung wiederholt. Radek widerlegt sich eigentlich selbst, wenn er an einer anderen Stelle seines Artikels nebenbei, aber ganz richtig, darauf hinweist, worin sich eigentlich meine Ansichten über die Revolution von denen des Parvus unterschieden. Parvus war nicht der Meinung, daß die Arbeiterregierung in Rußland einen Ausweg in die Richtung zur sozialistischen Revolution besitzt, d.h., daß sie im Prozeß der Erfüllung der Aufgaben der Demokratie in die sozialistische Diktatur hinauswachsen kann. Wie das von Radek selbst angeführte Zitat aus dem Jahre 1905 beweist, beschränkte Parvus die Aufgaben der Arbeiterregierung auf die Aufgaben der Demokratie. Wo bleibt dann der Sprung zum Sozialismus? Parvus schwebte schon damals als Resultat der revolutionären Umwälzung die Errichtung eines Arbeiterregimes nach »australischem« Muster vor. Den Vergleich zwischen Rußland und Australien machte Parvus auch nach der Oktoberrevolution, als er selbst schon längst auf dem äußersten rechten Flügel des Sozialreformismus stand. Bucharin sagte dazu, Parvus habe Australien nachträglich »erfunden«, um seine alten Sünden in bezug auf die permanente Revolution zuzudecken. Das stimmt aber nicht. Im Jahre 1905 hat Parvus in der Eroberung der Macht durch das Proletariat den Weg zur Demokratie und nicht zum Sozialismus gesehen, d.h. er wies dem Proletariat nur jene Rolle zu, die es bei uns in den ersten 8-10 Monaten der Oktoberrevolution tatsächlich gespielt hat. Als auf ein Regime, bei dem die Arbeiterpartei zwar regiert, aber nicht herrscht und ihre reformistischen Forderungen nur als Ergänzung zum Programm der Bourgeoisie durchführt. Ironie des Schicksals: die grundlegende Tendenz des rechtszentristischen Blocks 1923-1928 bestand gerade darin, die Diktatur des Proletariats der Arbeiterdemokratie nach australischem Muster anzunähern, d.h. der Prognose von Parvus. Das wird um so klarer, wenn man sich erinnert, daß die russischen spießbürgerlichen »Sozialisten« vor zwei bis drei Jahrzehnten in der russischen Presse dauernd Australien als ein Arbeiter- und Bauernland schilderten, das, durch hohe Zölle gegen die Außenwelt abgesperrt, »sozialistische« Gesetzgebung entwickle und auf diese Weise den Sozialismus in einem Lande baue. Radek würde richtig gehandelt haben, wenn er diese Seite der Frage in den Vordergrund geschoben hätte, anstatt die Märchen nachzusprechen vom phantastischen Sprung über die Demokratie hinweg.


3. Drei Elemente der "demokratischen Diktatur": Klassen, Aufgaben und politische Mechanik

Der Unterschied zwischen dem "permanenten" Standpunkte und dem leninschen hatte sich politisch geäußert in der Gegenüberstellung der Parole der Diktatur des Proletariats, das sich auf die Bauernschaft stützt, und der Parole der demokratischen Diktatur des Proletariats und der Bauernschaft. Der Streit ging gar nicht darum, ob man über das bürgerlich-demokratische Stadium hinüberspringen könne und ob ein Bündnis zwischen den Arbeitern und den Bauern notwendig sei - der Streit ging um die politische Mechanik der Zusammenarbeit des Proletariats und der Bauernschaft in der demokratischen Revolution.

Viel zu überheblich, um nicht zu sagen leichtfertig, ist die Behauptung Radeks, daß nur Menschen, »die die Kompliziertheit der Methoden des Marxismus und des Leninismus nicht zu Ende gedacht haben«, die Frage nach dem parteipolitischen Ausdruck der demokratischen Diktatur in den Vordergrund schieben konnten, während Lenin die ganze Frage nur in der Zusammenarbeit der zwei Klassen an den objektiven historischen Aufgaben sah. Nein, so war es nicht.

Verläßt man den subjektiven Faktor der Revolution, die Parteien und ihre Programme, in diesem Falle die politische und organisatorische Form der Zusammenarbeit von Proletariat und Bauernschaft, so verschwinden alle Meinungsverschiedenheiten, nicht nur zwischen mir und Lenin, die zwei Schattierungen des gleichen revolutionären Flügels kennzeichneten, sondern, was allerdings schlimmer ist, es verschwinden auch die Meinungsverschiedenheiten zwischen Bolschewismus und Menschewismus, es verschwindet schließlich der Unterschied zwischen der russischen Revolution von 1905 und den Revolutionen von 1848 und sogar von 1789, insofern man in bezug auf diese letztere von Proletariat überhaupt sprechen kann. Alle bürgerlichen Revolutionen beruhten auf der Mitarbeit der unterdrückten Klassen in Stadt und Land. Das gerade verlieh den Revolutionen in kleinerem oder größerem Grade den nationalen, d.h. den das gesamte Volk umfassenden Charakter.

Der theoretische wie der politische Streit ging bei uns nicht um die Zusammenarbeit der Arbeiter und Bauern an sich, sondern um das Programm dieser Zusammenarbeit, um ihre Parteiformen und politischen Methoden in den alten Revolutionen haben Arbeiter und Bauern »zusammengearbeitet« unter Führung der liberalen Bourgeoisie oder ihres kleinbürgerlich demokratischen Flügels. Die Kommunistische Internationale hat das Experiment der alten Revolutionen in einer neuen historischen Situation wiederholt, indem sie alles getan hat, um die chinesischen Arbeiter und Bauern der politischen Führung des nationalliberalen Tschangkaischek und später des »Demokraten« Wan-Tin-Wei zu unterwerfen. Lenin stellte die Frage eines Bündnisses der Arbeiter und Bauern im unversöhnlichen Gegensatz zur liberalen Bourgeoisie. Ein solches Bündnis hatte es in der früheren Geschichte noch nicht gegeben. Es handelte sich um ein seinen Methoden nach neues Experiment einer Zusammenarbeit der unterdrückten Klassen in Stadt und Dorf. Damit wurde die Frage nach den politischen Formen der Zusammenarbeit zum erstenmal gestellt. Radek hat das einfach übersehen. Deshalb führt er uns nicht nur von der Formel der permanenten Revolution, sondern auch von der leninschen »demokratischen Diktatur« in den leeren Raum historischer Abstraktionen zurück. Ja, Lenin hatte sich während einer Reihe von Jahren geweigert, die Frage im voraus zu beantworten, wie die politisch-parteimäßige und staatliche Organisation der demokratischen Diktatur des Proletariats und der Bauernschaft aussehen werde, und er schob als Gegensatz zu der Koalition mit der liberalen Bourgeoisie die Zusammenarbeit dieser zwei Klassen in den Vordergrund. Lenin sagte: Aus der gesamten objektiven Situation ergibt sich in einer bestimmten historischen Etappe unvermeidlich das revolutionäre Bündnis der Arbeiterklasse mit der Bauernschaft zur Lösung der Aufgaben der demokratischen Umwälzung. Ob die Bauernschaft Zeit haben und es verstehen wird, eine eigene Partei zu schaffen, ob diese Partei in der Regierung der Diktatur in der Mehrheit oder in der Minderheit und wie das spezifische Gewicht der Vertreter des Proletariats in der revolutionären Regierung sein wird - all diese Fragen lassen keine allgemeingültige Antwort zu. »Die Erfahrung wird es zeigen!« Wenn auch die Formel der demokratischen Diktatur die Frage nach der politischen Mechanik des Bündnisses der Arbeiter und Bauern offenließ, so blieb sie dennoch, ohne sich in eine blaue Abstraktion von Radek zu verwandeln, bis zu einem bestimmten Zeitpunkte eine algebraische Formel, die für die Zukunft sehr weit auseinandergehende politische Deutungen zuließ.

Lenin selbst war dabei keinesfalls der Ansicht, daß die Frage durch die Klassenbasis der Diktatur und ihre objektiven historischen Ziele erschöpft wäre. Die Bedeutung des subjektiven Faktors: des Zieles, der bewußten Methode, der Partei - hatte Lenin gut begriffen und uns das alles gelehrt. Und darum verzichtete er in den Kommentaren zu seiner Parole auch nicht auf eine hypothetische Beantwortung der Frage: welche politischen Formen das in der Geschichte erste selbständige Bündnis der Arbeiter und Bauern annehmen könne. Lenin ist jedoch an diese Frage zu verschiedenen Zeiten verschieden herangegangen. Man muß den leninschen Gedanken nicht dogmatisch, sondern historisch betrachten. Lenin hat keine fertigen Gebote vom Sinai gebracht, sondern er schmiedete Gedanken und Parolen im Schmelzofen des Klassenkampfes. Er paßte diese Parolen der Wirklichkeit an, konkretisierte und präzisierte sie und füllte sie zu verschiedenen Perioden mit verschiedenen Inhalten. Aber diese Seite der Frage, die später entscheidenden Charakter gewann und die bolschewistische Partei zu Beginn des Jahres 1917 dicht an die Grenze der Spaltung brachte, hat Radek nicht studiert; er ist an ihr einfach vorbeigegangen.

Es ist jedoch Tatsache, daß Lenin nicht immer in gleicher Weise den wahrscheinlichen parteipolitischen Ausdruck und die Regierungsform des Bündnisses der zwei Klassen charakterisierte, und daß er sich davor zurückhielt, durch hypothetische Deutungen die Partei zu binden. Wo sind die Gründe für eine solche Vorsicht? Die Gründe sind darin zu suchen, daß ein Bestandteil dieser algebraischen Formel eine ihrer Bedeutung nach gigantische, aber politisch äußerst unbestimmte Größe bildete: die Bauernschaft.

Ich will nur einige Beispiele leninscher Deutung der demokratischen Diktatur anführen, wobei ich bemerken möchte, daß eine zusammenhängende Charakteristik der Evolution des leninschen Gedankens in dieser Frage eine selbständige Arbeit erfordern würde.

Den Gedanken entwickelnd, daß das Proletariat und die Bauernschaft die Basis der Diktatur sein würden, schrieb Lenin im März 1905:

»Und diese Zusammensetzung der sozialen Basis der vermutlichen und wünschenswerten revolutionär demokratischen Diktatur wird sich natürlich auch in der Zusammensetzung der revolutionären Regierung äußern, sie wird die Beteiligung der verschiedenartigsten Vertreter der revolutionären Demokratie an dieser Regierung und sogar deren Übergewicht unvermeidlich machen.« (Bd. VI d. russ. Ausg., S. 132, kursiviert von mir.)

In diesen Worten zeigt Lenin nicht nur die Klassenbasis, sondern auch eine bestimmte Regierungsform der Diktatur, mit einem möglichen Übergewicht der Vertreter der kleinbürgerlichen Demokratie.

Im Jahre 1907 schrieb Lenin:

»Die bäuerliche Agrarrevolution, von der Sie, meine Herren, sprechen, muß, um zu siegen, als solche, als Bauernrevolution, die zentrale Macht des ganzen Staates werden.« (Bd. IX, S. 539.)

Diese Formel geht noch weiter. Man kann sie in dem Sinne verstehen, daß die revolutionäre Macht unmittelbar in den Händen der Bauernschaft konzentriert werden müsse. Diese Formel umfaßt jedoch, bei einer weitergehenden Deutung, wie sie ihr der Verlauf der Entwicklung gegeben hat, auch die Oktoberumwälzung, welche das Proletariat als »Agenten« der Bauernrevolution an die Macht gebracht hat. Das sind die äußersten Pole der zulässigen Deutungen der Formel der demokratischen Diktatur des Proletariats und der Bauernschaft. Es ist wahrscheinlich, daß in dieser ihrer algebraischen Unbeständigkeit - bis zu einem gewissen Moment - ihre Stärke lag, aber darin lagen auch ihre Gefahren, die sich bei uns nach dem Februar kraß genug gezeigt und die in China zur Katastrophe geführt haben.

Im Juli 1905 schreibt Lenin:

»Von der Machtergreifung durch die Partei spricht niemand - es wird nur von der Beteiligung, von einer nach Möglichkeit führenden Beteiligung in der Revolution gesprochen ... « (Bd. VI, S. 278.)

Im Dezember 1906 hält es Lenin für möglich, in der Frage der Machtergreifung durch die Partei Kautsky beizupflichten:

»Kautsky betrachtet es nicht nur "als sehr wahrscheinlich", daß im Verlauf der Revolution der Sieg der s.-d. Partei zufallen wird, sondern er erklärt es als Pflicht der Sozialdemokraten, "ihren Anhängern die Siegessicherheit zu suggerieren, denn man kann nicht erfolgreich kämpfen, wenn man von vornherein auf den Sieg verzichtet."« (Bd. VIII, S. 58.)

Zwischen diesen beiden, von Lenin selbst gegebenen Deutungen ist die Entfernung nicht kleiner als zwischen den Formulierungen von Lenin und von mir. Das werden wir später noch deutlicher sehen. Hier wollen wir die Frage stellen: Was bedeuten diese Widersprüche bei Lenin? Sie spiegeln das nämliche »große Unbekannte« in der politischen Formel der Revolution wider: die Bauernschaft. Nicht umsonst nannte die radikale Sprache ehemals den Bauer die Sphinx der russischen Geschichte. Die Frage nach der Natur der revolutionären Diktatur ist - ob Radek es nun will oder nicht - untrennbar von der Frage nach der Möglichkeit einer der liberalen Bourgeoisie feindlichen und vom Proletariat unabhängigen revolutionär-bäuerlichen Partei. Die entscheidende Bedeutung dieser Frage ist nicht schwer zu begreifen. Wenn die Bauernschaft fähig wäre, in der Epoche der demokratischen Revolution eine selbständige Partei zu schaffen, so könnte die demokratische Diktatur in ihrem wahrsten und unmittelbarsten Sinne des Wortes verwirklicht werden, und die Frage nach der Beteiligung der proletarischen Minderheit an der revolutionären Regierung bekäme eine zwar wichtige, aber untergeordnete Bedeutung. Ganz anders stellt sich die Sache dar, wenn man davon ausgeht, daß die Bauernschaft, infolge ihres zwitterhaften Klassencharakters und der Uneinheitlichkeit ihrer sozialen Zusammensetzung, weder eine selbständige Politik, noch eine selbständige Partei haben kann und gezwungen ist, in der revolutionären Epoche zu wählen zwischen der Politik der Bourgeoisie und der Politik des Proletariats. Nur diese Einschätzung der politischen Natur der Bauernschaft ergibt die Perspektive der Diktatur des Proletariats, die unmittelbar aus der demokratischen Revolution erwächst. Darin liegt selbstverständlich keine »Leugnung«, »Ignorierung« oder »Unterschätzung« der Bauernschaft. Ohne die entscheidende Bedeutung der Agrarfrage für das Leben der ganzen Gesellschaft und ohne den tiefen und gigantischen Schwung der Bauernrevolution konnte von der proletarischen Diktatur in Rußland überhaupt nicht die Rede sein. Die Tatsache aber, daß die Agrarrevolution die Bedingungen für die Diktatur des Proletariats geschaffen hat, ist aus der Unfähigkeit der Bauernschaft erwachsen, mit eigenen Mitteln und unter eigener Führung ihr eigenes historisches Problem zu lösen. Unter den heutigen Bedingungen in den bürgerlichen Ländern, selbst in den zurückgebliebenen, soweit diese bereits in die Epoche der kapitalistischen Industrie eingetreten und durch Eisenbahn und Telegraph zu einer Einheit verbunden sind - das bezieht sich nicht nur auf Rußland, sondern auch auf China und Indien -, ist die Bauernschaft zu einer führenden oder auch nur selbständigen politischen Rolle noch weniger fähig als im Zeitalter der alten bürgerlichen Revolutionen. Daß ich diesen Gedanken, der einen der wichtigsten Bestandteile der Theorie der permanenten Revolution bildet, beständig und beharrlich unterstrich, war ein völlig ungenügender und im wesentlichen ganz unbegründeter Anlaß, mich der Unterschätzung der Bauernschaft zu beschuldigen.

Wie steht Lenin zu der Frage einer Bauernpartei? Um diese Frage zu beantworten, müßte man einen besonderen Aufsatz der Wandlung der Ansichten Lenins über die russische Revolution während der Periode 1905-1917 widmen. Beschränken wir uns hierauf zwei Zitate:

Im Jahre 1907 schreibt Lenin:

»Es ist möglich ..., daß die objektiven Schwierigkeiten einer politischen Vereinigung der Kleinbourgeoisie die Bildung einer solchen Partei verhindern und die bäuerliche Demokratie für lange Zeit im gegenwärtigen Zustande einer schwammigen, ungeformten, breiartigen, trudowikischen9 Masse belassen werden.« (Bd. VIII, S. 494.)

Im Jahre 1909 äußert sich Lenin zum gleichen Thema folgendermaßen:

»Es unterliegt nicht dem geringsten Zweifel, daß eine bis zu dem so ... hohen Entwicklungsgrade wie die revolutionäre Diktatur gediehene Revolution eine fester geformte und mächtigere revolutionär-bäuerliche Partei schaffen wird. Die Sache anders zu beurteilen, würde bedeuten, anzunehmen, es könnten bei einem erwachsenen Menschen einige wesentliche Organe der Größe, Form und dem Grade der Entwicklung nach im embryonalen Zustande verbleiben.« (Bd. XI T. 1, S. 230.)

Hat sich diese Annahme bestätigt? Nein, sie hat sich nicht bestätigt. Aber gerade sie veranlaßte Lenin, bis zum Augenblick der völligen historischen Nachprüfung auf die Frage nach der revolutionären Macht nur eine bedingte Antwort zu geben. Es versteht sich von selbst, daß Lenin seine hypothetische Formel nicht über die Wirklichkeit gestellt hat. Der Kampf um die selbständige politische Partei des Proletariats bildete den Hauptinhalt seines Lebens. Die kläglichen Epigonen aber landeten auf der Jagd nach einer Bauernpartei bei der Unterwerfung der chinesischen Arbeiter unter die Kuomintang, bei der Erdrosselung des Kommunismus in Indien im Namen der »Arbeiter und Bauernpartei«, bei der gefährlichen Fiktion der Bauerninternationale, bei der Maskerade der antiimperialistischen Liga usw.

Der heute herrschende Gedanke gibt sich keine Mühe, bei den oben angeführten Widersprüchen Lenins zu verweilen, die teils äußerlich und scheinbar, teils auch wirklich vorhanden sind, die sich aber stets aus dem Problem von selbst ergeben. Seitdem es bei uns die besondere Abart »roter« Professoren gibt, die sich häufig von den alten reaktionären Professoren nicht durch ein festeres Rückgrat, sondern nur durch eine tiefere Unbildung unterscheiden, wird Lenin bei uns auf Professorenart zurechtgestutzt und von allen Widersprüchen, d.h. von der Dynamik seines Denkens gesäubert; Standardzitate werden auf einzelne Fädchen aufgezogen und dann je nach den Bedürfnissen des »gegebenen Momentes« serienweise in Umlauf gesetzt.

Man darf keinen Augenblick vergessen, daß die Fragen der Revolution in einem politisch »jungfräulichen« Lande akut wurden nach einer großen historischen Pause, nach einer längeren reaktionären Epoche in Europa und in der ganzen Welt, und daß sie schon allein deshalb viel Unbekanntes mit sich brachten. In der Formel »demokratische Diktatur der Arbeiter und Bauern« gab Lenin den Ausdruck der besonderen sozialen Verhältnisse Rußlands. Er gab dieser Formel verschiedene Deutungen, lehnte sie aber niemals ab, ohne die Eigenart in den Bedingungen der russischen Revolution erschöpfend bemessen zu haben. Worin bestand diese Eigenart?

Die gigantische Rolle der Agrarfrage und der Bauernfrage überhaupt, als Basis oder Unterbau aller anderen Probleme, und die große Zahl der bäuerlichen und mit den Bauern sympathisierenden Intelligenz mit ihrer volkstümelnden Ideologie, mit den »antikapitalistischen« Traditionen und der revolutionären Stählung - das alles in seiner Gesamtheit bedeutete, daß, wenn irgendwo überhaupt eine antibürgerliche revolutionäre Bauernpartei möglich war, so gerade und vor allem in Rußland.

Und in der Tat, aus dem Bestreben heraus, eine Bauern- oder eine Arbeiter- und Bauernpartei - zum Unterschiede von einer liberalen und proletarischen - zu schaffen, wurden in Rußland alle möglichen politischen Variationen versucht, sowohl illegale wie parlamentarische wie kombinierte: "Semlja i Wolja", "Narodnaja Wolja", "Tschorny Peredel", das legale "Narodnitschestwo", "Volkssozialisten", "Trudowiki", "Sozialrevolutionäre", "Linke Sozialrevolutionäre" usw. usw. Wir hatten bei uns während eines halben Jahrhunderts gleichsam ein riesiges Laboratorium zur Schaffung einer »antikapitalistischen« Bauernpartei mit einer selbständigen Position gegenüber der proletarischen Partei. Den größten Umfang erreichte, wie bekannt, das Experiment der Sozialrevolutionären Partei, die im Jahre 1917 für einige Zeit tatsächlich die Partei der überwiegenden Mehrheit der Bauernschaft darstellte. Und dann? Sie hat ihre Position nur benutzt, um die Bauern mit Haut und Haaren an die liberale Bourgeoisie zu verraten. Die Sozialrevolutionäre gingen eine Koalition ein mit den Imperialisten der Entente und führten zusammen mit diesen einen bewaffneten Kampf gegen das russische Proletariat.

Dieses wahrhaft klassische Beispiel beweist, daß kleinbürgerliche Parteien auf bäuerlicher Basis zwar noch im historischen Alltag, wenn zweitrangige Fragen auf der Tagesordnung stehen, den Schein einer selbständigen Politik aufrechterhalten können; daß aber, wenn die revolutionäre Gesellschaftskrise die grundlegenden Fragen des Eigentums auf die Tagesordnung stellt, die kleinbürgerliche "bäuerliche" Partei automatisch zum Werkzeug der Bourgeoisie gegen das Proletariat wird.

Betrachtet man meine alten Meinungsverschiedenheiten mit Lenin nicht im Querschnitt herausgerissener Zitate dieses und jenes Jahres, Monats und Tages, sondern in der richtigen historischen Perspektive, so wird es völlig klar, daß der Streit, wenigstens von meiner Seite aus, nicht darum ging, ob vor Rußland demokratische Aufgaben stehen, die eine revolutionäre Lösung verlangen; nicht darum, ob für die Lösung dieser Aufgaben ein Bündnis des Proletariats mit den Bauern erforderlich ist, sondern darum, welche parteipolitische und staatliche Form die revolutionäre Kooperation des Proletariats und der Bauernschaft annehmen könne und welche Folgen sich daraus für die weitere Entwicklung der Revolution ergeben. Ich spreche natürlich von meiner Position in diesem Streite, nicht von der damaligen Position Bucharin-Radek, für die diese selbst Rede stehen mögen.

Wie dicht die Formel der »permanenten Revolution« an die leninsche Formel heranging, beweist anschaulich folgende Gegenüberstellung. Im Sommer 1905, also vor dem Oktoberstreik und vor dem Dezemberaufstand in Moskau, schrieb ich im Vorwort zu einer Rede Lassalles:

»Es ist selbstverständlich, daß das Proletariat, wie seinerzeit die Bourgeoisie, seine Mission erfüllt gestützt auf die Bauernschaft und das Kleinbürgertum. Das Proletariat führt das Dorf, zieht es in die Bewegung hinein, interessiert es am Erfolg seiner Pläne. Führer aber bleibt unbedingt das Proletariat. Dies ist nicht die "Diktatur der Bauernschaft und des Proletariats", sondern die Diktatur des Proletariats gestützt auf die Bauernschaft.«10 (L. Trockij, "1905", S.281.)

Man vergleiche nun diese Worte, geschrieben im Jahre 1905 und von mir in dem polnischen Artikel von 1909 zitiert, mit folgenden Worten Lenins, geschrieben 1909, gleich nachdem die Parteikonferenz unter dem Druck von Rosa Luxemburg die Formel "Diktatur des Proletariats, gestützt auf die Bauernschaft" statt der alten bolschewistischen Formel angenommen hatte. Den Menschewiken, die von der radikalen Änderung der Position Lenins schrieben, antwortete dieser:

»... Die Formel, die die Bolschewiki hier für sich gewählt haben, lautet: "das Proletariat, das die Bauernschaft anführt".11 ... Ist es nicht offensichtlich, daß der Gedanke all dieser Formulierungen der gleiche ist? Daß dieser Gedanke ja eben Diktatur des Proletariats und der Bauernschaft ausdrückt, daß die "Formel" - Proletariat, gestützt auf die Bauernschaft - völlig in den Grenzen der gleichen Diktatur des Proletariats und der Bauernschaft bleibt?« (Bd. XI. T.1, S.219 und 224, kursiviert von mir.)

Lenin gibt also hier der "algebraischen" Formel eine Deutung, die den Gedanken an eine selbständige Bauernpartei und noch mehr an deren dominierende Rolle in der revolutionären Regierung ausschließt, das Proletariat führt die Bauernschaft, das Proletariat stützt sich auf die Bauernschaft, folglich ist die revolutionäre Macht in den Händen der Partei des Proletariats konzentriert. Gerade darin aber bestand der zentrale Punkt der permanenten Revolution.

Das Äußerste, was man heute, d.h. nach der historischen Überprüfung der alten Meinungsverschiedenheiten über die Frage der Diktatur sagen kann, ist folgendes: Während Lenin, immer von der führenden Rolle des Proletariats ausgehend, auf jede Weise die Notwendigkeit der revolutionär-demokratischen Zusammenarbeit der Arbeiter und Bauern betont, klarlegt und uns dies lehrt, betone ich, gleichfalls immer von dieser Zusammenarbeit ausgehend, auf jede Weise die Notwendigkeit der proletarischen Führung nicht nur im Block, sondern auch in jener Regierung, die berufen sein wird, diesen Block zu verkörpern. Einen anderen Unterschied kann man hier nicht herauslesen.

Im Zusammenhang mit dem oben Angeführten wollen wir uns zwei Zitate ansehen: das eine aus »Ergebnisse und Perspektiven«, das Stalin und Sinowjew benutzten, um den Gegensatz zwischen meinen Ansichten und den Ansichten Lenins zu beweisen, das andere aus einem polemischen Artikel Lenins gegen mich, das Radek zum gleichen Zweck verwendet.

Hier das erste Zitat:

»Die Beteiligung des Proletariats an der Regierung ist objektiv am wahrscheinlichsten und prinzipiell zulässig nur als dominierende und führende Beteiligung. Man kann natürlich diese Regierung Diktatur des Proletariats und der Bauernschaft, Diktatur des Proletariats, der Bauernschaft und der Intelligenz oder schließlich Koalitionsregierung der Arbeiterklasse und der Kleinbourgeoisie nennen. Die Frage aber bleibt doch bestehen: wem gehört die Hegemonie in der Regierung und durch sie im Lande? Wenn wir von einer Arbeiterregierung sprechen, so antworten wir schon damit allein, daß die Hegemonie der Arbeiterklasse gehören wird.« ("Unsere Revolution" 1906, S. 250.)

Sinowjew schlug (im Jahre 1925) großen Lärm, weil ich (im Jahre 1905!) die Bauernschaft und die Intelligenz nebeneinander gestellt hatte. Nichts anderes hatte er aus den angeführten Zeilen herauszulesen vermocht. Die Erwähnung der Intelligenz war durch jene Periode bedingt, in der die Intelligenz politisch eine ganz andere Rolle spielte als heute: im Namen der Bauernschaft sprachen damals durchweg intellektuelle Organisationen: die Sozialrevolutionäre bauten offiziell ihre Partei auf der "Triade": Proletariat, Bauernschaft, Intelligenz auf; die Menschewiki packten, wie ich damals schrieb, jeden radikalen Intellektuellen bei den Fersen, um immer von neuem das Aufblühen der bürgerlichen Demokratie zu beweisen. Über die Ohnmacht der Intelligenz als einer »selbständigen« sozialen Gruppe und über die entscheidende Bedeutung der revolutionären Bauernschaft hatte ich mich zu jener Zeit Hunderte Mal geäußert. Es handelt sich ja übrigens gar nicht um einen einzelnen polemischen Satz, den zu verteidigen ich gar nicht die Absicht habe. Der Kern des Zitats besteht darin, daß ich den leninschen Inhalt der demokratischen Diktatur völlig akzeptiere und nur eine präzisere Festlegung ihrer politischen Mechanik verlange, d.h. die Verwerfung einer solchen Koalition, in der das Proletariat nur eine Geißel unter einer kleinbürgerlichen Mehrheit sein würde.

Sehen wir uns jetzt den Aufsatz Lenins von 1916 an, der, wie Radek selbst bemerkt, »formell gegen Trockij, in Wirklichkeit aber gegen Bucharin, Pjatakow, den Schreiber dieser Zeilen (d.h. Radek) und eine Reihe anderer Genossen« gerichtet war. Das ist eine sehr wertvolle Feststellung, die meinen damaligen Eindruck völlig bestätigt, daß Lenin die Polemik nur scheinbar an meine Adresse richtete, denn der Inhalt betraf, wie ich gleich beweisen werde, im wesentlichen gar nicht mich. Der Aufsatz enthält (in zwei Zeilen) gerade jene Anklage wegen meiner angeblichen »Negierung der Bauernschaft«, die später das Hauptkapitel der Epigonen und deren Jünger wurde. Der »Nagel« dieses Aufsatzes - wie Radek sich ausdrückt - ist folgende Stelle:

»Trockij hat nicht überlegt« - sagt Lenin, meine Worte zitierend -, »daß das eben die Vollendung der "nationalen bürgerlichen Revolution" in Rußland sein wird, wenn das Proletariat nichtproletarische Massen des Dorfes zur Konfiskation des gutsherrlichen Bodens mitreißt und die Monarchie stürzt, dies eben wird DIE REVOLUTIONÄR-DEMOKRATISCHE DIKTATUR DES PROLETARIATS UND DER BAUERNSCHAFT sein.« (Lenin, Bd. XIII, S. 214.)

Daß Lenin sich mit dem Vorwurf der »Negierung« der Bauernschaft nicht an die »richtige Adresse« wandte, sondern in Wirklichkeit Bucharin und Radek meinte, die tatsächlich über die demokratische Etappe der Revolution hinüberspringen wollten, ist nicht nur aus allem Obengesagten klar, sondern auch aus dem von Radek selbst angeführten Zitat, das er mit Recht den »Nagel« des leninschen Aufsatzes nennt. In der Tat, Lenin beruft sich direkt auf die Worte meines Aufsatzes, wonach nur eine unabhängige und kühne Politik des Proletariats die »nichtproletarischen« Massen des Dorfes zur Konfiskation des gutsherrlichen Bodens, zum Sturz der Monarchie usw. mitreißen kann, und Lenin fügt hinzu: »Trockij hat nicht überlegt, daß ... gerade dies die revolutionär-demokratische Diktatur sein wird.«

Mit anderen Worten, Lenin bestätigt hier und bezeugt sozusagen, daß Trockij in Wirklichkeit den gesamten realen Inhalt der bolschewistischen Formel (die Zusammenarbeit der Arbeiter und Bauern und die demokratischen Aufgaben dieser Zusammenarbeit) akzeptiert, aber nicht zugestehen will, daß dies eben die demokratische Diktatur, die Vollendung der nationalen Revolution sein werde. Auf diese Weise geht in dem anscheinend »scharfen« polemischen Aufsatz der Streit nicht um das Programm der nächsten Etappe der Revolution und deren bewegende Klassenkräfte, sondern gerade um das politische Verhältnis dieser Kräfte zueinander, um den politischen und parteiorganisatorischen Charakter der Diktatur. Wenn einerseits infolge der Unklarheit der Prozesse selbst, andrerseits infolge fraktioneller Zuspitzungen polemische Mißverständnisse in jener Zeit begreiflich und unvermeidbar waren, so ist es völlig unbegreiflich, wie Radek es vermocht hat, nachträglich einen solchen Wirrwarr in die Frage hineinzubringen.

Meine Polemik mit Lenin ging im wesentlichen um die Möglichkeiten der Selbständigkeit (und um den Grad der Selbständigkeit) der Bauernschaft in der Revolution, wie auch um die Möglichkeit einer selbständigen Bauernpartei. In dieser Polemik beschuldigte ich Lenin der Überschätzung der selbständigen Rolle der Bauernschaft. Lenin beschuldigte mich der Unterschätzung der revolutionären Rolle der Bauernschaft. Das ergab sich aus der Logik der Polemik selbst. Was aber anderes als Verachtung verdient einer, der heute, nach zwei Jahrzehnten, diese alten Zitate aus dem Fundament der damaligen Parteibeziehungen herausreißt, jeder polemischen Übertreibung und jedem episodischen Irrtum einen absoluten Wert verleiht, anstatt im Lichte der größten revolutionären Erfahrung aufzudecken, was denn der tatsächliche Kern der Meinungsverschiedenheiten gewesen und wie die Verhältnisse in der Realität, nicht aber auf dem Papier aussahen.

Gezwungen, mir bei der Auswahl der Zitate Beschränkungen aufzuerlegen, will ich hier nur auf die übersichtlichen Thesen Lenins über die Etappen der Revolution verweisen, die Ende des Jahres 1905 geschrieben und erst im Jahre 1926 im V. Band der ausgewählten Werke Lenins zum erstenmal veröffentlicht wurden (S. 450). Es sei daran erinnert, daß alle Oppositionellen, darunter auch Radek, die Veröffentlichung dieser Thesen als das schönste Geschenk an die Opposition betrachtet haben, denn Lenin erweist sich darin als des Trotzkismus schuldig. Die wichtigsten Punkte der Resolution des VII. Plenums des EKKI, die den Trotzkismus verurteilt, scheinen gleichsam absichtlich gegen die grundlegenden Thesen Lenins gerichtet zu sein. Die Stalinisten knirschten vor Wut mit den Zähnen anläßlich dieser Veröffentlichung. Der Redakteur des »Sammelbuches«, Kalitulljew, gestand mir mit der ihn auszeichnenden, nicht sehr schamhaften »Gutmütigkeit« offen: Wäre nicht der Block zwischen uns in Vorbereitung, er hätte unter keinen Umständen die Veröffentlichung dieses Dokumentes zugelassen. In einem Aufsatz der Kostrschewa im »Bolschewik« wurden diese Thesen schließlich gerade zu dem Zweck böswillig gefälscht, um Lenin nicht in den Verdacht der »trotzkistischen« Einstellung zur Bauernschaft überhaupt und zum Mittelbauern insbesondere zu bringen.

Ich führe hier noch Lenins Einschätzung seiner Meinungsverschiedenheiten mit mir an, die er im Jahre 1909 gegeben hat:

»Gen. Trockij selbst läßt bei dieser Erwägung >die Beteiligung der Vertreter der demokratischen Bevölkerung, an der >Arbeiterregierung< zu, d.h. er läßt eine Regierung aus Vertretern des Proletariats und der Bauernschaft zu. Unter welchen Bedingungen die Beteiligung des Proletariats an der Regierung der Revolution zulässig ist - bleibt eine besondere Frage, und in dieser Frage werden sich die Bolschewiki höchstwahrscheinlich nicht nur mit Trockij, sondern auch mit der polnischen Sozialdemokratie nicht einigen. Die Frage nach der Diktatur der revolutionären Klassen läuft jedoch keinesfalls hinaus auf die Frage nach der >Mehrheit< in der einen oder anderen revolutionären Regierung, sondern auf die Frage nach den Bedingungen, unter denen die Beteiligung der Sozialdemokratie an der einen oder der anderen Regierung zulässig ist.« (Bd. XI, T. 1, S. 229; kursiviert von mir.)

In diesem Zitat von Lenin wird erneut bestätigt, daß Trockij eine Regierung aus Vertretern des Proletariats und der Bauernschaft akzeptiert, also die letztere nicht »überspringt«. Lenin betont dabei, daß die Frage der Diktatur nicht auf die Frage nach der Mehrheit in der Regierung hinausläuft. Das ist unbestreitbar. Es handelt sich in erster Linie um die gemeinsame Arbeit des Proletariats und der Bauernschaft und folglich um den Kampf der proletarischen Avantgarde gegen die liberale oder »nationale« Bourgeoisie um den Einfluß auf die Bauern. Wenn aber die Frage der revolutionären Diktatur der Arbeiter und Bauern auch nicht auf die Frage nach der Mehrheit in der Regierung hinausläuft, so führt sie doch beim Siege der Revolution unvermeidlich zu dieser Frage als der entscheidenden. Wie wir gesehen haben, macht Lenin (für jeden Fall) vorsichtig den Vorbehalt: Sollte die Beteiligung der Partei in einer revolutionären Regierung in Frage kommen, dann würden wir mit Trockij wie auch mit den polnischen Genossen über die Bedingungen dieser Beteiligung vielleicht verschiedener Meinung sein. Die Rede war also von wahrscheinlichen Meinungsverschiedenheiten, insofern Lenin theoretisch die Beteiligung der Vertreter des Proletariats als einer Minderheit in der demokratischen Regierung als zulässig betrachtete. Die Ereignisse haben jedoch gezeigt, daß wir nicht verschiedener Meinung waren. Im November 1917 tobte in der Spitze der Partei ein Kampf um die Frage der Koalitionsregierung mit den Sozialrevolutionären und den Menschewiken. Lenin hatte im Prinzip nichts gegen eine Koalition auf der Basis der Sowjets, er forderte aber kategorisch eine feste Sicherung der bolschewistischen Mehrheit. Ich ging mit ihm Hand in Hand.

Jetzt wollen wir mal hören, worauf Radek mit der ganzen Frage der demokratischen Diktatur des Proletariats und der Bauernschaft eigentlich hinaus will.

»Worin - fragt er - hat sich die alte bolschewistische Theorie von 1905 grundlegend als richtig erwiesen? Darin, daß das gemeinsame Auftreten der Petrograder Arbeiter und Bauern (der Soldaten der Petrograder Garnison) den Zarismus gestürzt hat (im Jahre 1917. L.T.). Die Formel von 1905 sieht in ihrem Grundlegenden nur das Verhältnis der Klassen, nicht eine konkrete politische Institution voraus.«

Nun, nun, nun! Wenn ich die alte leninsche Formel als eine »algebraische«, d.h. verschiedene konkrete Deutungen zulassende bezeichne, so keinesfalls deshalb, damit es erlaubt sei, sie in einen leeren Gemeinplatz zu verwandeln, wie Radek es unbedenklich tut. »Das Grundlegende hat sich verwirklicht: das Proletariat und die Bauern haben gemeinsam den Zarismus gestürzt.« Aber dieses »Grundlegende« vollzog sich ausnahmslos in allen siegreichen oder halbsiegreichen Revolutionen. Zaren, Feudalherren und Popen wurden immer und überall mit den Knochen der Proletarier oder der Vorläufer der Proletarier, der Plebejer und Bauern geschlagen. Das gab es bereits im 16. Jahrhundert in Deutschland und sogar schon früher. In China haben ebenfalls Arbeiter und Bauern die »Militaristen« geschlagen. Was hat das mit der demokratischen Diktatur zu tun? Sie hat in den alten Revolutionen nicht existiert, auch in China nicht. Weshalb nicht? Auf den Rücken der Arbeiter und Bauern, die die schwarze Arbeit der Revolution ausführten, saß die Bourgeoisie. Radek ist von politischen Institutionen soweit »abgekommen«, daß er das »Grundlegendste« in der Revolution vergessen hat: wer führt und wer ergreift die Macht? Eine Revolution aber ist ein Kampf um die Macht. Es ist ein politischer Kampf, den die Klassen nicht mit leeren Händen führen sondern mit Hilfe der »politischen Institutionen« (Partei usw.).

»Menschen, die die Kompliziertheit der Methode des Marxismus und Leninismus nicht zu Ende gedacht haben - donnert Radek gegen uns Sünder -, haben das so verstanden: die Sache müsse unbedingt mit einer gemeinsamen Regierung der Arbeiter und Bauern enden, ja, einige wähnten sogar, es müsse unbedingt eine Koalitionsregierung der Arbeiter- und Bauernparteien sein.«

Solche Einfaltspinsel sind diese »Einige«! ... Und was wähnt Radek selbst? Daß eine siegreiche Revolution nicht zu einer neuen Regierung führen müsse, oder daß diese neue Regierung nicht ein bestimmtes Kräfteverhältnis der revolutionären Klassen widerspiegeln und sichern muß? Radek hat das »soziologische« Problem derart vertieft, daß nichts außer einer Worthülse übriggeblieben ist.

Wie unzulässig es ist, sich von der Frage der politischen Formen der Zusammenarbeit der Arbeiter und Bauern zu entfernen, werden uns die Worte aus einem Vortrag Radeks in der Kommunistischen Akademie vom März 1927 am besten beweisen:

»Ich habe im vorigen Jahr in der "Prawda", einen Aufsatz über diese (Kanton)-Regierung geschrieben, die ich Bauern- und Arbeiterregierung nannte. Die Genossen in der Redaktion aber nahmen an, es sei ein Versehen von mir gewesen und korrigierten: Arbeiter- und Bauernregierung. Ich protestierte dagegen nicht und ließ so stehen: Arbeiter- und Bauernregierung.«

Radek war also im Jahre 1927 (nicht 1905) der Ansicht, es könne eine Bauern- und Arbeiterregierung zum Unterschiede von einer Arbeiter- und Bauernregierung geben. Der Redakteur der »Prawda« hatte das nicht kapiert. Ich gestehe, ich auch nicht. Was eine Arbeiter- und Bauernregierung ist, das wissen wir. Aber was ist eine Bauern- und Arbeiterregierung zum Unterschiede und im Gegensatz von einer Arbeiter- und Bauernregierung? Vielleicht nehmen Sie sich die Mühe, uns diese geheimnisvolle Umstellung der Adjektiva zu erklären? Hier kommen wir an den Kern der Frage heran. Im Jahre 1926 glaubte Radek, die Kantoner Regierung Tschangkaischeks sei eine Bauern- und Arbeiterregierung, im Jahre 1927 hat er das mit Bestimmtheit wiederholt. Es hat sich jedoch in der Wirklichkeit gezeigt, daß es eine bürgerliche Regierung war, die den revolutionären Kampf der Arbeiter und Bauern nur für sich ausbeutete und diese dann im Blute ertränkte. Womit ist dieser Irrtum zu erklären? Hat sich Radek einfach getäuscht? Man kann sich aus der Entfernung täuschen. Dann aber muß man sagen: ich habe es nicht begriffen, nicht überblickt, ich habe mich geirrt. Aber nein, hier liegt kein faktischer Irrtum aus Mangel an Information vor, sondern, wie sich jetzt klar herausstellt, ein tief prinzipieller Fehler. Die Bauern- und Arbeiterregierung, im Gegensatz zur Arbeiter- und Bauernregierung, das ist die Kuomintang. Nichts anderes kann es bedeuten. Wenn die Bauernschaft nicht dem Proletariat folgt, dann folgt sie der Bourgeoisie. Ich glaube, in meiner Kritik des stalinschen Gedankens der »zweiteilig zusammengesetzten Arbeiter- und Bauernpartei« diese Frage genügend geklärt zu haben (siehe "Kritik des Programms der Komintern"). Die Kantoner "Bauern- und Arbeiter-Regierung" zum Unterschiede von einer Arbeiter- und Bauernregierung ist in der Sprache der heutigen chinesischen Politik der einzig denkbare Ausdruck der "demokratischen Diktatur" im Gegensatz zur proletarischen Diktatur, mit anderen Worten, die Verkörperung der stalinschen Kuomintang-Politik im Gegensatze zur bolschewistischen Politik, die die Kommunistische Internationale »trotzkistisch« nennt.


4. Wie hat die Theorie der permanenten Revolution in der Praxis ausgesehen?

Indem Radek die Theorie kritisiert, ergänzt er sie, wie wir gesehen haben, durch die »sich aus ihr ergebende Taktik«. Das ist eine sehr wichtige Ergänzung. Die offizielle Kritik des »Trotzkismus« beschränkte sich in dieser Frage vorsichtigerweise auf die Theorie. Radek jedoch genügt dies nicht. Er führt einen Kampf gegen eine bestimmte (bolschewistische) taktische Linie in China. Er muß diese Linie durch die Theorie der permanenten Revolution kompromittieren, und da ist es nötig, zu beweisen, oder so zu tun, als sei das bereits durch jemanden bewiesen, daß sich in der Vergangenheit die falsche taktische Linie aus dieser Theorie ergeben habe. Radek führt hier seine Leser direkt irre. Es ist möglich, daß er selbst die Geschichte der Revolution, an der er niemals unmittelbaren Anteil genommen hat, nicht kennt. Aber er hat sich offensichtlich auch niemals die geringste Mühe gegeben, die Frage an der Hand von Dokumenten nachzuprüfen. Die wichtigsten davon sind im II. Band meiner »Gesammelten Werke« enthalten: eine Nachprüfung ist somit jedem, der lesen kann, möglich.

Es sei also Radek offenbart: fast in allen Etappen der ersten Revolution bestand zwischen mir und Lenin eine völlige Übereinstimmung in der Einschätzung der Kräfte der Revolution und ihrer aktuellen Aufgaben, obwohl ich das ganze Jahr 1905 illegal in Rußland und 1906 im Gefängnis verbrachte. Ich bin gezwungen, mich hier auf die minimalste Zahl der Beweise und Illustrationen zu beschränken.

In einem im Februar geschriebenen und im März 1905 gedruckten Artikel, das heißt also 2-3 Monate vor dem ersten bolschewistischen Parteitag (der in die Geschichte als der Dritte Parteitag eingegangen ist), sagte ich:

»Der erbittertste Kampf zwischen dem Volke und dem Zaren, der keine anderen Gedanken als die des Sieges kennt; der Volksaufstand als der Höhepunkt dieses Kampfes; die Provisorische Regierung als die revolutionäre Krönung des Sieges des Volkes über den Jahrhunderte alten Feind; die Entwaffnung der zaristischen Reaktion und die Bewaffnung des Volkes durch die Provisorische Regierung; die Einberufung der Konstituierenden Versammlung auf der Grundlage des allgemeinen, gleichen, direkten und geheimen Wahlrechts das sind die objektiv vorgezeichneten Etappen der Revolution.« (Bd. II, T 1, S. 232.)

Es genügt, diese Worte mit den Resolutionen des bolschewistischen Parteitages vom Mai 1905 zu vergleichen, um in der Fragestellung der grundlegenden taktischen Probleme meine völlige Solidarität mit den Bolschewiki zu erkennen.

Mehr noch, im Geiste dieses Aufsatzes habe ich in Petersburg in Übereinstimmung mit Krassin die Thesen über die provisorische Regierung formuliert, die damals illegal erschienen. Krassin verteidigte sie auf dem bolschewistischen Parteitag. Lenin stimmte ihnen in folgender Form zu:

»Im ganzen und großen teile ich die Meinung des Gen. Krassin. Es ist selbstverständlich, daß ich als Schriftsteller die literarische Seite der Frage in Betracht zog. Die Wichtigkeit des Kampfzieles ist vom Genossen Krassin sehr richtig angegeben und ich schließe mich ihm voll an. Man kann nicht kämpfen, ohne damit zu rechnen, die Position, um die man kämpft, einzunehmen ... « (Bd. VI, S. 18o.)

Der größte Teil der umfangreichen krassinschen Abänderungen, auf die ich den Leser verweise, wurde in die Resolution des Parteitages aufgenommen. Daß diese Abänderungen von mir stammen, beweist ein Zettel Krassins, den ich noch jetzt besitze. Diese ganze Parteiepisode ist Kamenjew und anderen gut bekannt.

Die Fragen der Bauernschaft, ihrer Annäherung an die Arbeitersowjets, die Frage des Zusammenwirkens mit dem Bauernbund nahm die Aufmerksamkeit des Petersburger Sowjets mit jedem Tage mehr und mehr in Anspruch. Vielleicht weiß Radek noch, daß die Führung des Sowjets mir oblag? Hier eine von den Hunderten der damals von mir getroffenen Formulierungen über die taktischen Aufgaben der Revolution:

»Das Proletariat schafft städtische "Sowjets", die die Kampfhandlungen der Stadtmasse leiten, und stellt die Kampfvereinigung mit der Armee und der Bauernschaft auf die Tagesordnung.« ("Natschalo", Nr. 4, 17./3o. November -1905.)

Es ist langweilig und, ich muß gestehen, peinlich, Zitate anzuführen, die beweisen sollen, daß bei mir von einem »Sprung« aus dem Selbstherrschertum zum Sozialismus keine Rede war. Aber ich bin dazu gezwungen. Folgendes habe ich zum Beispiel im Februar 1906 über die Aufgaben der Konstituierenden Versammlung geschrieben, dabei keinesfalls diese von vornherein den Sowjets gegenüberstellend, wie es jetzt, Stalin folgend, Radek in bezug auf China zu tun sich beeilt, um mit dem ultralinken Besen die opportunistischen Spuren des gestrigen Tages zu vermischen.

»Die Konstituierende Versammlung wird von dem befreiten Volke aus eigener Macht einberufen. Die Aufgaben der Konstituierenden Versammlung werden riesengroß sein. Sie wird den Staat auf demokratischer Grundlage neu aufbauen müssen, d.h. auf der Grundlage der souveränen Volksmacht. Sie wird eine Volksmiliz aufstellen, eine gewaltige Bodenreform durchführen, den Achtstundentag und eine progressive Einkommensteuer einführen.« (Bd. II, T. 1, S. 349.)

Und nun, speziell zur Frage der »sofortigen« Einführung des Sozialismus, aus dem 1905 von mir verfaßten populären Flugblatt:

»Ist es denkbar, den Sozialismus in Rußland sofort einzuführen? Nein, unser Dorf ist noch zu dunkel und zu unaufgeklärt. Zu wenig wirkliche Sozialisten gibt es unter den Bauern. Zu allererst muß das Selbstherrschertum, das die Volksmassen in Finsternis hält, gestürzt werden. Man muß die Dorfarmut von allen Steuern befreien, man muß die progressive Einkommensteuer, allgemeine Schulpflicht einführen, man muß schließlich Landproletariat und Halbproletariat mit dem Stadtproletariat in einer sozialdemokratischen Armee vereinigen. Erst eine solche Armee wird imstande sein, die große sozialistische Umwälzung durchzuführen.« (Bd. II, T. 1, S. 228.)

Das klingt beinahe, als hätte ich zwischen der demokratischen und der sozialistischen Etappe der Revolution doch wohl Unterscheidungen gemacht, lange bevor noch Stalin und Thälmann, und jetzt auch Radek, mich dies zu lehren begannen.

Vor zweiundzwanzig Jahren schrieb ich:

»Als in der sozialistischen Presse der Gedanke der ununterbrochenen Revolution formuliert wurde, welche - durch anwachsende soziale Zusammenstöße, Aufstände immer neuer Volksschichten, unaufhörliche Attacken des Proletariats gegen die politischen und ökonomischen Privilegien der herrschenden Klassen - die Liquidierung des Absolutismus und der Leibeigenschaft mit der sozialistischen Umwälzung verbindet, erhob unsere "fortschrittliche" Presse einmütig ein wütendes Geheul.« ("Unsere Revolution", 1906, S. 258.)

Ich möchte vor allem auf die in diesen Worten enthaltene Definition der ununterbrochenen Revolution aufmerksam machen: Sie verbindet die Liquidierung des Mittelalters mit der sozialistischen Umwälzung durch eine Reihe anwachsender sozialer Zusammenstöße. Wo ist da der Sprung? Wo die Ignorierung der demokratischen Etappe? Und ist es im Jahre 1917 nicht tatsächlich so gekommen?

Es sei nebenbei festgestellt, daß das Geheul der »fortschrittlichen« Presse von 1905 über die ununterbrochene Revolution keinen Vergleich aushält mit dem keinesfalls fortschrittlichen Geheul der heutigen Schreiber, die sich mit einer kleinen Verspätung von einem Vierteljahrhundert in die Sache einmischten.

Wie verhielt sich zu der von mir in der Presse aufgeworfenen Frage über die permanente Revolution das damalige führende Organ der bolschewistischen Fraktion »Nowaja Schisn«, das unter der wachsamen Redaktion von Lenin erschien? Diese Frage entbehrt doch wohl nicht des Interesses? Zu dem Artikel der »radikalen« bürgerlichen Zeitung 'Nascha Schisn', die versucht hatte, der "permanenten Revolution" von Trockij die »vernünftigeren« Ansichten Lenins entgegenzustellen, antwortete die bolschewistische 'Nowaja Schisn' (am 27. November 1905):

»Diese ungezwungene Mitteilung ist selbstverständlich barer Unsinn. Gen. Trockij hat gesagt, die proletarische Revolution könne, ohne auf der ersten Etappe stehenzubleiben, die Ausbeuter bedrängend, ihren Weg fortsetzen, während Lenin darauf verwies, daß die politische Revolution nur der erste Schritt sei. Der Publizist aus der 'Nascha Schisn' möchte darin einen Widerspruch erblicken ... Das ganze Mißverständnis kommt erstens von dem Schreck, den "Nascha Schisn" allein schon vor dem Namen soziale Revolution empfindet, zweitens, aus dem Wunsche dieses Blattes, irgendeine scharfe und pikante Meinungsverschiedenheit unter den Sozialdemokraten zu entdecken und drittens, durch den bildlichen Ausdruck des Gen. Trockij: »mit einem Schlage«. In Nr. 10 des "Natschalo" erklärt Gen. Trockij seinen Gedanken ganz unzweideutig:

"Der volle Sieg der Revolution bedeutet den Sieg des Proletariats", schreibt Gen. Trockij. "Dieser Sieg wiederum aber bedeutet die weitere Ununterbrochenheit der Revolution. Das Proletariat verwirklicht die grundlegenden Aufgaben der Demokratie, und die Logik seines unmittelbaren Kampfes um die Sicherung der politischen Herrschaft läßt im gegebenen Augenblick rein sozialistische Probleme erstehen. Zwischen dem Minimalprogramm und dem Maximalprogramm wird die revolutionäre Kontinuität hergestellt. Das ist nicht ein >Schlag<, das ist nicht ein Tag und nicht ein Monat, das ist eine ganze historische Epoche. Es wäre sinnlos, ihre Dauer im voraus bestimmen zu wollen."«

Dieser Hinweis allein erschöpft bis zu einem gewissen Grade das Thema dieser Broschüre. Konnte man klarer, präziser, sicherer die ganze spätere Kritik der Epigonen im voraus beiseite schieben, als es in jenem meinem Zeitungsaufsatz geschehen ist, den die leninsche 'Nowaja Schisn' so beifällig zitierte? Mein Artikel setzte auseinander, daß das siegreiche Proletariat im Prozeß der Verwirklichung der demokratischen Aufgaben durch die Logik seiner Lage auf einer bestimmten Etappe unvermeidlich vor rein sozialistische Probleme gestellt sein würde. Eben darin besteht zwischen dem Minimalprogramm und dem Maximalprogramm die Kontinuität, die unvermeidlich aus der Diktatur des Proletariats erwächst. Das ist kein Schlag, das ist kein Sprung - erklärte ich meinen damaligen Kritikern aus dem Lager des Kleinbürgertums -, das ist eine ganze historische Epoche. Und die leninsche 'Nowoja Schisn' schloß sich dieser Perspektive durchaus an. Noch wichtiger, hoffe ich, ist die Tatsache, daß der reale Gang der Entwicklung sie nachgeprüft und im Jahre 1917 endgültig als richtig bestätigt hat.

Vom phantastischen »Sprung« zum Sozialismus über die Demokratie hinweg haben im Jahre 1905 und ganz besonders 1906, nach der begonnenen Niederlage der Revolution, außer den kleinbürgerlichen Demokraten der »Nascha Schisn« hauptsächlich die Menschewiki gesprochen. Unter den Menschewiken zeichneten sich auf diesem Gebiet besonders Martynow und der verstorbene Jordanski aus. Beide sind, nebenbei gesagt, später ruhmreiche Stalinisten geworden. Den menschewistischen Schriftstellern, die mir den »Sprung zum Sozialismus« anzuhängen suchten, habe ich im Jahre 1906 ausführlich und populär nicht nur den Irrtum, sondern auch die Dummheit ihrer Behauptung in einem besonderen Aufsatz auseinandergesetzt den ich heute fast ungekürzt gegen die Kritik der Epigonen nachdrucken könnte. Es wird aber vielleicht genügen, zu sagen, daß das Resumé des Aufsatzes in folgenden Worten gegipfelt hat:

»Ich begreife es sehr gut - wie ich meinem Rezensenten (Jordanski) wohl versichern darf - daß ein publizistisches Hinwegspringen über ein politisches Hindernis noch lange nicht seine praktische Überwindung bedeutet.« (Bd. II, T. I, S. 454.)

Vielleicht genügt das? Falls nicht - ich kann fortfahren: damit sich meine Kritiker, wie Radek, nicht darauf berufen können, sie hätten das nicht »bei der Hand«, worüber sie so frank und frei urteilen.

Die von mir im Jahre 1906 im Gefängnis verfaßte und gleich damals von Lenin herausgegebenen Broschüre "Unsere Taktik" wird durch diese Schlußfolgerung charakterisiert:

»Das Proletariat wird sich auf den Aufstand des Dorfes stützen können und wird in den Städten, den Zentren des politischen Lebens, jene Sache zu vollenden imstande sein, die es zu beginnen vermochte. Gestützt auf das bäuerliche Element und dieses führend, wird das Proletariat der Reaktion nicht nur den letzten siegreichen Schlag zufügen, sondern es wird auch verstehen, sich den Sieg der Revolution zu sichern.« (Bd. II. T. I, S. 448.)

Sieht es einer Ignorierung der Bauernschaft ähnlich?

In der gleichen Broschüre wird übrigens auch der folgende Gedanke entwickelt:

»Unsere auf die unaufhaltsame Entwicklung der Revolution berechnete Taktik darf selbstverständlich die unvermeidlichen Phasen und Etappen der revolutionären Bewegung nicht ignorieren.« (Bd. II, T. I, S. 436.)

Sieht das einem phantastischen Sprung ähnlich?

In dem Aufsatz "Die Lehren des ersten Sowjets" (1906) schildere ich die Perspektive der weiteren Entwicklung der Revolution (oder, wie es sich in der Wirklichkeit ergab, der neuen Revolution) folgendermaßen:

»Die Geschichte wiederholt sich nicht - und der neue Sowjet wird die Ereignisse der fünfzig Tage (Oktober - Dezember 1905) nicht neu durchzumachen haben; dafür aber wird er das Programm seiner Handlungen restlos dieser Periode entnehmen können. Dieses Programm ist vollständig klar. Revolutionäres Zusammenwirken mit der Armee, der Bauernschaft und den untersten Schichten der städtischen Kleinbourgeoisie. Abschaffung des Absolutismus. Vernichtung seiner materiellen Organisation: teilweise Umbildung der Formationen, teilweise Auflösung der Armee, Vernichtung des bürokratischen Polizeiapparates. Achtstundentag. Bewaffnung der Bevölkerung, vor allem des Proletariats. Umwandlung der Sowjets in Organe der revolutionären städtischen Selbstverwaltung. Schaffung von Sowjets der Bauerndeputierten (Bauernkomitees) auf dem Lande, als Organe der Agrarrevolution. Organisierung der Wahlen zur Konstituierenden Versammlung und Wahlkampf auf der Grundlage eines bestimmten Arbeitsprogramms der Volksvertretung.« (Bd. II, T. II. S. 2o6.)

Sieht das einem Überspringen der Agrarrevolution oder einer Unterschätzung der Bauernfrage in deren Gesamtheit ähnlich? Sieht das danach aus, daß ich die demokratischen Aufgaben der Revolution nicht gesehen habe? Nein, das sieht nicht so aus. Wonach aber sieht dann die politische Malerei Radeks aus? Nach nichts sieht sie aus.

Gnädig, aber sehr zweideutig grenzt Radek meine von ihm entstellte Position aus dem Jahre 1905 gegen die Position der Menschewiki ab, ohne darauf zu kommen, daß er selbst zu drei Viertel die menschewistische Kritik wiederholt: Wenn Trockij auch die gleiche Methode wie die Menschewiki anwandte, erklärt Radek jesuitisch, so war doch sein Ziel ein anderes. Durch diese subjektive Darstellung kompromittiert Radek seine eigene Einstellung zur Frage vollends. Schon Lassalle hat es gewußt, daß das Ziel von der Methode abhängt und im Endresultat von ihr bedingt ist. Er hat über dieses Thema bekanntlich sogar ein Drama geschrieben ("Franz von Sickingen"). Worin aber bestehe die Gleichheit meiner Methode mit der menschewistischen? In der Stellung zur Bauernschaft. Als Beweis führt Radek drei polemische Zeilen aus dem von mir bereits zitierten Artikel Lenins aus dem Jahre 1916 an, bemerkt jedoch nebenbei selbst, daß Lenin hier trotz Nennung des Namens Trockij in Wirklichkeit gegen Bucharin und gegen ihn, Radek, polemisiert habe. Außer auf dieses Zitat aus Lenin, das, wie wir bereits gesehen haben, durch den ganzen Inhalt des leninschen Aufsatzes widerlegt wird, beruft sich Radek auf - Trockij selbst. Die Leere der menschewistischen Konzeption entlarvend, fragte ich 1916 in einem Artikel: wenn nicht die liberale Bourgeoisie führen wird, wer dann? An die selbständige politische Rolle der Bauernschaft glaubt ihr, Menschewiki, doch jedenfalls nicht. Also - überführt mich Radek - war ich mit den Menschewiki über die Rolle der Bauernschaft »einig«. Die Menschewiki waren der Ansicht, daß es unzulässig sei, des zweifelhaften und unzuverlässigen Bündnisses mit der Bauernschaft wegen die liberale Bourgeoisie »abzustoßen«. Das war die »Methode« der Menschewiki. Während die meine darin bestand, die liberale Bourgeoisie beiseite zu schieben und die Führung der revolutionären Bauernschaft zu erkämpfen. In dieser grundlegenden Frage hatte ich mit Lenin keine Differenzen. Und wenn ich im Kampfe gegen die Menschewiki diesen sagte: »Ihr seid ja am allerwenigsten bereit, der Bauernschaft eine führende Rolle zuzuweisen«, so war das keine Übereinstimmung mit der »Methode« der Menschewiki, wie Radek mir zu insinuieren versucht, sondern eine klare Alternative, entweder die Diktatur der liberalen Plutokratie, oder die Diktatur des Proletariats.

Das gleiche, vollständig richtige Argument von mir aus dem Jahre 1916 gegen die Menschewiki, das Radek illoyalerweise ebenfalls gegen mich auszunutzen versucht, habe ich neun Jahre vorher gebraucht, auf dem Londoner Kongreß von 1907, als ich die Thesen der Bolschewiki über die Stellung zu den nichtproletarischen Parteien verteidigte. Ich bringe hier den grundlegenden Teil meiner Londoner Rede, die in den ersten Jahren nach der Oktoberrevolution viele Male in Sammelwerken und Lesebüchern nachgedruckt wurde als Ausdruck bolschewistischer Einstellung zu den Klassen und Parteien in der Revolution:

»Den Genossen aus den menschewistischen Reihen erscheinen ihre eigenen Ansichten ungewöhnlich kompliziert. Ich habe wiederholt von ihnen Beschuldigungen gehört, ich vereinfachte die Darstellung des Verlaufes der russischen Revolution. Trotz der äußeren Ungeformtheit, die ihnen das komplizierte Aussehen verleiht - ja gerade wegen dieser Ungeformtheit -, lassen sich die Ansichten der Menschewiki auf ein sehr einfaches Schema bringen, das selbst dem Verständnis des Herrn Miljukow zugänglich sein dürfte.

In dem Nachwort zu dem soeben erschienenen Buch: "Wie sind die Wahlen zur zweiten Staatsduma verlaufen", schreibt der geistige Führer der Kadettenpartei:

"Was die linken Gruppen im engeren Sinne betrifft, das heißt die sozialistischen und revolutionären Gruppen, so wird eine Verständigung mit ihnen schwieriger sein. Aber auch hier wiederum gibt es, wenn nicht ausgesprochen positive, so doch sehr ins Gewicht fallende negative Gründe, die bis zu einem gewissen Grade eine Annäherung erleichtern können. Ihr Ziel ist - uns zu kritisieren und zu diskreditieren; schon deshalb allein ist es notwendig, daß wir da sind und handeln. Wie wir wissen, bedeutet für die Sozialisten, nicht nur in Rußland, sondern in der ganzen Welt, die sich jetzt vollziehende Umwälzung eine bürgerliche, nicht eine sozialistische Umwälzung: eine Umwälzung, die von der bürgerlichen Demokratie zu vollziehen ist. Um den Platz dieser Demokratie einzunehmen ... darauf haben sich die Sozialisten in der ganzen Welt nicht vorbereitet, und wenn das Land sie in so großer Anzahl in die Duma geschickt hat, so gewiß nicht zu dem Zwecke, um jetzt den Sozialismus zu verwirklichen oder um mit ihren eigenen Händen die notwendigen "bürgerlichen" Reformen durchzuführen ... Es wird für sie somit viel vorteilhafter sein, die Rolle der Parlamentarier zu kritisieren, als sich selbst in dieser Rolle zu kompromittieren."

Wie wir sehen, führt uns Miljukow gleich in das Herz der Frage ein. Das angeführte Zitat gibt alle wichtigsten Elemente der menschewistischen Einstellung zur Revolution und das Verhältnis zwischen bürgerlicher und sozialistischer Demokratie.

"Die sich vollziehende Umwälzung ist eine bürgerliche, nicht eine sozialistische Umwälzung« - dies als erstes. Die bürgerliche Umwälzung »muß von der bürgerlichen Demokratie verwirklicht werden« - dies als zweites. Die sozialistische Demokratie kann nicht mit ihren eigenen Händen bürgerliche Reformen durchführen, ihre Rolle ist eine rein oppositionelle: »Kritisieren und diskreditieren«. Und schließlich - als viertes, damit die Sozialisten die Möglichkeit erhalten, in Opposition zu bleiben, »ist es notwendig, daß wir (d.h. die bürgerliche Demokratie) da sind und handeln."

Und wenn »wir« nun nicht da sind? Und wenn es die bürgerliche Demokratie nicht gibt, die fähig wäre, an der Spitze der bürgerlichen Revolution zu marschieren? Dann muß man sie erfinden. Zu dieser Schlußfolgerung kommt eben der Menschewismus. Er konstruiert die bürgerliche Demokratie und deren Eigenschaften und Geschichte auf Kosten der eigenen Einbildung.

Als Materialisten müssen wir uns vor allem die Frage nach den sozialen Grundlagen der bürgerlichen Demokratie stellen: auf welche Schichten und Klassen kann sie sich stützen? Von der Großbourgeoisie - darin sind wir uns alle einig als von einer revolutionären Macht braucht man nicht zu sprechen. Lyoner Industrielle haben sogar in der großen Französischen Revolution, die in weitestem Sinne des Wortes eine nationale Revolution war, eine konterrevolutionäre Rolle gespielt. Uns aber erzählt man von der mittleren Bourgeoisie, und ganz besonders von der Kleinbourgeoisie, als von der führenden Kraft der bürgerlichen Umwälzung. Was aber stellt diese Kleinbourgeoisie dar? Die Jakobiner stützten sich auf die städtische Demokratie, die aus den Handwerkerzünften erwachsen war. Kleine Meister, Gehilfen und das mit ihnen eng verbundene Stadtvolk bildeten die Arme der revolutionären Sansculotten, die Stütze der führenden Partei der Montagnarden. Gerade diese kompakte Masse der Stadtbevölkerung, die durch die lange historische Schule des Zunfthandwerks gegangen war, hatte auf ihren Schultern die ganze Last der revolutionären Umwälzung getragen. Das objektive Resultat der Revolution war die Schaffung »normaler« Bedingungen kapitalistischer Ausbeutung. Die soziale Mechanik des historischen Prozesses aber hat dazu geführt, daß die Bedingungen für die Herrschaft der Bourgeoisie von dem Plebs, der Straßendemokratie, den Sansculotten geschaffen wurden. Deren terroristische Diktatur säuberte die bürgerliche Gesellschaft von dem alten Kram und dann, nachdem sie die Diktatur der kleinbürgerlichen Demokratie gestürzt hatte, kam die Bourgeoisie zur Herrschaft.

Ich frage nun zum wiederholten Male: Welche Gesellschaftsklasse wird bei uns die revolutionär bürgerliche Demokratie emporheben, an die Macht stellen und ihr die Möglichkeit geben, die riesige Arbeit auszuführen, wenn das Proletariat in Opposition bleibt? Diese zentrale Frage stelle ich den Menschewiki wiederholt zur Beantwortung. Es ist wahr, wir haben ungeheure Massen der revolutionären Bauernschaft. Aber die Genossen aus der Minderheit wissen es ebensogut wie ich, daß die Bauernschaft, so revolutionär sie auch sein mag, nicht fähig ist, eine selbständige und noch weniger eine führende politische Rolle zu spielen. Die Bauernschaft kann zweifellos im Dienste der Revolution sich als eine gewaltige Macht erweisen; es wäre jedoch eines Marxisten unwürdig, zu glauben, eine Bauernpartei sei fähig, sich an die Spitze einer bürgerlichen Umwälzung zu stellen und aus eigener Initiative die Produktivkräfte des Landes von den archaischen Fesseln zu befreien. Die Stadt besitzt in der modernen Gesellschaft die Hegemonie, und nur ihr kann die Hegemonie in der bürgerlichen Revolution gehören.12

Wo haben wir nun jene städtische Demokratie, die fähig wäre das Volk zu führen? Gen. Martynow hat sie doch schon wiederholt mit der Lupe in der Hand gesucht. Er fand Saratower Lehrer, Petersburger Advokaten, Moskauer Statistiker. Wie alle seine Gesinnungsgenossen, hat auch er es nur nicht bemerken wollen, daß in der russischen Revolution das Industrieproletariat jenen Boden einnehmen wird, auf dem Ende des 18. Jahrhunderts die halbproletarische Handwerksdemokratie der Sansculotten stand. Ich mache euch, Genossen, auf diese grundsätzliche Tatsache aufmerksam.

Unsere Großindustrie hat sich nicht naturgemäß aus dem Handwerk entwickelt. Die ökonomische Geschichte unserer Städte kennt die Periode der Zünfte nicht. Die kapitalistische Industrie entstand bei uns unter dem direkten und unmittelbaren Druck des europäischen Kapitals. Sie hat sich eigentlich einen jungfräulichen primitiven Boden erobert, ohne auf den Widerstand der Kultur des Handwerks zu stoßen. Das ausländische Kapital floß zu uns durch die Kanäle der Staatsanleihen und durch die Röhren der Privatinitiative. Es sammelte um sich die Armee des Industrieproletariats und verhinderte die Entstehung und Entwicklung des Handwerks. Als Resultat dieses Prozesses zeigte sich bei uns als die Hauptmacht der Stadt im Augenblick der bürgerlichen Revolution ein Industrieproletariat von höchstem sozialem Typus. Das ist eine Tatsache, die man nicht bestreiten kann und die man als die Grundlage unserer revolutionär-taktischen Schlußfolgerungen nehmen muß.

Wenn die Genossen von der Minderheit (die Menschewiki) an den Sieg der Revolution glauben oder auch nur die Möglichkeit eines solchen Sieges anerkennen, können sie die Tatsache nicht bestreiten, daß es bei uns keinen anderen historischen Prätendenten auf die revolutionäre Macht gibt als das Proletariat. Wie die kleinbürgerliche städtische Demokratie der großen Revolution sich an die Spitze der revolutionären Nation stellte, so muß das Proletariat, diese einzige revolutionäre Demokratie unserer Städte, eine Stütze in den Bauernmassen finden und sich an die Macht stellen - wenn der Revolution überhaupt ein Sieg bevorsteht.

Eine sich unmittelbar auf das Proletariat und durch das Proletariat auf die revolutionäre Bauernschaft stützende Regierung bedeutet noch nicht die sozialistische Diktatur. Ich berühre jetzt die weiteren Perspektiven einer proletarischen Regierung nicht. Vielleicht ist das Proletariat zum Sturze verurteilt, wie die jakobinische Demokratie stürzte, um der Herrschaft der Bourgeoisie Platz zu machen. Ich will nur eins feststellen: Wenn die revolutionäre Bewegung, wie Plechanow das vorausgesagt hat, bei uns als Arbeiterbewegung triumphiert, so ist der Sieg der Revolution bei uns nur als der revolutionäre Sieg des Proletariats möglich - oder er ist überhaupt unmöglich.

Auf dieser Schlußfolgerung bestehe ich mit aller Entschiedenheit. Geht man davon aus, daß die sozialen Gegensätze zwischen dem Proletariat und den Bauernmassen das Proletariat hindern werden, sich an die Spitze der Bewegung zu stellen; daß ferner das Proletariat für einen Sieg nicht stark genug ist - dann muß man zu dem Ergebnis kommen, daß unserer Revolution kein Sieg beschieden ist. Unter diesen Umständen müßte eine Verständigung zwischen der liberalen Bourgeoisie und der alten Macht das natürliche Finale der Revolution sein. Das ist ein Ausgang, dessen Möglichkeit man keinesfalls abstreiten kann. Aber es ist klar, daß er auf der Linie der Niederlage der Revolution liegt, bedingt durch deren innere Schwäche. Die gesamte Analyse der Menschewiki - vor allem ihre Einschätzung des Proletariats und dessen mögliches Verhältnis zur Bauernschaft - führt sie unerbittlich auf den Weg des revolutionären Pessimismus.

Aber beharrlich weichen sie von diesem Wege ab und entwickeln einen revolutionären Optimismus auf Konto ... der bürgerlichen Demokratie.

Daraus ergibt sich ihr Verhältnis zu den Kadetten. Die Kadetten sind für sie das Symbol der bürgerlichen Demokratie, und die bürgerliche Demokratie - der natürliche Prätendent auf die revolutionäre Macht ...

Worauf gründet Ihr Euren Glauben, daß der Kadett sich noch erheben und hochrichten werde? Auf Tatsachen der politischen Entwicklung? Nein, auf Euer Schema. Um die »Revolution zu Ende zu führen«, braucht Ihr die städtische bürgerliche Demokratie. Ihr sucht gierig nach ihr und findet nichts als Kadetten. Und Ihr entwickelt auf deren Rechnung einen seltsamen Optimismus, Ihr verkleidet sie, zwingt sie, eine schöpferische Rolle zu spielen, eine Rolle, die sie nicht spielen wollen, nicht spielen können und nicht spielen werden. Auf meine Kernfrage - ich habe sie wiederholt gestellt - habe ich keine Antwort vernommen. Ihr besitzt keine Prognose der Revolution. Eure Politik ist aller großen Perspektiven bar.

Und im Zusammenhang damit wird Euer Verhältnis zu den bürgerlichen Parteien durch die Worte formuliert, die der Parteitag fest im Gedächtnis behalten sollte: »von Fall zu Fall«. Das Proletariat führt den systematischen Kampf nicht um den Einfluß auf die Volksmassen, es kontrolliert seine taktischen Schritte nicht unter dem Gesichtswinkel der einen leitenden Idee: die Mühseligen und Beladenen um sich zu sammeln und ihr Herold und Führer zu werden.« (V. Parteitag, "Protokolle und Resolutionen des Parteitages", S. 180 bis 185.)

Diese Rede, die alle meine Artikel, Reden und Handlungen der Jahre 1905 und 06 kurz resümierte, fand den vollen Beifall der Bolschewiki, ganz zu schweigen von Rosa Luxemburg und Tyschko (auf Grund dieser Rede knüpften sich engere Beziehungen zwischen uns an, die zu meiner Mitarbeit an ihrer polnischen Zeitschrift führten). Lenin, der mir mein versöhnlerisches Verhalten gegen die Menschewiki nicht verzeihen konnte - und damit Recht hatte - äußerte sich über meine Rede mit einer absichtlich unterstrichenen Zurückhaltung. Er sagte:

»Ich will nur bemerken, daß Trockij in seinem Buch "Zur Verteidigung der Partei" seine Solidarität gedruckt ausgesprochen hat mit Kautsky, der von der ökonomischen Gemeinsamkeit der Interessen des Proletariats und der Bauernschaft in der jetzigen Revolution in Rußland schrieb. Trockij hat die Zulässigkeit und die Zweckmäßigkeit eines linken Blocks (mit den Bauern, L.T.) gegen die liberale Bourgeoisie anerkannt. Mir genügen diese Tatsachen, um die Annäherung Trockijs an unsere Auffassung festzustellen. Unabhängig von der Frage der ununterbrochenen Revolution, haben wir hier eine Solidarität vor Augen in den grundsätzlichen Punkten der Frage über das Verhältnis zu den bürgerlichen Parteien.« (Lenin, Bd. VIII, S. 400.)

Lenin beschäftigte sich in seiner Rede mit einer Gesamtbewertung der Theorie der permanenten Revolution um so weniger, als ja auch ich in meiner Rede die weiteren Perspektiven der Diktatur des Proletariats nicht entwickelt hatte. Er hatte meine grundsätzliche Arbeit über diese Frage offenbar nicht gelesen, andernfalls hätte er von meiner »Annäherung« an die Auffassung der Bolschewiki nicht als wie von etwas Neuem gesprochen, denn meine Londoner Rede war nur eine zusammenfassende Wiedergabe meiner Arbeiten aus den Jahren 1905/06. Er äußerte sich sehr zurückhaltend, weil ich ja außerhalb der bolschewistischen Fraktion stand. Trotzdem, oder richtiger vielleicht gerade deshalb lassen seine Worte keinen Raum für falsche Deutungen. Lenin stellte die »Solidarität in den grundsätzlichen Punkten der Frage« der Beziehungen zur Bauernschaft und zur liberalen Bourgeoisie fest. Diese Solidarität bezieht sich nicht auf meine Ziele, wie es Radek ungereimt darstellt, sondern gerade auf die Methode. Was die Perspektiven des Hineinwachsens der demokratischen Revolution in die sozialistische betrifft, so macht Lenin eben hier den Vorbehalt, »unabhängig von der Frage der ununterbrochenen Revolution«. Was bedeutet dieser Vorbehalt? Es ist klar, Lenin identifiziert die permanente Revolution keinesfalls mit der Ignorierung der Bauernschaft oder mit dem Überspringen der Agrarrevolution, wie das die unwissenden und gewissenlosen Epigonen zur Regel erhoben haben. Der Gedanke Lenins ist der: wie weit unsere Revolution gehen wird, ob das Proletariat bei uns früher zur Macht kommen kann als in Europa und welche Perspektiven dies für den Sozialismus eröffnet - diese Fragen berühre ich nicht; jedoch in der grundsätzlichen Frage über das Verhältnis des Proletariats zur Bauernschaft und zur liberalen Bourgeoisie ist die »Solidarität vor Augen«.

Wir haben oben gesehen, welches Echo die Theorie der permanenten Revolution fast gleich bei ihrem Entstehen, d.h. bereits im Jahre 1905, in der bolschewistischen »Nowaja Schisn« hervorrief. Wir wollen noch darauf hinweisen, wie sich die Redaktion der »Gesammelten Werke« Lenins nach 1917 über diese Theorie geäußert hat. In den Anmerkungen zu Bd. XIV, T. II, S. 481 wird gesagt:

»Schon vor der Revolution 1905 hatte er (Trockij) die eigenartige und jetzt besonders bemerkenswerte Theorie der permanenten Revolution aufgestellt, indem er behauptete, die bürgerliche Revolution von 1905 würde unmittelbar in eine sozialistische übergehen und dann die erste in der Reihe nationaler Revolutionen bilden.«

Ich gebe zu, daß dies kein Zugeständnis der Richtigkeit all dessen ist, was ich über die permanente Revolution geschrieben habe. Jedenfalls aber ist es ein Zugeständnis der Unrichtigkeit dessen, was Radek über sie schreibt. »Die bürgerliche Revolution wird unmittelbar in eine sozialistische übergehen« - das aber ist eben die Theorie des »Hineinwachsens«, nicht aber des Überspringens; daraus ergibt sich eine realistische Taktik, keine abenteuerliche. Und was bedeuten die Worte »jetzt besonders bemerkenswerte Theorie der permanenten Revolution«? Sie bedeuten, daß die Oktoberumwälzung jene Seiten dieser Theorie in neuem Lichte gezeigt hat, die früher für viele im Schatten geblieben waren oder einfach »unwahrscheinlich« schienen. Der II. Teil des XIV. Bandes der »Gesammelten Werke« Lenins ist bei Lebzeiten des Autors erschienen. Tausende und aber Tausende Parteimitglieder haben diese Anmerkung gelesen. Und niemand hat bis zum Jahre 1924 sie für falsch erklärt. Radek aber kam auf den Gedanken, dies zu tun, - im Jahre 1928. Soweit aber Radek nicht nur von der Theorie, sondern auch von der Taktik spricht, bleibt als wichtigstes Argument gegen ihn immerhin der Charakter meiner praktischen Beteiligung an den Revolutionen von 1905 und 1917. Meine Arbeit im Petersburger Sowjet von 1905 fällt zeitlich zusammen mit der Ausarbeitung jener meiner Ansichten über die Natur der Revolution, die die Epigonen jetzt einem ununterbrochenen Feuer aussetzen. Wie aber konnten sich diese angeblich so fehlerhaften Ansichten nicht in meiner politischen Tätigkeit widerspiegeln, die vor den Augen der ganzen Welt ausgeübt und täglich von der Presse registriert wurde? Nimmt man aber an, daß eine so sinnlose Theorie sich in meiner Politik geäußert hat, warum haben denn die heutigen Konsulen damals geschwiegen? Und was noch einigermaßen wichtiger ist, warum hat damals Lenin mit aller Energie die Linie des Petrograder Sowjets verteidigt, sowohl auf dem Höhepunkt der Revolution wie nach ihrer Niederlage?

Die gleichen Fragen, nur vielleicht schärfer formuliert, beziehen sich auf die Revolution von 1917. In New York schrieb ich über die Februarrevolution unter dem Gesichtspunkte der Theorie der permanenten Revolution eine Reihe von Aufsätzen. Alle diese Aufsätze sind heute nachgedruckt. Meine taktischen Schlußfolgerungen deckten sich vollends mit den Schlußfolgerungen, die Lenin zur gleichen Zeit in Genf traf, und standen somit in dem gleichen unversöhnlichen Gegensatz zu den Schlußfolgerungen Kamenjews, Stalins und der anderen Epigonen. Als ich in Petrograd ankam, hat mich niemand gefragt, ob ich mich von meinen »Irrtümern« der permanenten Revolution lossage. Es war auch niemand zum Fragen da. Stalin drückte sich verlegen in den Ecken herum und hatte nur den einen Wunsch, die Partei möge so schnell wie möglich die Politik vergessen, die er bis zur Ankunft Lenins vertreten hatte. Jaroslawski war noch nicht Vorsitzender der Kontroll-Kommission: gemeinsam mit den Menschewiki, mit Ordschonikidse und anderen gab er in Jakutsk ein halbliberales banales Blättchen heraus. Kamenjew beschuldigte Lenin des Trockijsmus und erklärte bei Begegnungen mit mir: »Jetzt ist in Ihrer Straße Feiertag.« Am Vorabend des Oktober schrieb ich im Zentralorgan der Bolschewiki über die Perspektiven der permanenten Revolution. Keinem kam es in den Sinn, mir entgegenzutreten. Meine Solidarität mit Lenin erwies sich als eine völlige und unbedingte. Was können nun meine Kritiker, darunter auch Radek, sagen? Daß ich selbst die Theorie, die ich verteidigte, völlig mißverstanden und in den verantwortlichen geschichtlichen Perioden, dieser Theorie zuwider, völlig richtig gehandelt hätte? Ist es nicht einfacher, anzunehmen, meine Kritiker hätten die permanente Revolution, wie so manches andere, nicht verstanden? Denn wenn man annimmt, daß sich diese verspäteten Kritiker nicht nur in ihren eigenen, sondern auch in fremden Gedankengut auskennen, wie ist es dann zu erklären, daß sie alle, ausnahmslos, in der Revolution von 1917 eine so klägliche Position eingenommen und sich in der chinesischen Revolution für immer mit Schande bedeckt haben?

Aber, wird sich mancher Leser plötzlich erinnern, wie steht es dennoch mit Ihrer wichtigsten taktischen Losung: »Ohne Zaren, aber eine Arbeiterregierung«?

Dieses Argument gilt in gewissen Kreisen als entscheidend. Die schreckliche Losung Trockijs: »Ohne Zaren!« geht durch alle Schriften sämtlicher Kritiker der permanenten Revolution; bei den einen taucht es auf als letztes, wichtigstes, entscheidendes Argument, bei den anderen als vorbereiteter Hafen des müden Gedankens.

Die größte Tiefe erreicht diese Kritik natürlich bei dem »Meister«13 der Unwissenheit und der Illoyalität, wenn er in seinem unvergleichlichen "Fragen des Leninismus" sagt:

»Wir wollen uns über die Position des Gen. Trockij vom Jahre 1905 nicht weiter verbreiten (na also! L.T.), wo er "einfach" die Bauernschaft als eine revolutionäre Macht vergessen" und die Losung aufgestellt hatte: "Ohne Zaren - aber eine Arbeiterregierung", d.h. die Losung für eine Revolution ohne die Bauernschaft.« (Stalin, "Fragen des Leninismus", S. 174/175.)

Trotz meiner, angesichts dieser vernichtenden Kritik, die sich nicht »verbreiten« will, geradezu hoffnungslosen Lage möchte ich doch versuchen, auf einige mildernde Umstände zu verweisen. Sie sind vorhanden. Ich bitte um Gehör.

Wenn ich auch im Jahre 1905 in irgendeinem Artikel eine zweideutige oder mißglückte Losung formuliert haben würde, die zu einem Mißverständnis Anlaß geben könnte, so dürfte man sie jetzt, nach 23 Jahren, nicht isoliert betrachten, sondern im Zusammenhang mit meinen anderen Arbeiten zu diesem Thema, hauptsächlich aber im Zusammenhing mit meiner politischen Teilnahme an den Ereignissen. Es geht einfach nicht an, den Lesern den nackten Namen eines ihnen (in gleicher Weise wie den Kritikern) unbekannten Werkes von mir zu nennen und diesem Namen einen Sinn unterzuschieben, der im völligen Gegensatz zu allem steht, was ich geschrieben und getan habe.

Vielleicht ist es auch nicht überflüssig, hinzuzufügen - oh, meine Kritiker - daß ich die Losung: »Ohne Zaren - aber eine Arbeiterregierung« weder jemals geschrieben, noch ausgesprochen, noch vorgeschlagen habe! Dem Hauptargument meiner Richter liegt, neben allem anderen, ein schändlicher faktischer Irrtum zugrunde. Die Sache verhält sich so, daß eine Proklamation unter dem Titel "Ohne Zaren - aber eine Arbeiterregierung", im Jahre 1905 von Parvus im Ausland verfaßt und herausgegeben wurde. Ich lebte zu jener Zeit längst illegal in Petersburg und stand weder in Gedanken noch in der Tat mit diesem Flugblatt irgendwie in Beziehung. Mir wurde es viel später aus polemischen Artikeln bekannt. Niemals hatte ich Veranlassung oder Gelegenheit, mich darüber zu äußern. Die Proklamation habe ich (wie übrigens alle meine Kritiker) weder gesehen noch gelesen. Das ist die tatsächliche Seite dieser hervorragenden Angelegenheit. Es tut mir sehr leid, daß ich alle Thälmanns und Semards dieses leicht transportierbaren und überzeugenden Argumentes berauben muß. Die Tatsachen aber sind stärker als meine humanen Gefühle. Mehr noch. Der Zufall hat so vorsorglich eines zum andern gefügt: zur gleichen Zeit, als Parvus im Auslande die mir unbekannte Proklamation »Ohne Zaren, aber eine Arbeiterregierung« herausgab, erschien in Petersburg illegal ein von mir geschriebenes Flugblatt mit dem Titel: »Weder Zar noch Semzi14, sondern das Volk.« Dieser Titel, der sich im Text des Flugblattes als eine Arbeiter und Bauern umfassende Losung mehrmals wiederholt, ist gleichsam dazu erfunden, um in populärer Form die späteren Behauptungen vom Überspringen des demokratischen Stadiums der Revolution zu widerlegen. Der Aufruf ist in Bd. II, Teil 1, S. 256 meiner "Werke" nachgedruckt. Dort stehen auch meine vom bolschewistischen Zentralkomitee herausgegebenen Proklamationen an jene Bauernschaft, die ich, nach dem genialen Ausdruck Stalins, »einfach vergessen« habe.

Aber auch das ist noch nicht alles. Ganz vor kurzem hat der ruhmreiche Rafes, ein Theoretiker und Führer der chinesischen Revolution, im theoretischen Organ des ZK der WKP von der gleichen schrecklichen Parole geschrieben, die Trockij im Jahre 1917 aufgestellt habe. Nicht 1905, sondern 1917! Für den Menschewiken Rafes gibt es allerdings eine Entschuldigung: er war fast bis 1920 »Minister« bei Petljura, wie konnte er da, beschwert von den Staatsnöten des Kampfes gegen die Bolschewiki, sich darum kümmern, was im Lager der Oktoberrevolution vor sich ging? Nun, und die Redaktion des Organs des ZK? Wichtigkeit! - ein Blödsinn mehr oder weniger ... »Wie aber ist denn das möglich?« könnte ein mittels der Makulatur der letzten Jahre erzogener gewissenhafter Leser ausrufen. »Man hat uns in Hunderten und Tausenden von Büchern und Artikeln doch gelehrt ... «

»Ja, Freunde, gelehrt; man wird eben umlernen müssen. Das sind die Unkosten der Reaktionsperiode. Dagegen läßt sich nichts tun. Die Geschichte verläuft eben nicht geradlinig. Vorübergehend gerät sie in stalinsche Sackgassen.«

5. Hat sich bei uns die »demokratische Diktatur« verwirklicht? Und wann?

Sich auf Lenin berufend, behauptet Radek, die demokratische Diktatur habe sich in der Doppelherrschaft der Kerenski-Periode verwirklicht. Ja, manchmal, und zwar bedingt, hat Lenin die Frage in dieser Weise gestellt, das gebe ich zu. »Manchmal?« entrüstet sich Radek und beschuldigt mich, ich griffe den fundamentalsten Gedanken Lenins an. Aber Radek ist nur deshalb böse, weil er unrecht hat. In den »Lehren des Oktober«, die Radek mit einer reichlichen Verspätung von etwa vier Jahren gleichfalls einer Kritik unterwirft, habe ich Lenins Worte über die »Verwirklichung« der demokratischen Diktatur folgendermaßen gedeutet:

»Die demokratische Arbeiter- und Bauernkoalition konnte nur als ein unreifes, nicht zur wirklichen Herrschaft gelangtes Gebilde - nur als Tendenz, nicht aber als eine Tatsache in Erscheinung treten.« (Bd. III, T. 1, S. XXI.)

In bezug auf diese Deutung schreibt Radek: »Diese Wiedergabe eines der theoretisch hervorragendsten Kapitel der Arbeit Lenins taugt absolut nichts.« Diesen Worten folgt ein pathetischer Appell an die Traditionen des Bolschewismus, und endlich der Schluß: »Diese Fragen sind zu wichtig, um sie mit einem Hinweis auf das zu beantworten, was Lenin manchmal gesagt hat.«

Radek will mit dem allen die Vorstellung von meinem nachlässigen Verhalten gegen »einen der hervorragendsten« Gedanken Lenins hervorrufen. Aber Radek vergeudet umsonst Entrüstung und Pathos. Ein wenig Verständnis wäre hier angebrachter. Meine wenn auch sehr gedrängte Darstellung in den "Lehren des Oktober" beruht nicht auf einer plötzlichen Eingebung auf Grund von Zitaten aus zweiter Hand, sondern auf einer wirklichen Durcharbeitung der Schriften Lenins. Sie gibt das Wesen der leninschen Gedanken über diese Frage wieder, während die wortreiche Darstellung Radeks trotz dem Zitatenüberfluß am leninschen Gedanken keine lebendige Stelle übrig läßt.

Weshalb habe ich das einschränkende Wort »manchmal« gebraucht? Weil es sich in der Tat so verhielt. Hinweise darauf, daß die demokratische Diktatur sich in der »Doppelherrschaft« (»in bestimmten Formen und bis zu einem bestimmten Grade«) »verwirklicht« hätte, hat Lenin nur in der Periode zwischen dem April und dem Oktober 1917 gemacht, d.h. bevor die wahre Verwirklichung der demokratischen Revolution vollzogen war. Dies hat Radek weder bemerkt, noch begriffen, noch zu bewerten verstanden. Im Kampfe gegen die heutigen Epigonen sprach Lenin äußerst bedingt von der »Verwirklichung« der demokratischen Diktatur, nicht als von einem historischen Charakteristikum der Periode der Doppelherrschaft - in dieser Form wäre es ein platter Unsinn -, sondern er argumentierte damit gegen jene, die auf eine zweite, verbesserte Auflage der selbständigen demokratischen Diktatur warteten. Lenins Worte hatten nur den Sinn, daß es keine andere demokratische Diktatur außer der jämmerlichen Fehlgeburt der Doppelherrschaft gibt und geben werde, und daß man sich deshalb mit neuen Waffen versehen, d.h. die Parole ändern müsse. Zu behaupten, daß die Koalition der Menschewiken und der Sozialrevolutionäre mit der Bourgeoisie, die den Bauern das Land verweigerte und auf die Bolschewiki eine Hetzjagd betrieb -, die »Verwirklichung« der bolschewistischen Parole darstellte, bedeutet, entweder bewußt schwarz für weiß auszugeben oder aber völlig den Kopf verloren zu haben.

In bezug auf die Menschewiki könnte man das Argument anführen, das dem leninschen Argument gegen Kamenjew bis zu einem gewissen Grade analog wäre: »Ihr erwartet, daß die Bourgeoisie eine "fortschrittliche" Mission in der Revolution erfülle? Diese Mission ist bereits verwirklicht: die politische Rolle Rodsjankos, Gutschkows und Miljukows ist das Maximum dessen, was die liberale Bourgeoisie zu geben vermochte, wie die Kerenskiade jenes Maximum an demokratischer Revolution ist, das sich als selbständige Etappe verwirklichen konnte.«

Unbestreitbare anatomische Merkmale - Rudimente - beweisen, daß unsere Ahnen einen Schwanz hatten. Diese Merkmale genügen, um die genetische Einheit der Lebewesen zu bestätigen. Aber wenn wir offen sprechen sollen, hat der Mensch doch keinen Schwanz. Lenin wies Kamenjew am Regime der Doppelherrschaft Rudimente der demokratischen Diktatur nach, warnend, daß man aus diesen Rudimenten kein neues Organ erhoffen dürfe. Und eine selbständige demokratische Diktatur haben wir nicht gehabt, wenngleich wir bei uns die demokratische Revolution tiefer, entschiedener, reiner vollzogen, als es irgendwo sonst jemals der Fall war.

Radek sollte darüber nachdenken, daß, wenn im Februar-April die demokratische Diktatur tatsächlich verwirklicht gewesen wäre, selbst Molotow sie erkannt hätte. Die Partei und die Klasse verstanden die demokratische Diktatur als ein Regime, das den alten Staatsapparat der Monarchie erbarmungslos vernichtet und den gutsherrlichen Bodenbesitz restlos liquidiert. Davon aber gab es in der Kerenski-Epoche keine Spur. Für die bolschewistische Partei jedoch handelte es sich um die tatsächliche Verwirklichung der revolutionären Aufgaben, nicht aber um die Aufdeckung gewisser soziologischer und historischer »Rudimente«. Diese nicht zur Entwicklung gelangten Anzeichen hat Lenin, um seine Widersacher theoretisch aufzuklären - großartig nachgewiesen. Aber doch nichts anderes mehr. Radek aber versucht allen Ernstes, uns zu überzeugen, daß in der Periode der Doppelherrschaft, d.h. der Herrschaftslosigkeit, die »Diktatur« existiert und die demokratische Revolution sich verwirklicht hatte. Nur sei es angeblich eine derartige »demokratische Revolution« gewesen, daß das leninsche Genie erforderlich war, um sie zu erkennen. Das aber bedeutet eben, daß sie nicht verwirklicht war. Die wirkliche demokratische Revolution ist nämlich ein Ding, das jeder analphabetische Bauer in Rußland oder in China mühelos erkennt. Mit morphologischen Merkmalen ist es allerdings schwieriger bestellt. Trotz der russischen Lektion an Kamenjew gelingt es zum Beispiel nicht, zu erreichen, daß Radek es endlich bemerkt: in China hat sich die demokratische Diktatur (durch die Kuomintang) im leninschen Sinne ebenfalls »verwirklicht«, vollständiger und vollkommener als bei uns durch die Doppelherrschaft, und nur hoffnungslose Einfalt kann auf eine verbesserte Auflage der »Demokratie« in China warten.

Wenn sich bei uns die demokratische Diktatur nur in der Form der Kerenskiade, die die Rolle eines Laufjungen bei Lloyd George und Clemenceau spielte, verwirklicht haben würde, dann müßte man sagen, daß die Geschichte mit den strategischen Parolen der Bolschewiki grausam Hohn getrieben hat. Zum Glück ist es anders. Die bolschewistische Parole hatte sich in der Tat verwirklicht - nicht als morphologische Anspielung, sondern als größte historische Realität. Nur hat sie sich nicht vor dem Oktober, sondern nach dem Oktober verwirklicht. Der Bauernkrieg hat, nach einem Ausdruck von Marx, die Diktatur des Proletariats gestützt. Die Zusammenarbeit der zwei Klassen wurde durch den Oktober in gigantischem Maßstabe verwirklicht. Jetzt begriff und fühlte jeder finstere Bauer, sogar ohne die Kommentare Lenins, daß sich die bolschewistische Parole im Leben durchgesetzt hatte. Und auch Lenin selbst hat diese Oktoberrevolution - ihre erste Etappe - als die wahre Verwirklichung der demokratischen Revolution, und damit auch als die wahre, wenn auch veränderte Realisierung der strategischen Parole der BoIschewiki eingeschätzt. Man muß den ganzen Lenin betrachten. Und vor allem, den Lenin nach dem Oktober, als er die Ereignisse von einer höheren Warte aus überblickte und bewertete. Schließlich muß man Lenin auf die leninsche Art, nicht auf die der Epigonen, betrachten.

Die Frage nach dem Klassencharakter der Revolution und ihres »Hinauswachsens« unterwirft Lenin (nach dem Oktober) einer Analyse in seinem Buche gegen Kautsky. Hier eine Stelle, über die Radek ein wenig nachdenken sollte:

»Ja, unsere Revolution (die Oktoberrevolution. L.T.) ist eine bürgerliche, solange wir mit der Bauernschaft als Gesamtheit zusammengehen. Dessen waren wir uns klarer als klar bewußt und haben Hunderte und Tausende von Malen seit 1905 gesagt, daß man diese notwendige Stufe des historischen Prozesses weder überspringen, noch durch Dekrete abschaffen könne.«

Und ferner:

»Es ist gerade so gekommen, wie wir es vorausgesagt haben. Der Gang der Revolution hat die Richtigkeit unserer Betrachtung bestätigt. Anfangs gemeinsam mit der >gesamten< Bauernschaft gegen die Monarchie, gegen die Gutsbesitzer, gegen das Mittelalter (und insofern bleibt die Revolution eine bürgerliche, eine bürgerlich-demokratische). Und dann zusammen mit der ärmsten Bauernschaft, mit dem Halbproletarier, zusammen mit allen Ausgebeuteten gegen den Kapitalismus, darunter gegen die Reichen und die Spekulanten des Dorfes, und insofern wird die Revolution eine sozialistische.« (Bd. XV, S. 508.)

So sprach Lenin nicht »manchmal«, sondern immer, oder, richtiger, dem Gang der Revolution, einschließlich des Oktober, eine abschließende, verallgemeinernde, vollständige Einschätzung gebend - für immer. »Es ist gerade so gekommen, wie wir es vorausgesagt haben.« Die bürgerlich-demokratische Revolution hatte sich als Koalition der Arbeiter und Bauern verwirklicht. In der Kerenskiade? Nein, in der ersten Periode nach dem Oktober. Stimmt das? Das stimmt. Aber sie hatte sich, wie wir jetzt wissen, nicht in der Form der demokratischen Diktatur, sondern in der Form der Diktatur des Proletariats verwirklicht. Damit fiel auch die Notwendigkeit der alten algebraischen Formel weg.

Wenn man das bedingte Argument Lenins gegen Kamenjew von 1917 und die abgeschlossene leninsche Charakteristik der Oktober-Umwälzung in den nachfolgenden Jahren unkritisch nebeneinander stellt, dann ergibt sich, daß sich bei uns zwei demokratische Revolutionen »verwirklicht« haben. Das ist zu viel, um so mehr, als die zweite von der ersten durch einen bewaffneten Aufstand des Proletariats getrennt ist.

Man stelle jetzt dem soeben angeführten Zitat aus Lenins Buch: "Der Renegat Kautsky", die Stelle aus meinen "Ergebnissen und Perspektiven" gegenüber, wo, im Kapitel über das "proletarische Regime", die erste Etappe der Diktatur und die Perspektive ihres weiteren Hinauswachsens angedeutet ist:

»Die Abschaffung der ständischen Leibeigenschaft wird die Unterstützung der gesamten Bauernschaft, als eines unterjochten Standes, finden. Die progressive Einkommensteuer wird die Unterstützung einer riesigen Mehrheit der Bauernschaft finden. Aber gesetzgebende Maßnahmen zum Schutze des Landproletariats werden nicht nur keine aktiven Sympathien bei der Gesamtheit finden, sondern sie werden auf den aktiven Widerstand einer Minderheit stoßen.

Das Proletariat wird gezwungen sein, den Klassenkampf in das Dorf zu tragen und auf diese Weise jene Interessengemeinschaft zu verletzen, die zweifellos bei der gesamten Bauernschaft besteht, wenn auch in verhältnismäßig engen Grenzen. Das Proletariat wird in den nächsten Momenten seiner Herrschaft eine Stütze suchen müssen in dem Interessengegensatz von Dorfarmut und den Dorfreichen - von Landproletariat und ackerbauender Bourgeoisie.« (»Unsere Revolution« 1906, S. 255.)

Wie doch das alles einer »Ignorierung« der Bauernschaft und der völligen »Gegensätzlichkeit« der beiden Linien, der leninschen und der meinen, ähnlich sieht!

Das oben angeführte Zitat von Lenin steht bei diesem nicht vereinzelt da. Im Gegenteil, wie es bei Lenin stets der Fall ist, wird bei ihm die neue Formel, die die Ereignisse tiefer erhellt, die Achse seiner Reden und seiner Artikel für eine ganze Zeitperiode. Im März 1919 sagt Lenin:

»Im Oktober 1917 ergriffen wir gemeinsam mit der Bauernschaft in deren Gesamtheit die Macht. Das war eine bürgerliche Revolution, insofern sich der Klassenkampf im Dorfe noch nicht entwickelt hatte.« (Bd. XVI, S. 143.)

Folgendes sagt Lenin auf dem Parteitag im März 1919:

»In einem Lande, wo das Proletariat gezwungen war, die Macht mit Hilfe der Bauernschaft zu nehmen und wo dem Proletariat die Rolle des Agenten der kleinbürgerlichen Revolution zufiel - war unsere Revolution bis zur Schaffung der Komitees der Armut, d.h. bis zum Sommer und sogar Herbst 1918, in hohem Maße eine bürgerliche Revolution.« (Bd. XVI, S. 105.)

Diese Worte hat Lenin in verschiedenen Variationen und bei verschiedenen Anlässen mehrfach wiederholt. Radek umgeht aber einfach diesen kapitalen Gedanken Lenins, der die Streitfrage entscheidet.

Das Proletariat hat gemeinsam mit der Bauernschaft im Oktober die Macht genommen, sagt Lenin. Schon dadurch allein war die Revolution eine bürgerliche. Stimmt das? In gewissem Sinne ja. Aber das bedeutet ja eben, daß die wahre demokratische Diktatur des Proletariats und der Bauernschaft, d.h. jene, die tatsächlich das Regime der Selbstherrschaft und der Leibeigenschaft vernichtet und den Feudalen das Land entriß, sich nicht vor dem Oktober, sondern erst nach dem Oktober vollzogen hat; vollzogen hat, um mit Marx zu sprechen, als Diktatur des Proletariats, gestützt auf den Bauernkrieg, um erst nach einigen Monaten mit dem Hineinwachsen in eine sozialistische Diktatur zu beginnen. Ist das unverständlich? Können darüber heute Meinungsverschiedenheiten herrschen?

Nach Radek sündigt die »permanente« Theorie durch das Vermischen der bürgerlichen Etappe mit der sozialistischen. In Wirklichkeit jedoch hat die Klassendynamik diese zwei Etappen so gründlich »vermischt«, d.h. »verschmolzen« - daß unser unglücklicher Metaphysiker nicht mehr imstande ist, die Enden auseinanderzuhalten.

Gewiß kann man in den "Ergebnissen und Perspektiven" manche Lücke und manche unrichtige Behauptung finden. Aber diese Arbeit war nicht im Jahre 1928, sondern im wesentlichen vor dem Oktober ... vor dem Oktober 1905 geschrieben. Die Frage der Lücken in der Theorie der permanenten Revolution, oder richtiger, in meinen damaligen Begründungen dieser Theorie, wird von Radek gar nicht berührt, denn seinen Lehren - den Epigonen - folgend, attackiert er nicht die Lücken, sondern die starken Seiten der Theorie, jene, die der Gang der historischen Entwicklung bestätigt hat, attackiert sie im Namen der im Kern falschen Schlußfolgerungen, die er aus der leninschen - von Radek nicht durchstudierten und nicht bis zu Ende durchdachten - Einstellung ableitet.

Das Jonglieren mit älteren Zitaten betreibt die gesamte Epigonenschule überhaupt auf einer besonderen Ebene, die den realen historischen Prozeß nirgendwo schneidet. Wenn aber die Gegner des »Trotzkismus« sich mit der Analyse der wirklichen Entwicklung der Oktoberrevolution zu beschäftigen haben und sich ernsthaft und gewissenhaft damit beschäftigen - was manchen von ihnen mitunter passiert -, dann gelangen sie unvermeidlich zu Formulierungen im Geiste der Theorie, die sie ablehnen. Den krassesten Beweis dafür finden wir in den Arbeiten von A. Jakowljew, die der Geschichte der Oktoberrevolution gewidmet sind. Die Klassenbeziehungen des alten Rußlands formuliert dieser Autor, heute eine Stütze der regierenden Fraktion15 und zweifellos gebildeter als die anderen Stalinisten, vor allem als Stalin selbst, folgendermaßen:

»... Wir sehen eine doppelte Begrenztheit des Bauernaufstandes (März - Oktober 1917). Sich auf die Stufe eines Bauernkrieges erhebend, überwand der Aufstand seine Begrenztheit nicht, sprengte nicht die Rahmen der unmittelbaren Aufgabe: den benachbarten Gutsbesitzer zu vernichten; verwandelte sich nicht in eine organisierte revolutionäre Bewegung; überwand nicht den die Bauernbewegung auszeichnenden Charakter einer elementaren Rebellion.

Der Bauernaufstand an sich genommen - ein elementarer, in seinen Zielen auf die Ausrottung des benachbarten Gutsbesitzers begrenzter Akt - konnte nicht siegen, konnte die der Bauernschaft feindliche Staatsmacht, die den Gutsbesitzer stützte, nicht vernichten. Deshalb vermochte die Agrarbewegung nur zu siegen, weil sie von der entsprechenden städtischen Klasse geführt wurde ... Dies ist der Grund, weshalb sich das Schicksal der Agrarrevolution letzten Endes nicht in den Zehntausenden von Dörfern, sondern in den Hunderten von Städten entschied. Nur die Arbeiterklasse, die in den Zentren des Landes der Bourgeoisie einen tödlichen Schlag zufügte, konnte den Bauernaufstand siegreich gestalten; nur der Sieg der Arbeiterklasse in der Stadt konnte die Bauernbewegung aus den Rahmen eines elementaren Zusammenstoßes einiger Zehnmillionen Bauern mit einigen Zehntausend Gutsbesitzern herausreißen; nur der Sieg der Arbeiterklasse konnte schließlich den Grundstein legen zu einem neuen Typus der Bauernorganisation, die die arme und mittlere Bauernschaft nicht mit der Bourgeoisie, sondern mit der Arbeiterklasse verbindet. Das Problem des Sieges des Bauernaufstandes war ein Problem des Sieges der Arbeiterklasse in der Stadt.

Als die Arbeiter im Oktober der Regierung der Bourgeoisie einen entscheidenden Schlag zufügten, haben sie damit gleichzeitig das Problem des Sieges des Bauernaufstandes gelöst.«

Und ferner:

»... darum ging es eben, daß kraft der historisch gegebenen Bedingungen im Jahre 1917 das bürgerliche Rußland im Bunde mit den Gutsbesitzern auftrat. Selbst die linkesten Fraktionen der Bourgeoisie, wie die Menschewiki und Sozialrevolutionäre, gingen nicht über die Organisierung eines für die Gutsbesitzer günstigen Abkommens hinaus. Darin besteht der wichtigste Unterschied zwischen den Bedingungen der russischen Revolution und der französischen, die vor über 100 Jahren stattfand ... Die Bauernrevolution konnte im Jahre 1917 als bürgerliche Revolution nicht siegen [na also! L.T.]. Vor ihr standen zwei Wege. Entweder Niederlage unter den Schlägen der vereinigten Kräfte der Bourgeoisie und der Gutsbesitzer oder - Sieg, als Bewegung, die mit der proletarischen Revolution gemeinsam geht und ihr zum Sieg verhilft. Indem die Arbeiterklasse Rußlands die Mission der französischen Bourgeoisie in der Großen Französischen Revolution übernahm, indem sie die Aufgabe übernahm, die agrar-demokratische Revolution zu führen, erhielt die Arbeiterklasse die Möglichkeit für eine siegreiche proletarische Revolution.« ("Die Bauernbewegung im Jahre 1917", Staatsverlag, 1927, S. X-XI, XI-XII.)

Was sind die Grundelemente der Ausführungen Jakowljews? Die Unfähigkeit der Bauernschaft zu einer selbständigen politischen Rolle; die sich daraus ergebende Unvermeidlichkeit der Hegemonie der städtischen Klasse; die Unzulänglichkeit der russischen Bourgeoisie für die Führerrolle in der Agrarrevolution; die sich daraus ergebende Unvermeidlichkeit der führenden Rolle des Proletariats; dessen Machtergreifung als Führer der Agrarrevolution; schließlich die Diktatur des Proletariats, die sich auf den Bauernkrieg stützt und eine Epoche sozialistischer Revolutionen eröffnet. Dies vernichtet in der Wurzel die metaphysische Fragestellung nach dem »bürgerlichen« oder dem »sozialistischen« Charakter der Revolution. Der Kern der Sache bestand darin, daß die Agrarfrage, die die Basis der bürgerlichen Revolution bildete, unter der Herrschaft der Bourgeoisie nicht gelöst werden konnte. Die Diktatur des Proletariats erscheint auf der Szene nicht nach der Vollendung der agrar-demokratischen Revolution, sondern als notwendige Voraussetzung ihrer Vollendung. Mit einem Wort, wir haben in diesem retrospektiven Schema Jakowljew's alle Grundelemente der Theorie der permanenten Revolution, wie sie von mir im Jahre 1905 formuliert wurde. Bei mir hatte es sich um eine historische Prognose gehandelt, Jakowljew zieht, gestützt auf die Vorarbeit eines ganzen Stabes junger Forscher, Schlußfolgerungen aus den Lehren von drei Revolutionen, 22 Jahre nach der ersten Revolution, 10 Jahre nach der Oktoberrevolution. Und nun? Jakowljew wiederholt fast wörtlich meine Formulierung von 1905.

Wie verhält sich aber Jakowljew, zu der Theorie der permanenten Revolution? So, wie es sich für einen stalinschen Beamten gebührt, der seinen Posten behalten und sogar einen höheren erklimmen will. Wie aber versöhnt Jakowljew in diesem Falle die Analyse der Triebkräfte der Oktoberrevolution mit dem Kampf gegen den »Trotzkismus«? Sehr einfach: er macht sich über eine solche Versöhnung keine Gedanken. Wie manche liberalen zaristischen Beamten, die die Theorie Darwins anerkannten, gleichzeitig pünktlich zur Kommunion erschienen, so erkaufte sich auch Jakowljew das Recht, manchmal marxistische Gedanken zu äußern, mit dem Preis der Beteiligung an der Ritualhetze gegen die permanente Revolution. Solcher Beispiele könnte man Dutzende anführen.

Es bleibt noch hinzuzufügen, daß Jakowljew die obenzitierte Arbeit über die Geschichte der Oktoberrevolution nicht aus eigener Initiative ausführte, sondern auf Grund eines Beschlusses des Zentralkomitees, das gleichzeitig mir die Redigierung der Jakowljewschen Arbeit übertrug16. Damals erwartete man noch die Genesung Lenins, und keinem der Epigonen kam in den Sinn, einen künstlichen Streit um die Theorie der permanenten Revolution zu entfachen. Ich kann jedenfalls als früherer oder richtiger als in Aussicht genommener Redakteur der offiziellen Geschichte der Oktoberrevolution mit voller Genugtuung feststellen, daß der Autor in allen Streitfragen bewußt oder unbewußt die wörtliche Formulierung meiner verfolgten und ketzerischen Arbeit über die Theorie der permanenten Revolution anwendete. ("Ergebnisse und Perspektiven").

Die abgeschlossene Bewertung des historischen Schicksals der bolschewistischen Parole, die Lenin selbst gegeben hat, beweist mit Sicherheit, daß der Unterschied der zwei Linien, der »permanenten« und der leninschen, nebensächliche und untergeordnete Bedeutung gehabt hat; geeint jedoch hatte sie das Grundsätzliche. Und dieses Grundsätzliche der beiden durch den Oktober restlos verschmolzenen Linien ist ein unversöhnlicher Gegensatz nicht nur zu der Februar-März-Linie von Stalin und zu der April-Oktober-Linie von Kamenjew, Rykow, Sinowjew, nicht nur zu der gesamten Chinapolitik Stalin-Bucharin-Martynow, sondern auch zu der heutigen »chinesischen Linie« Radeks.

Und wenn Radek, der seine Werturteile zwischen 1925 und der zweiten Hälfte 1928 so radikal geändert hat, mich des Nichtverstehens »der Kompliziertheit des Marxismus und Leninismus« zu überführen sucht, so kann ich darauf antworten: den grundsätzlichen Gedankengang, den ich vor 25 Jahren in den "Ergebnissen und Perspektiven" entwickelte, betrachte ich als durch die Ereignisse vollkommen richtig bestätigt, und gerade deshalb als mit der strategischen Linie des Bolschewismus übereinstimmend.

Insbesondere sehe ich nicht die geringste Veranlassung, etwas von dem zurückzunehmen, was ich im Jahre 1922 über die permanente Revolution im Vorwort zu meinem Buche »1905« gesagt habe, das zu Lenins Lebzeiten in unzähligen Auflagen und Nachdrucken die gesamte Partei gelesen und studiert hat und das erst im Herbst 1924 Kamenjew, und im Herbst 1928 zum ersten Male Radek »beunruhigte«:

»Gerade in der Zeit zwischen dem 9. Januar und dem Oktoberstreik 1905 - wird in diesem Vorwort gesagt - haben sich bei dem Autor jene Ansichten über den Charakter der revolutionären Entwicklung Rußlands herausgebildet, die später den Namen "Theorie der permanenten Revolution" erhalten haben. Dieser etwas seltsame Name drückte den Gedanken aus, daß die russische Revolution, vor der unmittelbar bürgerliche Ziele stehen, keinesfalls bei ihnen wird Halt machen können. Die Revolution wird ihre nächsten bürgerlichen Aufgaben nicht anders lösen können, als indem sie das Proletariat an die Macht stellt ...

Diese Ansicht hat sich, wenn auch nach einer Pause von 12 Jahren, als vollkommen richtig bestätigt. Die russische Revolution konnte nicht mit dem bürgerlich-demokratischen Regime abschließen. Sie mußte der Arbeiterklasse die Macht übergeben. Wenn die Arbeiterklasse zu der Eroberung der Macht im Jahre 1905 noch zu schwach war, so mußte sie reifen und erstarken nicht in der bürgerlich-demokratischen Republik, sondern in der Illegalität des "3. Juni-Zarismus"«17. (L. Trockij, "1905", Vorwort, S.45.)

Ich will noch eins der schärfsten polemischen Urteile anführen, das ich über die Parole der "demokratischen Diktatur" gegeben habe. Im Jahre 1909 schrieb ich in dem polnischen Organ von Rosa Luxemburg:

»Wenn die Menschewiki, von der Abstraktion ausgehend, unsere Revolution sei bürgerlich, zu dem Gedanken kommen, die gesamte Taktik des Proletariats dem Verhalten der liberalen Bourgeoisie, mit Einfluß deren Eroberung der Staatsmacht, anzupassen, so kommen die Bolschewiki, ausgehend von derselben nackten Abstraktion: »demokratische, nicht sozialistische Diktatur«, zu dem Gedanken der bürgerlich-demokratischen Selbstbeschränkung des Proletariats, in dessen Händen sich die Staatsmacht befindet. Der Unterschied zwischen ihnen in dieser Frage ist allerdings recht bedeutend: während die antirevolutionären Seiten des Menschewismus sich in ihrer ganzen Kraft bereits jetzt äußern, drohen die antirevolutionären Züge des Bolschewismus als große Gefahr erst im Falle des revolutionären Sieges.«

Zu dieser Stelle des Artikels, der in der russischen Ausgabe meines Buches »1905« nachgedruckt ist, machte ich im Januar 1922 folgende Anmerkung:

»Dies ist bekanntlich nicht eingetroffen, da der Bolschewismus unter der Führung Lenins (nicht ohne inneren Kampf) eine Umgestaltung seiner geistigen Waffen in dieser wichtigsten Frage im Frühling 1917, d.h. vor der Machteroberung, vorgenommen hat.«

Die beiden Zitate standen seit 1924 unter dem Sturmangriff der Kritik. Jetzt, mit einer Verspätung von vier Jahren, hat sich auch Radek dieser Kritik angeschlossen. Wenn man sich jedoch in die angeführten Zeilen gewissenhaft hineindenkt, so muß man zugeben, daß sie eine wichtige Prognose und eine nicht weniger wichtige Warnung enthielten. Die Tatsache bleibt doch bestehen, daß im Augenblick der Februar-Revolution die ganze sogenannte »alte Garde« der Bolschewiki auf dem Boden der nackten Gegenüberstellung von demokratischer Diktatur und sozialistischer Diktatur stand. Aus der »algebraischen« (viele »arithmetische« Deutungen zulassenden) Formel Lenins hatten seine nächsten Schüler eine rein metaphysische Konstruktion gemacht und diese gegen die wirkliche Entwicklung der Revolution gerichtet. An dem wichtigsten historischen Wendepunkt hat die Leitung der Bolschewiki in Rußland eine reaktionäre Position eingenommen, und wäre Lenin nicht rechtzeitig gekommen, wäre sie imstande gewesen, im Zeichen des Kampfes gegen den Trotzkismus die Oktoberrevolution abzuwürgen, wie sie später die chinesische Revolution abgewürgt hat. Mit frommer Miene schildert Radek die irrige Position der gesamten leitenden Parteischicht als eine Art »Zufall«. Das taugt aber wenig als marxistische Erklärung der vulgär-demokratischen Position von Kamenjew, Sinowjew, Stalin, Molotow, Rykow, Kalinin, Nogin, Milutin, Krestinski, Frunse, Jaroslawski, Ordschonikidse, Preobraschenski, Smilga und einem Dutzend anderer "alter Bolschewiki". Wäre es nicht richtiger, anzuerkennen, daß die alte bolschewistische Formel gewisse Gefahren in sich barg: die politische Entwicklung hatte sie, wie es mit nicht zu Ende geführten revolutionären Formeln stets zu geschehen pflegt, mit einem der proletarischen Revolution feindlichen Inhalt gefüllt. Es ist selbstverständlich, daß Lenin, wenn er in Rußland gelebt und die Entwicklung der Partei tagein, tagaus, besonders während des Krieges, beobachtet hätte, rechtzeitig die notwendigen Korrekturen und Deutungen gegeben haben würde. Zum Glück für die Revolution ist er, wenn auch mit einer Verspätung, früh genug gekommen, um die notwendige Umgestaltung der geistigen Waffen vorzunehmen. Der Klasseninstinkt des Proletariats und der revolutionäre Druck der unteren Parteischichten, durch die vorangegangene Arbeit des Bolschewismus vorbereitet, haben es Lenin ermöglicht, im Kampfe mit der führenden Spitze und gegen sie, die Politik der Partei in kürzester Frist auf ein neues Gleis zu führen.

Folgt nun daraus, daß wir für China, Indien und die anderen Länder auch heute die leninsche Formel von 1905 in ihrer algebraischen Unausgesprochenheit akzeptieren und es den chinesischen und indischen Stalins und Rykows (Tan-Pin-Sjan, Roy und anderen) überlassen müssen, die Formel mit kleinbürgerlich-national-demokratischem Inhalt zu füllen, um - dann auf das rechtzeitige Erscheinen eines Lenin zu warten, der die nötige Korrektur vom 4. April vornehmen soll? Ist vielleicht eine solche Korrektur für China und Indien gesichert? Oder ist es nicht richtiger, die Formel schon jetzt so zu konkretisieren, wie es die historische Erfahrung, für China ebenso wie für Rußland, gelehrt hat?

Ist das Dargestellte so zu verstehen, daß die Parole der demokratischen Diktatur des Proletariats und der Bauernschaft einfach ein »Fehler« war? Jetzt werden bekanntlich alle Gedanken und Handlungen der Menschen in zwei Kategorien eingeteilt: unbedingt richtige, d.h. solche, die in die »Generallinie« hineinpassen, und unbedingt falsche, d.h. von dieser Linie abweichende. Das hindert natürlich nicht, daß das heute unbedingt Richtige, morgen als das unbedingt Falsche erklärt wird. Aber die reale Entwicklung der Ideen kannte vor dem Auftauchen der »Generallinie« auch die Methode der sukzessiven Annäherungen an die Wahrheit. Selbst eine einfache arithmetische Teilung zwingt, die Zahlen versuchsweise auszuwählen, indem man entweder mit den großen oder mit den kleinen beginnt, um sie dann bei der Nachprüfung zu verwerfen. Bei dem Einschießen auf ein Ziel nennt die Artillerie die Methode der sukzessiven Annäherung: »Gabel.« Die Methode der Annäherung ist auch in der Politik völlig unvermeidlich. Die ganze Frage besteht nur darin, rechtzeitig einzusehen, daß ein Kurzschuß ein Kurzschuß ist, und ohne Zeitverlust die notwendige Korrektur vorzunehmen.

Die große historische Bedeutung der leninschen Formel bestand darin, daß sie unter den Bedingungen einer neuen historischen Epoche eine der wichtigsten theoretischen und politischen Tagesfragen erschöpft hatte, und zwar die Frage nach der erreichbaren Stufe der politischen Selbständigkeit der verschiedenen kleinbürgerlichen Gruppierungen, vor allem der Bauernschaft. Durch ihre Vollstandigkeit hat die bolschewistische Erfahrung von 1905-1917 der »demokratischen Diktatur« die Türe fest verrammelt. Eigenhändig hat Lenin über diese Türe die Aufschrift gemacht: Weder Eingang noch Ausgang. Er hat es mit solchen Worten formuliert: Der Bauer geht entweder mit dem Bürger oder mit dem Arbeiter. Die Epigonen ignorieren aber diese Schlußfolgerung, zu der die alte Formel des Bolschewismus geführt hat, vollständig, und kanonisieren entgegen dieser Schlußfolgerung eine vorübergehende Hypothese, indem sie sie in das Programm aufnehmen. Denn darin besteht eigentlich, allgemein gesprochen, das Wesen des Epigonentums.

6. Vom Überspringen historischer Stufen

Radek wiederholt nicht nur einige offizielle kritische Schreibübungen der letzten Jahre, er versimpelt sie noch, soweit das möglich ist. Aus seinen Worten ergibt sich, daß ich überhaupt keinen Unterschied zwischen der bürgerlichen und der sozialistischen Revolution, zwischen dem Osten und dem Westen gemacht hätte, weder im Jahre 1905, noch heute. Nach Stalin belehrt auch er mich über die Unzulässigkeit des Überspringens historischer Stufen.

Nun, dann muß man vor allem die Frage stellen: Wenn es sich für mich im Jahre 1905 einfach um die »sozialistische Revolution« gehandelt hat, weshalb glaubte ich dann, sie könne im zurückgebliebenen Rußland eher beginnen als im fortgeschrittenen Europa? Aus Patriotismus? Aus Nationalstolz am Ende? Und immerhin ist es doch so gekommen. Begreift Radek dies: Hätte sich bei uns die demokratische Revolution als selbständige Etappe verwirklichen können, wir würden dann heute die Diktatur des Proletariats nicht haben. Wenn sie bei uns früher kam als im Westen, so gerade und nur deshalb, weil die Geschichte den grundsätzlichen Inhalt der bürgerlichen Revolution mit der ersten Etappe der proletarischen Revolution vereinigt - nicht vermengt, sondern organisch vereinigt hat.

Das Unterscheiden zwischen der bürgerlichen und der proletarischen Revolution ist das politische Abc. Aber nach dem Abc folgen die Silben, die Vereinigung der Buchstaben. Die Geschichte hat eben eine solche Vereinigung der wichtigsten Buchstaben des bürgerlichen Alphabets mit den ersten Buchstaben des sozialistischen vollzogen. Radek aber möchte uns von den ersten vollbrachten Silben zum Alphabet zurückzerren. Es ist traurig, aber es ist wahr.

Unsinn, daß man Stufen überhaupt nicht überspringen könne. Über einzelne »Stufen«, die sich ergeben aus der theoretischen Gliederung des Entwicklungsprozesses in seiner Gesamtheit, d.h. in seiner maximalen Vollständigkeit, macht der lebendige historische Prozeß dauernd Sprünge und verlangt das gleiche in kritischen Momenten von der revolutionären Politik. Man kann sagen, in der Fähigkeit, diesen Moment zu erkennen und auszunützen, besteht der erste Unterschied zwischen einem Revolutionär und einem Vulgär-Evolutionisten.

Die Marxsche Gliederung der Industrie-Entwicklung in Handwerk, Manufaktur und Fabrik gehört zum Abc der politischen Ökonomie, genauer, der historisch-ökonomischen Theorie. In Rußland aber ist die Fabrik gekommen, die Epoche der Manufaktur und des städtischen Handwerks überspringend. Das sind nun schon Silben der Geschichte. Ein ähnlicher Prozeß hat bei uns in den Klassenverhältnissen und in der Politik stattgefunden. Man kann die neuere Geschichte Rußlands nicht begreifen, wenn man das Marxsche Schema der drei Stufen nicht kennt: Handwerk, Manufaktur, Fabrik. Wenn man aber nur dieses kennt, kann man auch noch nichts begreifen. Die Sache ist nämlich die, daß die Geschichte Rußlands, was Stalin nicht kränken darf, manche Stufe übersprungen hat. Die theoretische Unterscheidung der Stufen ist jedoch auch für Rußland notwendig, sonst kann man weder begreifen, worin dieser Sprung bestand, noch was er zur Folge hatte.

Man kann an die Sache auch von einer anderen Seite herangehen (wie Lenin manchmal an die Doppelherrschaft heranging) und sagen, Rußland habe alle drei Marxschen Stufen durchgemacht. Jedoch die ersten zwei in äußerst zusammengedrängter Form, sozusagen, im Keimzustande. Diese »Rudimente«, gleichsam durch Punkte angedeutete Stufen des Handwerks und der Manufaktur, genügen, um die genetische Einheit des ökonomischen Prozesses zu bestätigen. Dabei ist aber die quantitative Verkürzung dieser zwei Stufen so groß, daß sie ganz neue qualitative Eigenschaften in dem gesamten sozialen Bau der Nation erzeugten. Der grellste Ausdruck dieser neuen »Qualität« in der Politik ist die Oktoberrevolution.

Am unerträglichsten wirkt bei dieser Diskussion der »theoretisierende« Stalin mit seinen zwei Prunkstücken, die sein gesamtes theoretisches Gepäck bilden: »dem Gesetz der ungleichmäßigen Entwicklung« und »dem Nichtüberspringen der Stufen«. Stalin begreift es bis jetzt nicht, daß die ungleichmäßige Entwicklung eben in dem Überspringen der Stufen (oder im zu langen Sitzenbleiben auf einer Stufe) besteht. Der Theorie der permanenten Revolution stellt Stalin mit unvergleichlichem Ernst ... das Gesetz der ungleichmäßigen Entwicklung entgegen. Indessen beruhte die Prognose, daß das historisch zurückgebliebene Rußland früher zur proletarischen Revolution kommen könne als das fortgeschrittene England, durchaus auf dem Gesetz der ungleichmäßigen Entwicklung. Nur mußte man für diese Prognose die historische Ungleichmäßigkeit in ihrer ganzen dynamischen Konkretion verstanden haben und nicht einfach ein permanenter Wiederkäuer eines leninschen Zitates aus dem Jahre 1915 sein, das auf den Kopf gestellt und in der Manier eines Analphabeten ausgelegt wird.

Die Dialektik der historischen »Stufen« ist relativ leicht zu verstehen in Perioden revolutionärer Aufstiege. Reaktionäre Perioden dagegen werden naturnotwendig zu Epochen des billigsten Evolutionismus. Die Staliniade, diese dicke geistige Vulgarität, die würdige Tochter der Parteireaktion, hat einen Kultus der Stufenbewegung geschaffen, als Hülle für ihre politische Nachbeterei und Brockensammlerei. Diese reaktionäre Ideologie hat jetzt auch Radek gepackt.

Die eine oder die andere Etappe eines historischen Prozesses kann sich unter gegebenen Umständen als unabwendbar erweisen, obwohl sie theoretisch nicht als unvermeidlich erscheint. Und umgekehrt: theoretisch »unvermeidliche« Etappen können durch die Dynamik der Entwicklung auf Null zusammengedrängt werden, besonders während Revolutionen, die man nicht umsonst Lokomotiven der Geschichte genannt hat.

So hat bei uns das Proletariat das Stadium des demokratischen Parlamentarismus »übersprungen«, indem es der Konstituierenden Versammlung nur ein Leben von Stunden, und auch dieses nur im geschichtlichen Hinterhof, zubilligte. Aber das konterrevolutionäre Stadium in China läßt sich in keiner Weise überspringen, wie man bei uns auch die Periode der vier Dumen nicht überspringen konnte. Das heutige konterrevolutionäre Stadium in China war aber historisch keinesfalls »unvermeidlich«. Es ist das unmittelbare Resultat der katastrophalen Politik der Stalin-Bucharin, die in die Geschichte als die Organisatoren der Niederlagen eingehen werden. Und die Früchte des Opportunismus sind ein objektiver Faktor geworden, der den revolutionären Prozeß für lange Zeit aufhalten kann.

Jeder Versuch des Überspringens realer, d.h. objektiv bedingter Etappen in der Entwicklung der Massen, bedeutet politisches Abenteurertum. Solange die Arbeitermasse in ihrer Mehrheit den Sozialdemokraten vertraut, oder, sagen wir der Kuomintang oder den Trade-Unionisten, können wir die Aufgabe der unmittelbaren Niederwerfung der bürgerlichen Macht nicht stellen. Die Masse muß darauf vorbereitet werden. Die Vorbereitung kann sich als eine sehr große »Stufe« erweisen. Aber nur ein Chwostist18 kann glauben, daß wir »zusammen mit der Masse« in der Kuomintang sitzen, zuerst in der rechten, dann in der linken, oder einen Block mit dem Streikbrecher Purcell so lange aufrechterhalten müssen, »bis die Masse enttäuscht ist an den Führern« - die wir inzwischen durch unsere Freundschaft unterstützen und mit Autorität versehen.

Radek wird doch wohl noch nicht vergessen haben, daß manche »Dialektiker« die Forderung des Austritts aus der Kuomintang und des Bruches mit dem anglo-russischen Komitee als nichts anderes bezeichneten, denn als ein Überspringen von Stufen und außerdem als eine Lostrennung von der Bauernschaft (in China) und von den Arbeitermassen (in England). Radek muß sich dessen um so besser erinnern, als er selbst zu den »Dialektikern« dieses traurigen Musters gehörte. Im Augenblick vertieft und verallgemeinert er nur seine opportunistischen Irrtümer.

Im April 1919 schrieb Lenin in einem Programmaufsatz »Die dritte Internationale und ihr Platz in der Geschichte«:

»Wir werden kaum fehlgehen, wenn wir sagen, daß gerade der Widerspruch zwischen der Zurückgebliebenheit Rußlands und seinem "Sprung" über die bürgerliche Demokratie hinweg zur höchsten Form des Demokratismus - zur proletarischen oder Sowjetdemokratie, daß gerade dieser Widerspruch eine der Ursachen war ... die im Westen das Verständnis für die Rolle der Sowjets besonders erschwerten oder verzögerten.« (Lenin, Bd. XVI. S. 183.)

Lenin sagt hier direkt, daß Rußland »einen Sprung über die bürgerliche Demokratie« gemacht habe. Gewiß hat Lenin, wenn auch indirekt, diese Behauptung durch alle notwendigen Einschränkungen ergänzt: die Dialektik besteht nicht darin, daß man jedesmal alle konkreten Bedingungen wiederholt; der Schriftsteller geht davon aus, daß der Leser auch selbst etwas im Kopfe hat. Der Sprung über die bürgerliche Demokratie bleibt trotzdem bestehen und erschwert, nach einer richtigen Bemerkung Lenins, allen Dogmatikern und Schematikern - und zwar nicht nur im Westen, sondern auch im Osten - das Verständnis für die Rolle der Sowjets.

Und in jenem "Vorwort" zu dem Buche "1905", das Radek jetzt plötzlich soviel Kopfschmerzen macht, steht folgendes:

»Die Petersburger Arbeiter nannten schon im Jahre 1905 ihren Sowjet eine proletarische Regierung. Diese Bezeichnung ging damals in den Sprachgebrauch ein und deckte sich vollständig mit dem Programm des Kampfes der Arbeiterklasse um die Macht. Gleichzeitig jedoch stellten wir dem Zarismus das erweiterte Programm der politischen Demokratie entgegen (Allgemeines Wahlrecht, Republik, Miliz usw.). Anders konnten wir nicht handeln. Die politische Demokratie ist eine notwendige Etappe in der Entwicklung der Arbeitermassen - mit dem wesentlichen Vorbehalt, daß in dem einen Falle diese Etappe Jahrzehnte dauert, während in dem anderen Falle die revolutionäre Situation es den Massen erlaubt, sich von den Vorurteilen der politischen Demokratie zu befreien, noch bevor deren Institutionen in die Wirklichkeit umgesetzt worden sind.« (Trockij, "1905", Vorwort.)

Diese Worte, die nebenbei völlig mit dem von mir angeführten Gedanken Lenins übereinstimmen, erklären, wie mir scheint, zur Genüge die Notwendigkeit, der Diktatur der Kuomintang »das erweiterte Programm der politischen Demokratie« gegenüberzustellen. Gerade hier aber kommt Radek von links heran. In der Epoche des revolutionären Aufstiegs hatte er sich dem Austritt der chinesischen kommunistischen Partei aus der Kuomintang widersetzt. In der Epoche der konterrevolutionären Diktatur widersetzt er sich der Mobilisierung der chinesischen Arbeiter unter der Parole der Demokratie. Das heißt, einem im Sommer einen Pelz hinhalten und im Winter ihn nackt ausziehen.


7. Was bedeutet die Parole der demokratischen Diktatur heute für den Osten?

In das stalinsche - evolutionär-philisterhafte, nicht aber revolutionäre - Verständnis der historischen »Stufen« hineinstolpernd, versucht jetzt auch Radek, die Parole der demokratischen Diktatur des Proletariats und der Bauernschaft für den ganzen Osten zu kanonisieren. Aus der Arbeitshypothese des Bolschewismus, die Lenin dem Entwicklungsgang eines bestimmten Landes anpaßte, veränderte, konkretisierte und auf einer bestimmten Etappe verwarf, macht Radek ein überhistorisches Schema. Folgendes wiederholt er zu diesem Punkte unermüdlich in seinem Artikel:

»Diese Theorie und die sich aus ihr ergebende Taktik ist anwendbar in allen Ländern mit junger kapitalistischer Entwicklung, in denen die Bourgeoisie die Fragen, die ihr die vorangegangenen sozial-politischen Formationen als Erbschaft hinterlassen haben, nicht liquidierte.«

Denkt euch in diese Formel hinein: das ist doch eine feierliche Rechtfertigung der kamenjewschen Position von 1917! Hatte denn die russische Bourgeoisie durch die Februar-Umwälzung die Fragen der demokratischen Revolution liquidiert? Nein, sie blieben ungelöst, darunter auch die allerwichtigste, die Agrarfrage. Wie hat Lenin es nicht begreifen können, daß die alte Formel noch »anwendbar« war? Weshalb hat er sie abgesetzt? Radek hat uns früher darauf geantwortet: weil sie sich bereits »verwirklicht hatte«. Wir haben diese Antwort untersucht. Sie ist völlig unhaltbar, doppelt unhaltbar im Munde von Radek, der auf dem Standpunkt steht, das Wesen der alten leninschen Parole bestehe gar nicht in den Formen der Macht, sondern in der faktischen Liquidierung der Leibeigenschaft durch die Zusammenarbeit von Proletariat und Bauernschaft. Das aber hat die Kerenskiade gerade nicht gebracht. Daraus folgt, daß die Exkursion Radeks in unsere Vergangenheit zwecks Lösung der heute aktuellsten Frage, der chinesischen, überhaupt völlig sinnlos ist. Nicht das war zu untersuchen, was Trockij im Jahre 1905 verstanden oder nicht verstanden hat, sondern das, was Stalin, Molotow und besonders Rykow und Kamenjew im Februar-März 1917 nicht begriffen haben (wie Radeks Position in jenen Tagen gewesen, ist mir unbekannt). Denn wenn man glaubt, daß die demokratische Diktatur sich in der Doppelherrschaft so weit »verwirklicht« habe, um eine Änderung der zentralen Parole zu erfordern, dann muß man anerkennen, daß die »demokratische Diktatur« in China sich durch das Regime der Kuomintang, d.h. durch die Herrschaft Tschangkaischek und Wan-Tin-Wei mit Tan-Pin-Sjan19 als Anhängsel noch viel vollständiger und gründlicher verwirklicht hat. Um so notwendiger war mithin die Änderung der Parole in China.

Ist denn die »Erbschaft der vorangegangenen sozialpolitischen Formationen« in China noch nicht liquidiert? Nein, sie ist noch nicht liquidiert. War sie aber bei uns am 4. April 1917 liquidiert, als Lenin der ganzen oberen Schicht der »alten Bolschewiki« den Krieg erklärte? Radek widerspricht sich hoffnungslos, irrt und taumelt hin und her. Beachten wir dabei, daß er nicht ganz zufällig einen so komplizierten, umschreibenden Ausdruck wie »Erbschaft der Formationen«, gebraucht, an verschiedenen Stellen variiert und offensichtlich den klareren Ausdruck: »Überbleibsel des Feudalismus oder der Leibeigenschaft« vermeidet. Weshalb? Weil Radek erst gestern diese Überbleibsel auf das bestimmteste abgelehnt und damit der Parole der demokratischen Diktatur jeden Boden entrissen hat. In seinem Referat in der Kommunistischen Akademie sagte Radek:

»Die Quellen der chinesischen Revolution sind nicht weniger tief als die Quellen unserer Revolution von 1905 es waren. Man kann mit Sicherheit behaupten, daß das Bündnis der Arbeiterklasse mit der Bauernschaft dort stärker sein wird als es im Jahre 1905 bei uns gewesen, aus dem einfachen Grunde, weil es sich nicht gegen zwei Klassen richten wird, sondern gegen eine, die Bourgeoisie.«

Ja, »aus dem einfachen Grunde«. Nun, wenn aber das Proletariat zusammen mit der Bauernschaft sich gegen eine Klasse, die Bourgeoisie - nicht gegen die Überbleibsel des Feudalismus, sondern gegen die Bourgeoisie - richtet, wie heißt dann erlauben Sie, bitte, die Frage - eine solche Revolution? Etwa eine demokratische? Man beachte, daß Radek dieses nicht im Jahre 1905 und nicht einmal im Jahre 1909, sondern im März 1927 gesprochen hat. Wie soll man das verstehen? Sehr einfach. Auch im März 1927 irrte Radek vom rechten Wege ab, nur in eine andere Richtung. In ihren Thesen zur chinesischen Frage brachte die Opposition zu der damaligen Einseitigkeit Radeks eine wesentliche Korrektur ein. Aber in den soeben angeführten Worten war immerhin ein Kern Wahrheit: den Stand der Gutsbesitzer gibt es in China fast nicht, die Grundbesitzer sind mit den Kapitalisten viel enger verbunden als im zaristischen Rußland, das spezifische Gewicht der Agrarfrage ist deshalb in China viel geringer als im zaristischen Rußland; dafür aber nimmt die Frage der nationalen Befreiung einen großen Platz ein. Dementsprechend kann die Fähigkeit der chinesischen Bauernschaft zum selbständigen revolutionär-politischen Kampf, um die demokratische Erneuerung des Landes keinesfalls größer sein als bei der russischen Bauernschaft. Das fand seinen Ausdruck unter anderem darin, daß weder vor dem Jahre 1925, noch während der drei Jahre der Revolution in China eine Volkspartei erstand, die die Agrarumwälzung auf ihr Banner geschrieben hätte. Das alles zusammen beweist, daß für China, welches die Erfahrung von 1925-1927 bereits hinter sich gelassen hat, die Formel der demokratischen Diktatur eine noch gefährlichere reaktionäre Falle darstellt als bei uns nach der Februar-Revolution.

Auch eine andere Exkursion Radeks in eine noch ferner liegende Vergangenheit wendet sich ebenso erbarmungslos gegen ihn. In diesem Falle handelt es sich um die Parole der permanenten Revolution, die Marx im Jahre 1850 aufstellte:

»Bei Marx - schreibt Radek - hat es keine Parole einer demokratischen Diktatur gegeben, während sie bei Lenin von 1905 bis 1917 die politische Achse war und einen Bestandteil seiner Konzeption der Revolution in allen (?!) Ländern der beginnenden (?) kapitalistischen Entwicklung bildete.«

Auf einige Zeilen von Lenin gestützt, erklärt Radek diesen Unterschied der Positionen damit, daß die zentrale Aufgabe der deutschen Revolution die nationale Vereinigung bildete, während es bei uns die Agrarfrage war. Will man diese Gegenüberstellung nicht mechanisieren und die Proportionen einhalten, dann ist sie bis zu einem gewissen Grade richtig. Aber was soll dann mit China werden? Das spezifische Gewicht des nationalen Problems in China, einem halb kolonialen Lande, ist im Vergleich mit dem Agrarproblem unermeßlich größer als es selbst in Deutschland in den Jahren 1848-1850 war; denn in China geht es gleichzeitig sowohl um die Vereinigung wie um die Befreiung. Seine Perspektive der permanenten Revolution hat Marx formuliert, als in Deutschland noch alle Throne feststanden, die Junker das Land besaßen und die Spitzen der Bourgeoisie nur im Vorzimmer der Regierung geduldet waren. In China gibt es bereits seit 1911 keine Monarchie, es gibt keine selbständige Gutsbesitzerklasse, an der Macht steht die nationalbürgerliche Kuomintang, die Leibeigenschaftsbeziehungen sind mit der bürgerlichen Ausbeutung sozusagen chemisch verschmolzen. Die von Radek unternommene Gegenüberstellung der Positionen von Marx und Lenin spricht somit restlos gegen die Parole der demokratischen Diktatur in China.

Aber auch die Position von Marx nimmt Radek nicht ernsthaft, sondern nebenbei, episodisch, sich auf das Zirkular von 1850 beschränkend, wo Marx die Bauernschaft noch als den natürlichen Verbündeten der kleinbürgerlichen Stadtbourgeoisie betrachtet. Marx erwartete damals die selbständige Etappe der demokratischen Revolution in Deutschland, d.h. die vorübergehende Übernahme der Macht durch die städtischen kleinbürgerlichen Radikalen, gestützt auf die Bauernschaft. Das ist der Haken! Aber gerade das ist nicht eingetroffen. Und nicht zufällig. Schon in der Mitte des vergangenen Jahrhunderts erwies sich die kleinbürgerliche Demokratie als ohnmächtig, selbständig ihre Revolution zu vollziehen. Und Marx hat diese Lehre in seine Berechnung aufgenommen. Am 16. April 1856 - also sechs Jahre nach dem erwähnten Zirkular - schreibt Marx an Engels:

»Die ganze Sache in Deutschland wird abhängen von der Möglichkeit, der proletarischen Revolution durch eine Art zweiter Auflage des Bauernkrieges Deckung zu geben. Dann wird die Sache vorzüglich.«

Diese ausgezeichneten Worte, von Radek völlig vergessen, bilden einen wahrhaft kostbaren Schlüssel zur Oktoberrevolution wie zu dem ganzen uns hier beschäftigenden Problem. Hat Marx die Agrarumwälzung übersprungen? Nein, wie wir sehen, hat er sie nicht übersprungen. Hielt er die Zusammenarbeit von Proletariat und Bauernschaft in der nächsten Revolution für notwendig? Ja, das tat er. Ließ er die Möglichkeit der führenden oder auch nur der selbständigen Rolle der Bauernschaft in der Revolution zu? Nein, er ließ diese Möglichkeit nicht zu. Er ging davon aus, daß die Bauernschaft, der es nicht gelungen war, der bürgerlichen Demokratie in der selbständigen demokratischen Revolution Deckung zu geben (durch die Schuld der bürgerlichen Demokratie, nicht der Bauernschaft), daß diese Bauernschaft in der proletarischen Revolution imstande sein werde, dem Proletariat Deckung zu geben. »Dann wird die Sache vorzüglich.« Radek will es gleichsam nicht sehen, daß dies im Oktober geschehen ist, und zwar gar nicht schlecht geschehen ist.

In bezug auf China sind die sich daraus ergebenden Schlußfolgerungen völlig klar. Der Streit geht nicht um die entscheidende Rolle der Bauernschaft als Verbündeten, und nicht um die große Bedeutung der Agrarumwälzung, sondern darum, ob in China eine selbständige agrar-demokratische Revolution möglich ist, oder aber ob »eine zweite Auflage des Bauernkrieges« der proletarischen Diktatur Deckung geben wird. Nur so steht die Frage. Wer sie anders stellt, hat nichts gelernt, nichts begriffen, verwirrt nur die chinesische kommunistische Partei und drängt sie vom richtigen Wege ab.

Damit sich die Proletarier der östlichen Länder den Weg zum Siege öffnen, muß man in erster Linie die pedantisch-reaktionäre Theorie der Stalin-Martynow von "Stadien" und "Stufen" beseitigen, wegwerfen, zertreten und mit einem Besen auskehren. Der Bolschewismus ist groß geworden im Kampfe gegen diesen Vulgär-Evolutionismus. Man hat sich nicht einer a priori aufgestellten Marschroute anzupassen, sondern dem realen Gang des Klassenkampfes. Hinweg mit der stalin-kuusinenschen Idee: für die Länder verschiedener Entwicklungsgrade eine Reihenfolge zu bestimmen, ihnen im voraus revolutionäre Rationen auf Karten zuzuweisen. Man muß sich dem realen Gang des Klassenkampfes anpassen. Ein unschätzbarer Führer dafür ist Lenin, nur muß man den gesamten Lenin berücksichtigen.

Als Lenin im Jahre 1919, besonders im Zusammenhang mit der Organisierung der Kommunistischen Internationale, aus der abgelaufenen Periode die Schlußfolgerungen zu einer Einheit verband und ihnen eine immer abgeschlossenere theoretische Formulierung gab, hat er die Erfahrung der Kerenskiade und des Oktobers folgendermaßen gedeutet: In einer bürgerlichen Gesellschaft mit bereits entwickelten Klassengegensätzen kann es nur entweder eine offene oder eine verhüllte Diktatur der Bourgeoisie geben oder aber die Diktatur des Proletariats. Von einem Übergangsregime kann nicht die Rede sein. Jede Demokratie, jede "Diktatur der Demokratie" (die ironischen Anführungsstriche sind von Lenin) wird nur eine Verschleierung der Herrschaft der Bourgeoisie sein, wie die Erfahrung des zurückgebliebensten europäischen Landes, Rußlands, in der Epoche der bürgerlichen Revolution, d.h. in einer für die "Diktatur der Demokratie" günstigsten Epoche, gezeigt hat. Diese Schlußfolgerung nahm Lenin als Basis für seine Thesen über Demokratie, die erst aus der Summe der Erfahrungen der Februar- und Oktoberrevolution entstanden sind.

Wie viele andere, trennt auch Radek mechanisch die Frage der Demokratie von der Frage der demokratischen Diktatur überhaupt. Die "demokratische Diktatur" kann aber nur die maskierte Herrschaft der Bourgeoisie in der Revolution sein. Dies lehrt sowohl die Erfahrung unserer "Doppelherrschaft" von 1917 wie die Erfahrung der chinesischen Kuomintang.

Die Hoffnungslosigkeit der Epigonen äußert sich am krassesten darin, daß sie auch jetzt noch versuchen, die demokratische Diktatur sowohl der Diktatur der Bourgeoisie wie der Diktatur des Proletariats gegenüberzustellen. Das aber bedeutet ja, daß die demokratische Diktatur einen Übergangscharakter, d.h. einen kleinbürgerlichen Inhalt haben muß. Die Beteiligung des Proletariats an ihr ändert die Lage nicht, denn es gibt keinen arithmetischen Durchschnitt der verschiedenen Klassenlinien in der Natur. Ist es weder die Diktatur der Bourgeoisie, noch die Diktatur des Proletariats, dann heißt es, daß die Kleinbourgeoisie die bestimmende und entscheidende Rolle spielen muß. Das aber bringt uns zurück zu der Frage, auf die die drei russischen und die zwei chinesischen Revolutionen geantwortet haben: Ist heute, unter den Bedingungen der Weltherrschaft des Imperialismus, die Kleinbourgeoisie fähig, in kapitalistischen Ländern eine führende revolutionäre Rolle zu spielen, auch wenn es sich um zurückgebliebene Länder handelt, denen die Lösung ihrer demokratischen Aufgaben noch bevorsteht?

Es hat Epochen gegeben, in denen die unteren Schichten der Kleinbourgeoisie ihre revolutionäre Diktatur aufrichten konnten. Das wissen wir. Doch waren es Epochen, in denen das damalige Proletariat oder Vorproletariat sich nicht von der Kleinbourgeoisie unterschied, sondern, im Gegenteil, in seinem unentwickelten Zustande deren Kampfkern bildete. Ganz anders heute. Es kann nicht die Rede sein von der Fähigkeit der Kleinbourgeoisie, das Leben der heutigen, wenn auch zurückgebliebenen bürgerlichen Gesellschaft zu leiten, sofern das Proletariat sich von der Kleinbourgeoisie abgesondert hat und der Großbourgeoisie feindlich gegenübersteht, auf Grund der kapitalistischen Entwicklung, die das Kleinbürgertum zum Vegetieren verurteilt und die Bauernschaft vor die politische Wahl zwischen Bourgeoisie und Proletariat stellt. Jedesmal, wenn die Bauernschaft sich scheinbar für eine kleinbürgerliche Partei entscheidet, deckt sie faktisch mit ihrem Rücken das Finanzkapital. Wenn in der Periode der ersten russischen Revolution oder in der Periode zwischen den ersten beiden Revolutionen über den Grad der Selbständigkeit (aber nur den Grad!) der Bauernschaft und der Kleinbourgeoisie in der demokratischen Revolution noch Meinungsverschiedenheiten bestehen konnten, so ist diese Frage durch den ganzen Gang der Ereignisse der letzten zwölf Jahre entschieden worden, und zwar unwiderruflich.

Sie wurde nach dem Oktober in verschiedenen Ländern und in verschiedenen Formen und Kombinationen praktisch neu gestellt und überall einheitlich gelöst. Die grundsätzlichste Erfahrung ist, nach der Kerenskiade, wie bereits erwähnt, die Kuomintang. Aber eine nicht geringere Bedeutung ist dem Experiment des Faschismus in Italien beizumessen, wo die Kleinbourgeoisie mit der Waffe in der Hand den alten bürgerlichen Parteien die Macht entriß, um sie durch ihre Führer sofort der Finanzoligarchie auszuhändigen. Dieselbe Frage entstand in Polen, wo die Pilsudskibewegung unmittelbar gegen die reaktionäre bürgerlich-gutsherrliche Regierung gerichtet war und die Hoffnungen der kleinbürgerlichen Massen und sogar eines weiten Kreises des Proletariats widerspiegelte. Es ist kein Zufall, daß der alte polnische Sozialdemokrat Warski, aus Angst, die »Bauernschaft zu unterschätzen«, die Pilsudskiumwälzung mit der »demokratischen Diktatur der Arbeiter und Bauern« identifizierte. Es würde zu weit führen, wollte ich hier die bulgarische Erfahrung analysieren, d.h. die schmähliche Wirrwarrpolitik der Kolarows und Kabaktschiews gegenüber der Partei Stambolijskis, oder das schändliche Experiment mit der Farmer- und Arbeiterpartei in den Vereinigten Staaten, oder den Roman Sinowjews mit Raditsch, oder die Experimente der Kommunistischen Partei Rumäniens usw. usw., ohne Ende. Einige dieser Tatsachen sind in ihren wesentlichen Bestandteilen in meiner »Kritik des Programms der Komintern« analysiert. Die grundlegende Schlußfolgerung bestätigt und befestigt restlos die Lehren des Oktober: Das Kleinbürgertum mitsamt der Bauernschaft ist für die Führerrolle in der modernen, wenn auch zurückgebliebenen bürgerlichen Gesellschaft unfähig sowohl in revolutionären wie in reaktionären Epochen. Die Bauernschaft kann entweder die Diktatur der Bourgeoisie stützen oder der Diktatur des Proletariats Deckung leisten. Übergangsformen sind eine Verschleierung der Diktatur der Bourgeoisie, die ins Schwanken geraten oder nach einer Erschütterung wieder auf die Beine gekommen ist (Kerenskiade, Faschismus, Pilsudskiregime).

Die Bauernschaft kann entweder mit der Bourgeoisie oder mit dem Proletariat gehen. Wenn aber das Proletariat versucht, um jeden Preis mit der Bauernschaft zu gehen, die ihm noch nicht Gefolgschaft leistet, so erweist sich das Proletariat unvermeidlich im Schlepptau des Finanzkapitals: Arbeiter als Landesverteidiger im Jahre 1917 in Rußland; Arbeiter, darunter auch die Kommunisten, in der Kuomintang in China; Arbeiter, teilweise auch die Kommunisten in der PPS20 im Jahre 1926 in Polen usw.

Wer dieses nicht bis zu Ende durchdacht und die Ereignisse nach den lebendigen Spuren, die sie hinterlassen haben, nicht verstanden hat, der sollte sich lieber nicht um revolutionäre Politik kümmern.

Die grundsätzlichste Schlußfolgerung, die Lenin aus den Lehren des Februar und Oktober, und zwar in erschöpfender Weise gezogen hat, lehnt den Gedanken der »demokratischen Diktatur« restlos ab. Folgendes hat Lenin seit 1918 nicht nur einmal wiederholt:

»Die ganze politische Ökonomie - wenn aus ihr einer auch nur etwas gelernt hat -, die ganze Geschichte der Revolution, die ganze Geschichte der politischen Entwicklung während des XIX. Jahrhunderts lehren uns, daß der Bauer entweder mit dem Arbeiter oder mit dem Bourgeois geht. Wenn Ihrs nicht wißt, möchte ich solchen Bürgern sagen ... dann denkt über die Entwicklung irgendeiner größeren Revolution des XVIII. oder XIX. Jahrhunderts, über die politische Geschichte irgendeines Landes im XIX. Jahrhundert nach. Sie wird Euch antworten, weshalb. Die Ökonomie der kapitalistischen Gesellschaft ist derart, daß die herrschende Macht nur entweder das Kapital oder das es stürzende Proletariat sein kann. Andere Kräfte gibt es in der Ökonomik dieser Gesellschaft nicht.« (Bd. XVI, S. 217).

Nicht von dem heutigen England oder Deutschland ist hier die Rede. Auf Grund der Lehren irgendeiner größeren Revolution des XVIII. oder XIX. Jahrhunderts, d.h. der bürgerlichen Revolutionen in den zurückgebliebenen Ländern kommt Lenin zu dem Ergebnis, daß nur die Diktatur der Bourgeoisie oder die Diktatur des Proletariats möglich ist. Eine »demokratische«, d.h. zwischenstufliche Diktatur kann es nicht geben.

Seine theoretische und historische Exkursion resümiert Radek, wie wir sehen, in dem recht mageren Aphorismus, man müsse die bürgerliche von der sozialistischen Revolution unterscheiden. Auf diese »Stufe« hinabsinkend, streckt Radek förmlich einen Finger dem Kuusinen hin, der, von seiner einzigen Quelle, d.h. dem »gesunden Menschenverstand« ausgehend, es für unwahrscheinlich hält, daß man sowohl in den fortgeschrittenen wie in den zurückgebliebenen Ländern die Parole der Diktatur des Proletariats aufstellen kann. Mit der Aufrichtigkeit eines Menschen, der nichts versteht, überführt Kuusinen Trockij, dieser habe seit 1905 »nichts gelernt«. Mit Kuusinen ironisiert auch Radek: für Trockij bestehe

»die Eigenart der chinesischen und der indischen Revolutionen gerade darin, daß sie sich durch nichts von der westeuropäischen unterscheiden und darum bei den ersten Schritten (?!) zur Diktatur des Proletariats führen müssen.«

Radek vergißt dabei eine Kleinigkeit: Die Diktatur des Proletariats hat sich nicht in einem westeuropäischen, sondern gerade in einem zurückgebliebenen osteuropäischen Lande verwirklicht. Ist es Trockijs Schuld, daß der historische Prozeß die »Eigenart« Rußlands übersehen hat? Radek vergißt ferner, daß in allen kapitalistischen Ländern bei aller Mannigfaltigkeit der Entwicklungsgrade der sozialen Strukturen, Traditionen usw., d.h. bei all ihrer »Eigenart« die Bourgeoisie, d.h. präziser ausgedrückt, das Finanzkapital herrscht. Wiederum liegt hier der Mangel an Achtung vor dieser Eigenart bei der historischen Entwicklung, keinesfalls bei Trockij.

Worin besteht dann der Unterschied zwischen den fortgeschrittenen Ländern und den zurückgebliebenen? Der Unterschied ist groß, aber er bleibt doch in den Grenzen der Herrschaft kapitalistischer Beziehungen. Die Formen und Methoden der Herrschaft der Bourgeoisie sind in den verschiedenen Ländern sehr verschieden. Auf dem einen Pol trägt die Herrschaft einen nackten und absoluten Charakter: - die Vereinigten Staaten. Auf dem anderen Pol paßt sich das Finanzkapital den überlebten Institutionen des asiatischen Mittelalters an, indem es sie sich unterwirft und ihnen seine Methoden aufzwingt: - Indien. Aber hier wie dort herrscht die Bourgeoisie. Daraus folgt, daß auch die Diktatur des Proletariats hinsichtlich der sozialen Basis, der politischen Formen, der unmittelbaren Aufgaben und des Tempos der Arbeit in verschiedenen kapitalistischen Ländern einen äußerst unterschiedlichen Charakter haben wird. Die Volksmassen jedoch zum Siege über den Block der Imperialisten, Feudalen und nationalen Bourgeois zu führen, vermag nur die revolutionäre Hegemonie des Proletariats, die sich nach der Machteroberung in die Diktatur des Proletariats verwandelt.

Radek wähnt, wenn er die Menschheit in zwei Gruppen eingeteilt hat: in eine, die für die sozialistische Diktatur und in eine andere, die erst für die demokratische Diktatur »herangereift« ist, dann habe er allein schon damit, im Gegensatz zu mir, die »Eigenart« der einzelnen Länder berücksichtigt. In Wirklichkeit setzt er eine leblose Schablone in Umlauf, die die Kommunisten vom wirklichen Studium der Eigenart eines jeden Landes nur abbringen muß. Indessen kann das richtige System der Aufgaben und Handlungen ein zuverlässiges Programm des Kampfes um den Einflug auf die Arbeiter- und Bauernmassen nur aus dem genauesten Studium der wirklichen Eigenart eines bestimmten Landes, d.h. des lebendigen Geflechts der Stufen und Stadien der historischen Entwicklung entstehen.

Die Eigenarten eines Landes, das reine demokratische Revolution nicht vollzogen oder nicht vollendet hat, sind von so großer Bedeutung, daß sie als Basis für das Programm der proletarischen Avantgarde genommen werden müssen. Nur auf der Basis eines solchen nationalen Programms kann eine kommunistische Partei ihren wirklichen und erfolgreichen Kampf um die Mehrheit der Arbeiterklasse und der Werktätigen überhaupt gegen die Bourgeoisie und deren demokratische Agentur entfalten.

Die Möglichkeit des Erfolges in diesem Kampfe wird selbstverständlich in hohem Maße von der Rolle des Proletariats in der Wirtschaft des Landes, also vom Grade ihrer kapitalistischen Entwicklung bestimmt. Dies ist jedoch keinesfalls das einzige Kriterium. Keine geringere Bedeutung besitzt die Frage, ob im Lande ein so weitgehendes und brennendes »Volksproblem« besteht, an dessen Lösung die Mehrheit der Nation interessiert ist, und das für seine Lösung die kühnsten revolutionären Maßnahmen verlangt. Zu den Problemen dieser Art gehören die Agrarfrage und die nationale Frage, in ihren verschiedensten Verbindungen. Bei dem zugespitzten Agrarproblem und bei der Unerträglichkeit der nationalen Unterjochung in den Kolonialländern kann das junge und verhältnismäßig nicht zahlreiche Proletariat auf der Basis einer national-demokratischen Revolution früher zur Macht kommen als das Proletariat eines fortgeschrittenen Landes auf der Basis einer rein sozialistischen Revolution. Es sollte scheinen, daß man nach dem Oktober dieses nicht mehr zu beweisen braucht. Aber durch die Jahre der geistigen Reaktion und durch die theoretische Verkommenheit der Epigonen sind die elementaren Vorstellungen von der Revolution derart versauert, verfault und ... verkuusinisiert worden, daß man gezwungen ist, jedesmal von neuem zu beginnen.

Folgt aus dem Gesagten, daß heute bereits alle Länder der Welt so oder so für die sozialistische Revolution reif sind? Nein, das ist eine falsche, eine tote, scholastische, stalinistisch-bucharinsche Fragestellung. Die Weltwirtschaft in ihrer Gesamtheit ist zweifellos für den Sozialismus reif. Das bedeutet aber nicht, daß jedes Land einzeln reif ist. Was soll dann mit der Diktatur des Proletariats in den verschiedenen zurückgebliebenen Ländern geschehen, in China, Indien usw.? Darauf antworten wir: Die Geschichte wird nicht auf Bestellung gemacht. Ein Land kann für die Diktatur des Proletariats »reif« werden, nicht nur bevor es für den selbständigen Aufbau des Sozialismus, sondern auch bevor es für weitgehende Sozialisierungsmaßnahmen reif ist. Man darf nicht von einer vorgefaßten Harmonie der gesellschaftlichen Entwicklung ausgehen. Das Gesetz der ungleichmäßigen Entwicklung lebt noch, trotz der zarten theoretischen Umarmungen Stalins. Die Kraft dieses Gesetzes wirkt sich nicht nur in den Beziehungen der Länder untereinander, sondern auch in den gegenseitigen Beziehungen der verschiedenen Prozesse innerhalb eines Landes aus. Eine Versöhnung der ungleichmäßigen Prozesse der Ökonomik und der Politik kann man nur im Weltmaßstabe erreichen. Insbesondere bedeutet das, daß man die Frage der Diktatur des Proletariats in China nicht ausschließlich im Rahmen der chinesischen Ökonomik und der chinesischen Politik betrachten kann.

Hier kommen wir dicht an die zwei sich ausschließenden Standpunkte heran: die international-revolutionäre Theorie der permanenten Revolution und die national-reformistische Theorie des Sozialismus in einem Lande. Nicht nur nicht das zurückgebliebene China, sondern überhaupt kein Land der Welt könnte in seinem nationalen Rahmen den Sozialismus aufbauen: die hochentwickelten Produktivkräfte, die über die nationalen Grenzen hinausgewachsen sind, widersetzen sich dem genau so wie die für die Nationalisierung ungenügend entwickelten Kräfte. Die Diktatur des Proletariats in England zum Beispiel müßte auf zwar anders geartete, aber nicht geringere Schwierigkeiten und Widersprüche stoßen als jene, die sich der Diktatur des Proletariats in China entgegenstellen würden. Die Überwindung der Widersprüche wäre in beiden Fällen nur auf dem Wege der Weltrevolution möglich. Diese Einstellung läßt die Frage nach der »Reife« oder »Unreife« Chinas für die sozialistische Umwandlung gar nicht zu. Unbestritten bleibt dabei, daß die Rückständigkeit Chinas die Aufgaben der proletarischen Diktatur äußerst erschweren muß. Aber wir wiederholen: die Geschichte wird nicht auf Bestellung gemacht, und niemand hat das chinesische Proletariat vor die Wahl gestellt.

Bedeutet das wenigstens, daß jedes Land, auch das rückständigste Kolonialland, wenn nicht für den Sozialismus, so doch für die Diktatur des Proletariats reif ist? Nein, das bedeutet es nicht. Was soll dann mit der demokratischen Revolution überhaupt - und in den Kolonien insbesondere - geschehen? Wo steht es denn geschrieben - beantworte ich die Frage mit einer Frage -, daß jedes Kolonialland für die sofortige und restlose Lösung seiner national-demokratischen Aufgaben reif ist? Man muß die Frage vom andern Ende betrachten. Unter den Bedingungen des imperialistischen Zeitalters kann die national-demokratische Revolution nur dann bis zum siegreichen Ende durchgeführt werden, wenn die sozialen und politischen Verhältnisse des Landes reif dazu sind, das Proletariat als den Führer der Volksmassen an die Macht zu stellen. Und wenn dieses noch nicht der Fall ist? Dann wird der Kampf um die nationale Befreiung nur sehr geteilte, und zwar gegen die werktätigen Massen gerichtete Resultate ergeben. Im Jahre 1905 zeigte sich das Proletariat in Rußland als nicht stark genug, die Bauernmassen um sich zu vereinigen und die Macht zu erobern. Aus diesem Grunde blieb die Revolution auf halbem Wege stehen und sank dann immer tiefer und tiefer hinab. In China, wo trotz der ausnahmsweise günstigen Situation die Leitung der Kommunistischen Internationale das chinesische Proletariat hinderte, um die Macht zu kämpfen, haben die nationalen Aufgaben eine klägliche, schwankende, schäbige Lösung in dem Regime der Kuomintang gefunden.

Wann und unter welchen Bedingungen das eine oder das andere Kolonialland für die wirklich revolutionäre Lösung seiner Agrarfrage und seiner nationalen Frage reif wird, läßt sich nicht voraussagen. Jedenfalls aber können wir heute mit voller Sicherheit aussprechen, daß nicht nur China, sondern auch Indien nur durch die Diktatur des Proletariats zur wahren Volksdemokratie, d.h. zur Arbeiter- und Bauerndemokratie kommen werden. Auf dem Wege dahin können sich noch viele Etappen, Stufen und Stadien ergeben. Unter dem Druck der Volksmassen wird die Bourgeoisie noch verschiedene Schritte nach links tun, um sich dann um so erbarmungsloser gegen das Volk zu wenden. Perioden der Doppelherrschaft sind möglich und wahrscheinlich. Was es aber nicht geben wird, nicht geben kann, das ist eine wirkliche demokratische Diktatur, die nicht die Diktatur des Proletariats wäre. Eine »selbständige« demokratische Diktatur kann nur in der Art der Kuomintang, d.h. völlig gegen die Arbeiter und Bauern gerichtet sein. Das müssen wir von vornherein begreifen und es die Massen lehren, ohne durch abstrakte Formeln die Klassenrealitäten zu verschleiern.

Stalin und Bucharin predigten, in China könne die Bourgeoisie dank dem Joch des Imperialismus die nationale Revolution durchführen. Der Versuch wurde gemacht. Mit welchem Resultat? Das Proletariat ist ans Messer geliefert worden. Dann wurde gesagt: die demokratische Diktatur erwies sich als eine maskierte Diktatur des Kapitals. Zufällig? Nein. »Der Bauer geht entweder mit dem Arbeiter oder mit dem Bourgeois.« In dem einen Falle entsteht die Diktatur des Proletariats, in dem anderen die Diktatur der Bourgeoisie. Es sollte scheinen, die chinesische Lehre ist klar genug. »Nein,« erwidert man uns, »das war nur ein mißlungener Versuch, wir wollen alles vom Anfang beginnen und diesmal die >echte< demokratische Diktatur errichten.« »Auf welche Weise?« »Auf der sozialen Basis der Zusammenarbeit von Proletariat und Bauernschaft.« Diese neueste Entdeckung präsentiert uns Radek. - Aber erlaubt mal, die Kuomintang ist ja auf der gleichen Basis entstanden: Arbeiter und Bauern »zusammen« holten für die Bourgeoisie die Kastanien aus dem Feuer. Antworten Sie, wie wird die politische Mechanik dieser Zusammenarbeit aussehen? Wodurch wollen Sie die Kuomintang ersetzen? Welche Parteien werden an der Macht sein? Nennen Sie sie doch wenigstens annähernd, andeutungsweise! Darauf antwortet Radek (im Jahre 1928!), daß nur ganz erledigte Menschen, die unfähig sind, die Kompliziertheit des Marxismus zu verstehen, sich für die nebensächliche technische Frage interessieren können, welche Klasse das Pferd, welche der Reiter sein wird: Ein Bolschewik müsse sich zugunsten der Klassenbasis von dem politischen Überbau »ablenken«. Nein, Sie belieben schon Späßchen zu machen! Man hat sich genug »abgelenkt«! Übergenug! Man hat sich in China von der Frage nach dem Parteiausdruck der Zusammenarbeit der Klassen abgelenkt, man hat das Proletariat in die Kuomintang hineingelenkt, man war selbst bis zur Selbstvergessenheit von der Kuomintang hingerissen, man hat sich dem Austritt aus der Kuomintang wütend widersetzt, man drückte sich vor politischen Kampffragen durch die Wiederholung abstrakter Formeln; und nachdem die Bourgeoisie dem Proletariat nun sehr konkret den Schädel eingeschlagen hat, empfiehlt man uns, laßt uns von neuem versuchen. Und für den Anfang wollen wir uns wieder von der Frage nach den Parteien und der revolutionären Macht »ablenken«. Nein. Das sind direkt schlechte Späße. Wir werden nicht erlauben, daß man uns wieder zurückschleppt!

Diese ganze Equilibristik wird, wie wir vernommen haben, im Interesse eines Bündnisses der Arbeiter und Bauern vorgeführt. Radek warnt die Opposition vor einer Unterschätzung der Bauernschaft und erinnert an den Kampf Lenins gegen die Menschewiki. Betrachtet man, was mit den leninschen Zitaten alles angestellt wird, kann einem manchmal übel werden. Ja, Lenin hat es nicht nur einmal gesagt, daß das Ableugnen der revolutionären Rolle der Bauernschaft charakteristisch sei für die Menschewiki. Und das war richtig. Aber außer diesen Zitaten gab es in der Welt noch das Jahr 1917, in dem die Menschewiki acht Monate, die die Februar- von der Oktoberrevolution trennen, in einem festen Block mit den Sozialrevolutionären zugebracht haben. In jener Periode jedoch vertraten die Sozialrevolutionäre die überwiegende Mehrheit der durch die Revolution erwachten Bauernschaft. Gemeinsam mit den S.R. nannten sich die Menschewiki die revolutionäre Demokratie und hielten uns vor, daß gerade sie sich auf das Bündnis der Arbeiter mit den Bauern (Soldaten) stützten. Demnach hatten die Menschewiki nach der Februarrevolution die bolschewistische Formel des Bündnisses der Arbeiter und Bauern gleichsam expropriiert. Die Bolschewiki wurden von ihnen der Absicht beschuldigt, die proletarische Avantgarde von der Bauernschaft abzuspalten und dadurch die Revolution zu vernichten. Mit anderen Worten, die Menschewiki beschuldigten Lenin der Ignorierung oder mindestens der Unterschätzung der Bauernschaft.

Die Kritik Kamenjews, Sinowjews und anderer an Lenin war nur ein Widerhall der Kritik der Menschewiki. Die heutige Kritik Radeks wiederum ist nur ein verspätetes Echo der Kritik von Kamenjew.

Die Politik der Epigonen in China, darunter auch die Politik Radeks, ist die Fortsetzung und Weiterentwicklung der menschewistischen Maskerade von 1917. Das Verbleiben der Kommunistischen Partei in der Kuomintang wurde nicht nur von Stalin, sondern auch von Radek mit dem gleichen Hinweis auf die Notwendigkeit des Bündnisses der Arbeiter und Bauern verteidigt. Als es sich aber »zufällig« zeigte, daß die Kuomintang eine bürgerliche Partei ist, wurde der Versuch mit der »linken« Kuomintang wiederholt. Mit gleichen Resultaten. Danach wurde über diese traurige Wirklichkeit, die die hohen Hoffnungen nicht erfüllt hatte, die Abstraktion der demokratischen Diktatur gestellt, als Gegensatz zur Diktatur des Proletariats. Eine neue Wiederholung des Gehabten. Wir hörten im Jahre 1917 hundertemal von Zeretelli, Dan und den übrigen: »Wir haben die Diktatur der revolutionären Demokratie, ihr aber drängt zur Diktatur des Proletariats, d.h. zum Untergang.« Wahrhaftig, die Menschen haben ein kurzes Gedächtnis. Die »revolutionär-demokratische Diktatur« Stalin-Radek unterscheidet sich in nichts von der »Diktatur der revolutionären Demokratie« Zeretelli-Dans. Und diese Formel geht trotzdem nicht nur durch alle Resolutionen der Komintern, sondern sie ist auch in ihr Programm eingedrungen. Es ist schwer, eine raffiniertere Maskerade auszudenken, und gleichzeitig eine bitterere Rache des Menschewismus für jene Kränkungen, die ihm der Bolschewismus im Jahre 1917 zugefügt hat.

Die Revolutionäre des Ostens haben aber immerhin ein Recht, auf die Frage nach dem Charakter der »demokratischen Diktatur« eine konkrete Antwort zu fordern, die sich nicht auf alte, allgemeine Zitate, sondern auf Tatsachen und auf politische Erfahrung stützt. Auf die Frage: was ist »demokratische Diktatur«?, hat Stalin wiederholt die wahrhaft klassische Antwort gegeben: Für den Osten ist es beispielsweise das gleiche, was »Lenin sich in bezug auf die Revolution von 1905 vorgestellt hat«. Dies wurde gewissermaßen die offizielle Formel. Man kann sie in den Büchern und Resolutionen finden, die China, Indien oder Polynesien gewidmet sind. Man verweist Revolutionäre auf »Vorstellungen« Lenins von zukünftigen Ereignissen, die inzwischen längst vergangene Ereignisse geworden sind, wobei die hypothetischen »Vorstellungen« Lenins noch dazu schief und krumm ausgelegt werden, jedenfalls nicht so, wie sie Lenin selbst nach den Ereignissen gedeutet hat.

»Schön«, sagt der Kommunist des Ostens, den Kopf traurig hängen lassend, »wir wollen versuchen, uns das genauso vorzustellen, wie Lenin es sich, nach euren Worten, vor der Revolution vorgestellt hat. Aber sagt uns doch bitte, wie sieht diese Parole in der Tat aus? Wie hat sie sich bei euch verwirklicht?«

»Bei uns hat sie sich als Kerenskiade in der Epoche der Doppelherrschaft verwirklicht.«

»Können wir unseren Arbeitern sagen, daß die Parole der demokratischen Diktatur sich bei uns als unsere nationale Kerenskiade verwirklichen wird?« »Aber, aber! Keinesfalls! Kein Arbeiter wird eine solche Parole annehmen: die Kerenskiade ist ein Lakaientum vor der Bourgeoisie und ein Verrat an den Werktätigen.« »Aber wie müssen wir es denn unseren Arbeitern sagen?« fragt betrübt der Kommunist des Ostens.

»Sie müssen sagen«, antwortet der wachhabende Kuusinen ungeduldig, »die demokratische Diktatur sei dasselbe, was Lenin sich in bezug auf die künftige demokratische Diktatur vorgestellt hat.«

Entbehrt der Kommunist des Ostens einer gewissen Überlegung nicht, dann wird er zu erwidern versuchen:

»Aber Lenin hat doch im Jahre 1918 erklärt, daß die demokratische Diktatur erst in der Oktoberrevolution durch die Aufrichtung der Diktatur des Proletariats ihre echte und wahre Verwirklichung gefunden hat. Wäre es nicht besser, die Partei und die Arbeiterklasse nach dieser Perspektive , zu orientieren?«

»Unter keinen Umständen. Wagt nicht, auch nur daran zu denken. Das ist ja die per-r-r-manente R-r-r-evolution! Das ist Tr-r-r-r-otzkismus!«

Nach dieser bedrohlichen Zurechtweisung wird der Kommunist des Ostens bleicher als der Schnee auf den höchsten Gipfeln des Himalayas und verzichtet auf jede weitere Wißbegier. Mag es kommen, wie es will!

Und die Folgen? Wir kennen sie gut: entweder verächtliche Kriecherei von Tschangkaischek oder heroische Abenteuer.


8. Vom Marxismus zum Pazifismus

Vielleicht das Beunruhigendste in symptomatischer Hinsicht ist eine Stelle in Radeks Aufsatz, die gleichsam abseits von dem uns interessierenden zentralen Thema steht, aber durch die Einheitlichkeit des Radekschen Rucks zu den heutigen Theoretikern des Zentrismus mit diesem Thema eng verbunden ist. Es handelt sich um die etwas verschleierten Avancen an die Adresse der Theorie des Sozialismus in einem Lande. Man muß dabei verweilen, denn diese »Nebenlinie« der Irrtümer Radeks kann bei ihrer weiteren Entwicklung alle anderen Meinungsverschiedenheiten übertreffen, und es kann sich zeigen, daß ihre Quantität endgültig in Qualität umgeschlagen ist.

Es handelt sich um Gefahren, die die Revolution von außen bedrohen. Radek schreibt, daß Lenin

»sich dessen bewußt war, daß bei dem Grade der ökonomischen Entwicklung Rußlands im Jahre 1905 diese (proletarische) Diktatur sich nur halten kann, wenn ihr das westeuropäische Proletariat zu Hilfe kommt.« (Kursiviert von mir. L.T.)

Ein Irrtum nach dem anderen, vor allem eine gröbste Verletzung der historischen Perspektive. In Wirklichkeit hat Lenin, und nicht nur einmal, gesagt, daß sich die demokratische Diktatur (nicht aber die proletarische) in Rußland ohne die sozialistische Revolution in Europa nicht würde halten können. Dieser Gedanke zieht sich wie ein roter Faden durch alle Artikel und Reden Lenins aus der Zeit des Stockholmer Parteitages im Jahre 1906 (Polemik mit Plechanow, Fragen der Nationalisierung des Bodens, Gefahren der Restauration usw.). In jener Periode hat Lenin die Frage nach einer proletarischen Diktatur in Rußland vor der sozialistischen Revolution in Westeuropa überhaupt nicht gestellt. Das wichtigste aber besteht im Augenblick nicht darin. Was heißt es: »bei dem Grade der ökonomischen Entwicklung Rußlands im Jahre 1905«? Und wie verhält es sich mit dem Grade von 1917? Auf diesem Unterschied der Grade ist die Theorie vom Sozialismus in einem Lande aufgebaut. Das Programm der Komintern hat den ganzen Erdball eingeteilt in Karrees, die sich für den selbständigen Aufbau des Sozialismus »eignen« und solche, die sich »nicht eignen«, und damit der revolutionären Strategie eine Reihe auswegloser Sackgassen geschaffen. Der Unterschied der ökonomischen Grade kann zweifellos von entscheidender Bedeutung für die politische Macht der Arbeiterklasse sein. Im Jahre 1905 haben wir uns nicht bis zur Diktatur des Proletariats erheben können, wie wir allerdings auch nicht zur demokratischen Diktatur aufzusteigen vermochten. Im Jahre 1917 haben wir die Diktatur des Proletariats aufgerichtet, die die demokratische Diktatur mit einschloß. Aber bei dem ökonomischen Entwicklungsgrad von 1917, wie auch bei dem ökonomischen Grad von 1905, kann die Diktatur sich nur dann behaupten und zum Sozialismus entfalten, wenn das westeuropäische Proletariat ihr rechtzeitig zu Hilfe kommt. Selbstverständlich läßt sich diese »Rechtzeitigkeit« nicht im voraus berechnen: sie wird von dem Gang der Entwicklung und des Kampfes bestimmt. Gegenüber dieser grundsätzlichen Frage, die von dem internationalen Kräfteverhältnis, dem das letzte und entscheidende Wort gehört, bestimmt wird, ist der Unterschied der Entwicklungsgrade in Rußland in den Jahren 1905 und 1917, so wichtig dieser an sich auch ist, ein Faktor zweiter Ordnung.

Radek aber begnügt sich nicht mit der zweideutigen Berufung auf diese Gradunterschiede. Nachdem er darauf verwiesen hat, daß Lenin den Zusammenhang der inneren Probleme der Revolution mit deren Weltproblemen gesehen hat (allerdings!), fügt Radek hinzu:

»Lenin hat den Begriff dieses Zusammenhanges zwischen der Aufrechterhaltung der sozialistischen Diktatur in Rußland und der Hilfe des westeuropäischen Proletariats nicht durch die übermäßig zugespitzte Formulierung Trockijs verschärft, nämlich, daß es eine staatliche Hilfe, d.h. die Hilfe des bereits siegreichen westeuropäischen Proletariats sein müsse.« (Kursiviert von mir. L.T.)

Offen gestanden, ich habe meinen Augen nicht getraut, als ich diese Zeilen las. Zu welchem Zweck benötigte Radek diese untaugliche Waffe aus dem Arsenal der Epigonen? Das ist ja nichts weiter als eine verlegene Wiedergabe der stalinschen Banalitäten, über die wir uns stets so gründlich lustig gemacht haben. Außer allem anderen beweist das angeführte Zitat, daß Radek eine sehr schlechte Vorstellung hat von den grundsätzlichen Marksteinen des leninschen Weges. Lenin hat niemals wie Stalin den Druck des europäischen Proletariats auf die bürgerliche Macht der Eroberung der Macht durch das Proletariat gegenübergestellt, im Gegenteil, er hat die Frage nach der revolutionären Hilfe von außen viel schärfer formuliert als ich. In der Epoche der ersten Revolution wiederholte er unermüdlich, daß wir die Demokratie (sogar die Demokratie!) ohne die sozialistische Revolution in Europa nicht behalten würden. In den Jahren 1917-18 und in den folgenden Jahren hat Lenin das Schicksal unserer Revolution überhaupt nicht anders betrachtet und bewertet als im Zusammenhang mit der in Europa begonnenen sozialistischen Revolution. Er hat es zum Beispiel offen ausgesprochen: »Ohne den Sieg der Revolution in Deutschland ist unser Untergang unvermeidlich.« Das hat er im Jahre 1918 gesagt, also nicht bei dem »ökonomischen Entwicklungsgrad« von 1905, und er hat nicht spätere Jahrzehnte gemeint, sondern kürzeste Fristen, die nach wenigen Jahren, wenn nicht nach Monaten, zu bemessen sind.

Dutzende Male hat Lenin erklärt: wenn wir standgehalten haben, »so nur deshalb, weil eine besondere Fügung der Verhältnisse uns für einen kurzen Augenblick (für einen kurzen Augenblick! L.T.) vor dem internationalen Imperialismus gedeckt hat«. Und weiter: »Der internationale Imperialismus ... kann sich keinesfalls und unter keinen Umständen mit einer neben ihm existierenden Sowjetrepublik abfinden ... Ein Konflikt wird hier unvermeidlich.« Und die Schlußfolgerung? Etwa die pazifistische Hoffnung auf den »Druck« des Proletariats oder auf die »Neutralisierung« der Bourgeoisie? Nein, die Schlußfolgerung lautet: »Hier liegt die größte Schwierigkeit der russischen Revolution ... die Notwendigkeit, die Weltrevolution hervorzurufen.« (Bd. XV, S. 126.) Wann wurde das gesprochen und geschrieben? Nicht im Jahre 1905, als Nikolaus II. mit Wilhelm II. über die Unterdrückung der Revolution verhandelte, und als ich meine »zugespitzte Formel« aufstellte, sondern in den Jahren 1918, 1919 und später.

Folgendes hat Lenin, Rückschau haltend, auf dem III. Kongreß der Komintern gesagt:

»Uns war klar, daß der Sieg der proletarischen Revolution (bei uns. L.T.) ohne die Unterstützung durch die internationale Revolution, durch die Weltrevolution unmöglich ist. Noch vor der Revolution und auch nachher glaubten wir: sofort, oder mindestens sehr bald, wird die Revolution in den übrigen, kapitalistisch fortgeschritteneren Ländern begingen, andernfalls aber müßten wir zugrunde gehen. Und obwohl wir uns dessen bewußt waren, haben wir alles getan, um unter allen Umständen und um jeden Preis das Sowjetsystem zu halten, denn wir wußten, daß wir nicht nur für uns, sondern auch für die internationale Revolution arbeiten. Wir haben es gewußt und diese unsere Überzeugung sowohl vor der Oktoberrevolution wie auch unmittelbar danach und während des Abschlusses des Brest-Litowsker Friedens wiederholt ausgesprochen. Und dies war allgemein gesprochen richtig. In Wirklichkeit verlief die Bewegung nicht so gradlinig, wie wir es erwartet hatten.« (Protokolle des III. Kongresses der Komintern, S. 354 d. russ. Ausg.)

Die Bewegung begann seit 1921 nicht so gradlinig zu verlaufen, wie wir es in den Jahren 1917-1919 (und nicht nur 1905) erwartet hatten. Aber sie entwickelte sich doch auf der Linie der unversöhnlichen Gegensätze zwischen dem Arbeiterstaat und der bürgerlichen Welt. Eines von beiden muß zugrunde gehen! Den Arbeiterstaat vor den tödlichen Gefahren, nicht nur den militärischen, sondern auch den ökonomischen, zu bewahren, das vermag nur die siegreiche Entwicklung der proletarischen Revolution im Westen. Der Versuch, in dieser Frage zwei Positionen zu entdecken: die leninsche und die meine, ist ein Gipfel theoretischer Schlamperei. Lest doch mindestens Lenin nach, verleumdet ihn nicht, füttert uns nicht mit abgestandenem stalinschem Brei!

Der Niedergang aber macht dabei nicht halt. Nachdem Radek erdichtet hat, Lenin habe die »einfache« (dem Wesen nach reformistische, purcellianische) Hilfe des Weltproletariats als genügend betrachtet, während Trockij, »zugespitzt«, unbedingt die staatliche, d.h. die revolutionäre Hilfe gefordert habe, fährt Radek fort:

»Die Erfahrung hat gezeigt, daß auch in diesem Punkte Lenin Recht behalten hat. Das europäische Proletariat hat die Macht noch nicht erobern können, aber es war stark genug, während der Intervention die Weltbourgeoisie zu hindern, starke Kräfte gegen uns zu werfen. Dadurch hat es uns geholfen, die Sowjetmacht zu halten. Die Angst vor der Arbeiterbewegung war neben den Gegensätzen in der kapitalistischen Welt selbst, die Hauptmacht, die uns während der acht Jahre nach der Beendigung der Intervention die Erhaltung des Friedens gesichert hat.«

Diese Stelle, die zwar auf dem Hintergrunde der Schreibübungen des heutigen Literaturbeamtentums nicht durch Originalität glänzt, ist doch immerhin bemerkenswert durch die Verbindung von historischen Anachronismen, politischem Wirrwarr und gröbsten prinzipiellen Irrtümern.

Aus Radeks Worten ist zu folgern, daß Lenin im Jahre 1905 in seiner Broschüre "Zwei Taktiken" (nur auf diese Arbeit beruft sich Radek) vorausgesehen habe, daß das Kräfteverhältnis zwischen Staaten und Klassen nach dem Jahre 1917 derartig sein würde, daß es die Möglichkeit einer großen militärischen Intervention gegen uns für lange Zeit ausschließt. Im Gegensatz dazu habe Trockij im Jahre 1905 die Situation, die nach dem imperialistischen Kriege entstehen mußte, nicht vorausgesehen, sondern den damaligen Realitäten Rechnung getragen, so der mächtigen Hohenzollernarmee, der sehr starken Habsburger Militärmacht, der allmächtigen Pariser Börse usw. Das ist ein wahrhaft ungeheuerlicher Anachronismus, der durch die lächerlichen inneren Widersprüche noch komplizierter wird. Nach Radek bestand doch mein Hauptfehler gerade darin, daß ich überhaupt die Perspektiven der Diktatur des Proletariats »unter dem Entwicklungsgrad von 1905« aufgestellt habe. Jetzt zeigt sich der zweite »Fehler«: ich habe die von mir am Vorabend der Revolution von 1905 aufgestellte Perspektive der Diktatur des Proletariats nicht aus der internationalen Situation heraus betrachtet, wie sie nach 1917 entstanden ist. Wenn die üblichen Argumente Stalins so aussehen, wundern wir uns darüber nicht, denn wir kennen zur Genüge seinen »Entwicklungsgrad« im Jahre 1917 wie im Jahre 1928. Aber wie ist Radek in diese Gesellschaft geraten?

Doch auch das ist das Schlimmste noch nicht. Das Schlimmste besteht darin, daß Radek die Grenze übersprungen hat, die den Marxismus vom Opportunismus, die revolutionäre von der pazifistischen Position trennt. Es geht ja um nichts anderes, als um den Kampf gegen den Krieg, d.h. darum, wie und mit welchen Methoden man den Krieg abwenden oder ihm ein Ende machen kann: durch den Druck des Proletariats auf die Bourgeoisie oder durch den Bürgerkrieg zur Niederwerfung der Bourgeoisie? Zufällig hat Radek in dieses strittige Gebiet die Kernfrage der proletarischen Politik hineingetragen.

Will Radek etwa sagen, ich »ignoriere« nicht nur die Bauernschaft, sondern auch den Druck des Proletariats auf die Bourgeoisie, und zöge ausschließlich die proletarische Revolution in Betracht? Es ist wohl kaum anzunehmen, daß er einen solchen Unsinn verteidigen wird, der eines Thälmann, Semard oder Montmousseau würdig wäre. Auf dem III. Kongreß der Komintern haben die damaligen Ultralinken (Sinowjew, Thalheimer, Thälmann, Bela Kun usw.) die Taktik des Putschismus im Westen vertreten, als den Weg zur Rettung der USSR. Gemeinsam mit Lenin setzte ich ihnen so populär wie möglich auseinander, daß es ihrerseits die beste Hilfe sein würde, wenn sie planmäßig und systematisch ihre Positionen sichern und sich auf die Eroberung der Macht vorbereiten würden, statt revolutionäre Abenteuer für uns zu improvisieren. Damals war Radek bedauerlicherweise nicht auf seiten Lenins und Trockijs, sondern auf der Seite von Sinowjew und Bucharin. Radek aber entsinnt sich sicherlich - jedenfalls entsinnen sich dessen die Protokolle des III. Kongresses -, daß das Wesen der Argumentation von Lenin und mir gerade im Bekämpfen der unvernünftig »zugespitzten Formulierung« der Ultralinken bestand. Nachdem wir ihnen auseinandergesetzt hatten, daß die Stärkung der Partei und der zunehmende Druck des Proletariats ein sehr schwerwiegender Faktor der inneren und der internationalen Beziehungen sei, fügten wir, Marxisten, noch hinzu, daß der »Druck« eine Funktion des revolutionären Kampfes um die Macht sei und völlig von der Entwicklung des letzteren abhänge. Aus diesem Grunde hatte Lenin am Ende dieses III. Kongresses in einer größeren internen Beratung der Delegierten eine Rede gehalten, die gegen die Tendenzen der Passivität und des Abwartens gerichtet war und etwa in folgender Moral gipfelte: Keine Abenteuer, aber, liebe Freunde, beeilt euch immerhin ein wenig, denn durch den »Druck« allein kann man sich nicht lange halten.

Radek verweist darauf, daß das europäische Proletariat nach dem Kriege nicht imstande war, die Macht zu übernehmen, daß es aber die Bourgeoisie verhindert hat, uns niederzuschlagen. Auch wir hatten mehr als einmal Gelegenheit gehabt, davon zu sprechen, jedoch gelang dem europäischen Proletariat, unsere Zerschmetterung zu verhindern, nur deshalb, weil der Druck des Proletariats mit den schwersten objektiven Folgen des imperialistischen Krieges und den durch diesen verschärften Welt-Antagonismus zusammentraf. Welches dieser Elemente von entscheidender Bedeutung war: der Kampf der imperialistischen Lager unter sich, der wirtschaftliche Zusammenbruch, oder der Druck des Proletariats, ist schwer zu sagen, aber so kann man die Frage auch nicht stellen. Daß der friedliche Druck allein nicht ausreicht, das hat der imperialistische Krieg zu klar gezeigt, der gekommen ist trotz aller »Drucke«. Und schließlich, und was das Wichtigste ist, wenn der Druck des Proletariats in den ersten für die Sowjetrepublik kritischsten Jahren sich als wirksam genug erwiesen hat, so nur deshalb, weil es sich damals für die Arbeiter Europas nicht um einen Druck, sondern um den Kampf um die Macht gehandelt hat, wobei dieser Kampf wiederholt die Form des Bürgerkrieges annahm.

Im Jahre 1905 hat es in Europa weder Krieg, noch einen wirtschaftlichen Zusammenbruch gegeben, und der Kapitalismus und der Militarismus zeichneten sich durch wütende Vollblütigkeit aus. Wilhelm II. und Franz Josef zu hindern, mit ihren Truppen in das Königreich Polen einzumarschieren oder überhaupt dem Zaren zu Hilfe zu kommen, hätte der »Druck« der damaligen Sozialdemokratie keine Kraft gehabt. Aber auch im Jahre 1918 hat der Druck des deutschen Proletariats die Hohenzollern nicht gehindert, die Baltischen Provinzen und die Ukraine zu besetzen, und wenn er nicht bis nach Moskau gekommen ist, so nur deshalb, weil seine militärische Macht dafür nicht ausgereicht hat. Weshalb hätten wir sonst den Brester Frieden geschlossen? Wie leicht man doch den gestrigen Tag vergißt! Ohne sich auf die Hoffnung, auf den »Druck« des Proletariats zu beschränken, hat Lenin wiederholt gesagt, daß wir ohne die deutsche Revolution bestimmt vernichtet werden. Das war im Kern richtig, obwohl sich die Fristen verschoben.

Man braucht keine Illusionen: wir haben ein unbefristetes Moratorium erhalten. Wir leben, wie früher, im Zustande der »Atempause«.

Ein Zustand, bei dem das Proletariat die Macht noch nicht ergreifen, jedoch die Bourgeoisie hindern kann, ihre Macht für einen Krieg auszunutzen, ist ein Zustand schwankenden Klassengleichgewichts in seinem schärfsten Ausdruck. Es ist eben ein Zustand, der nicht lange währen kann. Die Waage muß sich nach der einen oder der anderen Seite neigen. Entweder gelangt das Proletariat zur Macht, oder aber die Bourgeoisie schwächt durch eine Reihe einander folgender Schläge den revolutionären Druck derart, daß sie die Handlungsfreiheit, vor allem in der Frage des Krieges und Friedens, wiedergewinnt.

Nur ein Reformist kann sich den Druck des Proletariats auf den bürgerlichen Staat als einen permanent zunehmenden Faktor und als Garantie gegen eine Intervention vorstellen. Aus eben dieser Vorstellung entstand die Theorie des Aufbaues des Sozialismus in einem Lande bei Neutralisierung der Weltbourgeoisie (Stalin). Wie eine Eule in der Dämmerung ausfliegt, so entstand auch die stalinsche Theorie von der Neutralisierung der Bourgeoisie durch den Druck des Proletariats erst dann, als die Bedingungen, die diese Theorie erzeugt hatten, zu schwinden begannen.

Während die falsch ausgelegte Erfahrung der Nachkriegsperiode zu der trügerischen Hoffnung geführt hat - man könne ohne die Revolution des europäischen Proletariats auskommen, und sie durch eine »Unterstützung im allgemeinen« ersetzen, hat inzwischen die Weltlage schroffe Veränderungen erlitten. Die Niederlagen des Proletariats haben der kapitalistischen Stabilisierung Wege geöffnet. Der Zusammenbruch des Kapitalismus nach dem Kriege wurde aufgehalten. Es wuchsen neue Generationen heran, die die Schrecken des imperialistischen Schlachtens nicht ausgekostet haben. Die Folge ist, daß die Bourgeoisie jetzt über ihre Kriegsmaschine freier zu verfügen vermag als vor fünf oder vor acht Jahren.

Die Linksradikalisierung der Arbeitermassen wird in ihrer weiteren Entwicklung den Druck auf den bürgerlichen Staat zweifellos wieder verschärfen. Das aber ist ein zweischneidiges Schwert. Gerade die wachsende Gefahr seitens der Arbeitermassen kann, auf einer weiteren Etappe, die Bourgeoisie zu entscheidenden Schritten drängen, um zu beweisen, daß sie Herr im Hause ist, und zu versuchen, den größten Seuchenherd, die Sowjetrepublik, zu vernichten. Der Kampf gegen den Krieg wird nicht durch einen Druck auf die Regierung, sondern durch den revolutionären Kampf um die Macht entschieden. Die »pazifistische« Wirkung des proletarischen Klassenkampfes, wie seine reformistische Wirkung, bilden nur ein Nebenprodukt des revolutionären Kampfes um die Macht, sie haben nur eine relative Kraft und können leicht in das Gegenteil umschlagen, d.h. sie können die Bourgeoisie auf den Weg des Krieges stoßen. Die Angst der Bourgeoisie vor der Arbeiterbewegung, auf die Radek so einseitig verweist, ist die wesentlichste Hoffnung aller Sozialpazifisten. Aber die »Angst« vor der Revolution allein entscheidet nicht. Die Revolution entscheidet. Aus diesem Grunde hat Lenin im Jahre 1905 gesagt, daß die einzige Garantie gegen die monarchistische Restauration, und im Jahre 1918, gegen die Restauration des Kapitalismus, nicht der Druck des Proletariats ist, sondern dessen revolutionärer Sieg in Europa. Dies ist die einzig richtige Fragestellung. Trotz des lang währenden Charakters dieser »Atempause« bleibt sie auch heute noch voll in Kraft. Nicht anders habe ich auch die Frage gestellt. In den "Ergebnissen und Perspektiven" schrieb ich im Jahre 1906:

»Gerade die Angst vor dem Aufstand des Proletariats zwingt die bürgerlichen Parteien, die den phantastischen Summen für Kriegszwecke zustimmen, feierlich für den Frieden zu manifestieren, von internationalen Friedensinstitutionen zu träumen, sogar von einer Schaffung der Vereinigten Staaten von Europa - eine klägliche Deklamation, die natürlicherweise weder den Antagonismus zwischen den Staaten, noch bewaffnete Zusammenstöße verhindern kann.« ("Unsere Revolution", "Ergebnisse und Perspektiven", S. 283.)

Der Grundfehler des VI. Kongresses besteht darin, daß er sich, zur Rettung der pazifistischen und national-reformistischen Perspektiven von Stalin-Bucharin, auf revolutionär-technische Rezepte gegen die Kriegsgefahr eingelassen hat, indem er den Kampf gegen den Krieg von dem Kampf um die Macht trennte.

Die Inspiratoren des VI. Kongresses, ihrem Wesen nach verängstigte Pazifisten, erschrockene Erbauer des Sozialismus in einem Lande, haben den Versuch gemacht, die »Neutralisierung« der Bourgeoisie mit Hilfe der verstärkten Methoden des »Druckes« zu verewigen. Da sie sich aber bewußt waren, daß ihre bisherige Führung in einer Reihe von Ländern zur Niederlage der Revolution geführt und die internationale Avantgarde des Proletariats weit zurückgeworfen hat, so haben sie sich vor allem bemüht, mit der »zugespitzten Formulierung« des Marxismus abzurechnen, die das Problem des Krieges mit dem Problem der Revolution untrennbar verknüpft. Sie haben den Kampf gegen den Krieg zu einer selbständigen Aufgabe gemacht. Damit die nationalen Parteien die entscheidende Stunde nicht verschlafen, haben sie die Kriegsgefahr als permanent, unaufschiebbar, unmittelbar proklamiert. Alles, was in der Welt geschieht, geschieht zum Zwecke des Krieges. Der Krieg ist jetzt nicht mehr ein Mittel des bürgerlichen Regimes, sondern das bürgerliche Regime ist ein Mittel des Krieges. Als Folge davon verwandelt sich der Kampf der Kommunistischen Internationale gegen den Krieg in ein System ritueller Formeln, die bei jedem Anlaß automatisch wiederholt werden und sich, ihre wirksame Macht verlierend, verflüchtigen. Der stalinsche nationale Sozialismus hat die Tendenz, die Kommunistische Internationale in ein Hilfsmittel des »Druckes« auf die Bourgeoisie zu verwandeln. Eben dieser Tendenz, nicht aber dem Marxismus, hilft Radek mit seiner oberflächlichen, schlampigen und gedankenlosen Kritik. Er hat den Kompaß verloren und ist in einen fremden Strom geraten, der ihn zu ganz anderen Ufern bringen kann. Alma-Ata, Oktober 1928.

Epilog

Die Prophezeiung oder die Befürchtung, die in den Schlußzeilen des vorigen Kapitels ausgesprochen ist, hat sich bekanntlich nach wenigen Monaten bestätigt. Die Kritik der permanenten Revolution diente Radek nur als Sprungbrett, um sich von der Opposition abzustoßen. Unsere ganze Broschüre beweist, wie wir hoffen, daß der Übergang Radeks in das Lager von Stalin uns nicht unerwartet gekommen ist. Aber auch das Renegatentum hat seine Gradationen, seine Stufen der Erniedrigung. In seiner bußetuenden Erklärung rehabilitiert Radek restlos die Politik Stalins in China. Das heißt auf den Grund des Verrates hinabsinken. Es bleibt mir nur übrig, aus meiner Antwort auf die bußetuende Erklärung Radeks, Preobraschenskis und Smilgas, welche ein Freibrief für jeden politischen Zynismus ist, hier einen Auszug anzuführen:

»Wie es sich für alle, die etwas auf sich halten, geziemt, hat das Trio es nicht unterlassen können, sich mit der permanenten Revolution zu decken. Die tragischste Erfahrung aus der ganzen neueren Geschichte der Niederlagen des Opportunismus - die chinesische Revolution - versucht das Kapitulanten-Trio mit dem billigen Schwur abzutun, es hätte mit der Theorie der permanenten Revolution nichts gemein.

Radek und Smilga haben die Unterwerfung der chinesischen kommunistischen Partei unter die bürgerliche Kuomintang hartnäckig vertreten, und zwar nicht nur bis zum Staatsstreich Tschangkaischeks, sondern auch danach. Preobraschenski murmelte, wie stets in Fragen der Politik, etwas Unverständliches. Eine bemerkenswerte Tatsache: alle jene aus den Reihen der Opposition, die die Unterwerfung der Kommunistischen Partei unter die Kuomintang verteidigten, erwiesen sich als Kapitulanten. Auf keinem einzigen Oppositionellen, der seinem Banner treu geblieben ist, lastet dieser offenbare Schandfleck. Fünfundsiebzig Jahre nach dem Erscheinen des Kommunistischen Manifestes, ein Vierteljahrhundert nach der Gründung der Partei der Bolschewiki, haben diese unglückseligen "Marxisten" es für möglich gehalten, das Verbleiben der Kommunisten im Käfig der Kuomintang zu verteidigen! In seiner Antwort auf meine Anklagen hat Radek schon damals, ganz wie in dem heutigen Bußbrief, mit der "Isolierung" des Proletariats von der Bauernschaft geschreckt, falls die Kommunistische Partei aus der bürgerlichen Kuomintang austreten würde. Kurz vorher nannte Radek die Kantoner Regierung eine Bauern- und Arbeiterregierung, und half damit Stalin, die Unterwerfung des Proletariats unter die Bourgeoisie zu verschleiern. Womit diese schändlichen Taten, die Folgen dieser Blindheit, dieses Stumpfsinns, dieses Verrats am Marxismus verhüllen? Womit? Mit der permanenten Revolution?

Schon im Februar 1928 schloß sich Radek, der bereits einen Anlaß für seine Kapitulation suchte, unverzüglich der Resolution des Februarplenums des EKKI von 1928 über die chinesische Frage an. Diese Resolution stempelt die Trockijsten zu Liquidatoren, weil sie Niederlagen als Niederlagen bezeichneten und nicht gewillt waren, die siegreiche chinesische Konterrevolution als das höchste Stadium der chinesischen Revolution zu betrachten. In dieser Februarresolution wurde der Kurs auf den bewaffneten Aufstand und auf die Sowjets proklamiert. Für jeden Menschen, der eines politischen, durch revolutionäre Erfahrung geschärften Instinktes nicht entbehrt, bildet diese Resolution ein Muster des widerwärtigsten und verantwortungslosesten Abenteurertums. Radek schloß sich ihr an. Preobraschenski ging an die Sache nicht weniger weise als Radek heran, nur vom anderen Ende. Die chinesische Revolution sei bereits niedergeschlagen, schrieb er, und zwar für eine lange Zeit. Eine neue Revolution werde so bald nicht kommen. Verlohne es sich da, wegen China mit den Zentristen zu hadern? Über dieses Thema versandte Preobraschenski lange Episteln. Als ich sie in Alma-Ata las, empfand ich ein Gefühl der Scham. Was haben diese Menschen in der Schule von Lenin gelernt? fragte ich mich immer wieder. Die Voraussetzungen Preobraschenskis waren den Voraussetzungen Radeks inhaltlich diametral entgegengesetzt, doch die Schlußfolgerungen waren die gleichen: beide hatten sie den größten Wunsch, Jaroslawski möge sie durch die Vermittlung von Menschinski brüderlich umarmen. O, selbstverständlich zum Nutzen der Revolution. Das sind beileibe keine Karrieristen - bewahre, das sind einfach hilflose, geistig verwüstete Menschen. Der abenteuerlichen Resolution des Februarplenums des EKKI (1928) habe ich damals schon den Kurs auf die Mobilisierung der chinesischen Arbeiter unter den Parolen der Demokratie, darunter auch der chinesischen Konstituierenden Versammlung, entgegengestellt. Da aber überschlug sich das unglückselige Trio nach ultralinks: das war billig und verpflichtete zu nichts. Parolen der Demokratie? Niemals. »Das ist ein grober Fehler von Trockij.« Chinesische Sowjets - und keinen Prozent Rabatt! Es ist schwer, sich etwas Sinnloseres auszudenken als diese - mit Verlaub zu sagen - Position. Die Parole: »Sowjets!« in der Epoche der bürgerlichen Reaktion ist eine Kinderklapper, eine Verhöhnung der Sowjets. Aber sogar in der Epoche der Revolution, d.h. in der Epoche des direkten Aufbaues der Sowjets, haben wir die Parolen der Demokratie nicht abgesetzt. Wir haben sie so lange nicht abgesetzt, bis die realen Sowjets, die bereits die Macht erobert hatten, vor den Augen der Masse mit den realen Institutionen der Demokratie zusammenstießen. Dieses bedeutet in der Sprache Lenins (und nicht des Spießers Stalin und dessen Papageien): das demokratische Stadium in der Entwicklung des Landes nicht zu überspringen.

Außerhalb des demokratischen Programms - Konstituierende Versammlung; Achtstundentag; Konfiskation des Bodens; nationale Unabhängigkeit Chinas; Selbstbestimmungsrecht der darin wohnenden Völker -, außerhalb dieses demokratischen Programms ist die Kommunistische Partei Chinas an Händen und Füßen gebunden und gezwungen, das Feld passiv der chinesischen Sozialdemokratie zu überlassen, die mit Hilfe der Stalin, Radek und Kompanie imstande wäre, den Platz der Kommunistischen Partei einzunehmen.

Also: obwohl im Schlepptau der Opposition, hat Radek doch das Wichtigste an der chinesischen Revolution verschlafen, denn er verteidigte die Unterwerfung der Kommunistischen Partei unter die bürgerliche Kuomintang. Radek hat die chinesische Konterrevolution verschlafen, indem er nach dem Kantoner Abenteuer den Kurs auf den bewaffneten Aufstand unterstützte. Radek überspringt heute die Periode der Konterrevolution und den Kampf um die Demokratie, wenn er mit einer abwehrenden Handbewegung die Aufgaben der Übergangsperiode durch die abstrakte Idee der Sowjets jenseits von Zeit und Raum ersetzt. Dafür aber schwört Radek, er habe nichts gemein mit der permanenten Revolution. Das ist erfreulich. Das ist tröstlich ...

... Die antimarxistische Theorie der Stalin-Radek enthält für China, Indien und alle Länder des Ostens die veränderte, aber nicht verbesserte Wiederholung des Kuomintang-Experimentes. Auf Grund der gesamten Erfahrung der russischen und der chinesischen Revolutionen, auf Grund der Lehren von Marx und Lenin, nachgeprüft im Lichte dieser Revolutionen, behauptet die Opposition:

Die neue chinesische Revolution kann das bestehende Regime stürzen und die Macht den Volksmassen übertragen ausschließlich in der Form der Diktatur des Proletariats;

die "demokratische Diktatur des Proletariats und der Bauernschaft" im Gegensatz zu der Diktatur des Proletariats, das die Bauernschaft führt und das Programm der Demokratie verwirklicht, ist eine Fiktion, ein Selbstbetrug, oder was noch schlimmer ist - eine Kerenskiade oder ein Kuomintang-Abenteuer.

Zwischen dem Regime Kerenski und Tschangkaischek einerseits und der Diktatur des Proletariats andererseits gibt es kein revolutionäres Übergangsregime und kann es ein solches nicht geben; wer etwas anderes behauptet, der betrügt die Arbeiter des Ostens schändlich und bereitet neue Katastrophen vor.

Die Opposition sagt den Arbeitern des Ostens: durch innerparteiliche Machinationen helfen verwüstete Kapitulanten Stalin, den Samen des Zentrismus zu säen, eure Augen zu blenden, eure Ohren zu verstopfen, eure Köpfe zu benebeln. Einerseits schwächt man euch angesichts der nackten bürgerlichen Diktatur, indem man euch verbietet, den Kampf um Demokratie zu entfalten; andererseits malt man euch Perspektiven irgendeiner rettenden, unproletarischen Diktatur vor, und unterstützt damit weitere Verwandlungen der Kuomintang, d.h. weitere Niederschlagungen der Arbeiter- und Bauernrevolution. Solche Prediger sind Verräter. Lernt, ihnen zu mißtrauen, Arbeiter des Ostens, lernt, sie zu verachten, lernt, sie aus euren Reihen zu jagen! ... «

Was ist nun die permanente Revolution? Grundsätze

Ich hoffe, der Leser wird nichts dagegen haben, wenn ich als Abschluß dieses Buches, ohne Scheu vor Wiederholungen, versuche, die hauptsächlichsten Schlußfolgerungen kurz zu formulieren.

1. Die Theorie der permanenten Revolution erfordert jetzt von jedem Marxisten die größte Aufmerksamkeit, denn der Verlauf des geistigen Kampfes, wie des Klassenkampfes, hat die Frage vollständig und restlos aus dem Bereich der Erinnerungen an alte Meinungsverschiedenheiten innerhalb der russischen Marxisten herausgehoben und in eine Frage nach Charakter, inneren Zusammenhängen und Methoden der internationalen Revolution überhaupt umgewandelt.

2. In bezug auf die Länder mit einer verspäteten bürgerlichen Entwicklung, insbesondere auf die kolonialen und halbkolonialen Länder, bedeutet die Theorie der permanenten Revolution, daß die volle und wirkliche Lösung ihrer demokratischen Aufgabe und des Problems ihrer nationalen Befreiung nur denkbar ist mittels der Diktatur des Proletariats als des Führers der unterdrückten Nation und vor allem ihrer Bauernmassen.

3. Nicht nur die Agrarfrage, sondern auch die nationale Frage weist der Bauernschaft, die in den zurückgebliebenen Ländern die überwiegende Mehrheit der Bevölkerung bildet, einen außerordentlichen Platz in der demokratischen Revolution an. Ohne ein Bündnis des Proletariats mit der Bauernschaft können die Aufgaben der demokratischen Revolution nicht nur nicht gelöst, sondern auch nicht ernstlich gestellt werden. Das Bündnis dieser zwei Klassen ist aber nicht anders zu verwirklichen als im unversöhnlichen Kampf gegen den Einfluß der national-liberalen Bourgeoisie.

4. Wie verschieden die ersten episodenhaften Etappen der Revolution in den einzelnen Ländern auch sein mögen, die Verwirklichung des revolutionären Bündnisses zwischen Proletariat und Bauernschaft ist nur denkbar unter der politischen Führung der proletarischen Avantgarde, die in der Kommunistischen Partei organisiert ist. Dies wiederum bedeutet, daß der Sieg der demokratischen Revolution nur durch die Diktatur des Proletariats denkbar ist, das sich auf das Bündnis mit der Bauernschaft stützt und in erster Linie die Aufgaben der demokratischen Revolution löst.

5. Historisch betrachtet, ist die alte Parole des Bolschewismus »demokratische Diktatur des Proletariats und der Bauernschaft« ein Ausdruck des oben charakterisierten Verhältnisses zwischen Proletariat, Bauernschaft und liberaler Bourgeoisie. Das hat die Erfahrung des Oktober bestätigt. Doch hat die alte Formel Lenins nicht im voraus bestimmen wollen, wie sich die gegenseitigen politischen Beziehungen zwischen Proletariat und Bauernschaft innerhalb des revolutionären Blocks gestalten werden. Mit anderen Worten: die Formel hat bewußt eine gewisse algebraische Veränderbarkeit zugelassen, die im Prozeß der historischen Erfahrung einer präziseren arithmetischen Größe den Platz räumen mußte. Nun hat die Erfahrung gezeigt, und zwar unter Bedingungen, die jede falsche Deutung ausschließen, daß die Rolle der Bauernschaft, so groß sie auch sein mag, weder selbständig noch führend sein kann. Der Bauer geht entweder mit dem Arbeiter oder mit dem Bourgeois. Das bedeutet, daß die »demokratische Diktatur des Proletariats und der Bauernschaft« nur als Diktatur des Proletariats, das die Bauernmassen führt, denkbar ist.

6. Eine demokratische Diktatur des Proletariats und der Bauernschaft als Regime, das sich nach seinem Klasseninhalt von der Diktatur des Proletariats unterscheidet, könnte nur in dem Falle verwirklicht werden, wenn die Verwirklichung einer selbständigen revolutionären Partei als Ausdruck der Interessen der Bauernschaft und der kleinbürgerlichen Demokratie überhaupt denkbar wäre, d.h. einer Partei, die mit Unterstützung des Proletariats fähig wäre, die Macht zu erobern und ihr revolutionäres Programm zu bestimmen. Wie die gesamte Erfahrung der neueren Geschichte, besonders die Erfahrung des letzten Jahrhunderts in Rußland, beweist, bildet ein unüberwindliches Hindernis für die Schaffung einer Bauernpartei die ökonomische und politische Unselbständigkeit der Kleinbourgeoisie und ihre tiefgehende innere Differenzierung, kraft derer die oberen Schichten der Kleinbourgeoisie (der Bauernschaft) in allen entscheidenden Fällen, besonders bei Krieg und Revolution, mit der Großbourgeoisie, während die unteren Schichten der Kleinbourgeoisie mit dem Proletariat gehen und damit die Zwischenschicht zwingen, zwischen den zwei äußersten Polen eine Wahl zu treffen. Zwischen der Kerenskiade und der bolschewistischen Macht, zwischen der Kuomintang und der Diktatur des Proletariats gibt es keine Zwischenstufe und kann es keine geben, d.h. es gibt keine demokratische Diktatur der Arbeiter und Bauern.

7. Das Bestreben der Komintern, den Ländern des Ostens heute die von der Geschichte längst und endgültig überholte Losung der demokratischen Diktatur des Proletariats und der Bauernschaft aufzuzwingen, kann nur eine reaktionäre Wirkung haben. Insofern diese Losung der Losung der Diktatur des Proletariats entgegengestellt wird, trägt sie politisch zur Auflösung des Proletariats in den kleinbürgerlichen Massen bei und schafft dadurch die günstigsten Bedingungen für die Hegemonie der nationalen Bourgeoisie, folglich auch für das Fiasko der demokratischen Revolution. Die Aufnahme dieser Losung in das Programm der Komintern ist ein direkter Verrat am Marxismus und an den Oktobertraditionen des Bolschewismus.

8. Die Diktatur des Proletariats, das als Führer der demokratischen Revolution zur Herrschaft gelangt ist, wird unvermeidlich und in kürzester Frist vor Aufgaben gestellt sein, die mit weitgehenden Eingriffen in die bürgerlichen Eigentumsrechte verbunden sind. Die demokratische Revolution wächst unmittelbar in die sozialistische hinein und wird dadurch allein schon zur permanenten Revolution.

9. Die Machteroberung durch das Proletariat schließt die Revolution nicht ab, sondern eröffnet sie nur. Der sozialistische Aufbau ist nur auf der Basis des Klassenkampfes im nationalen und internationalen Maßstabe denkbar. Unter den Bedingungen des entscheidenden Übergewichts kapitalistischer Beziehungen in der Weltarena wird dieser Kampf unvermeidlich zu Explosionen führen, d.h. im Inneren zum Bürgerkrieg und außerhalb der nationalen Grenzen zum revolutionären Krieg. Darin besteht der permanente Charakter der sozialistischen Revolution, ganz unabhängig davon, ob es sich um ein zurückgebliebenes Land handelt, das erst gestern seine demokratische Umwälzung vollzogen hat, oder um ein altes kapitalistisches Land, das eine lange Epoche der Demokratie und des Parlamentarismus durchgemacht hat.

l0. Der Abschluß einer sozialistischen Revolution ist im nationalen Rahmen undenkbar. Eine grundlegende Ursache für die Krisis der bürgerlichen Gesellschaft besteht darin, daß die von dieser Gesellschaft geschaffenen Produktivkräfte sich mit dem Rahmen des nationalen Staates nicht vertragen. Daraus ergeben sich einerseits die imperialistischen Kriege, andererseits die Utopie der bürgerlichen Vereinigten Staaten von Europa. Die sozialistische Revolution beginnt auf nationalem Boden, entwickelt sich international und wird vollendet in der Weltarena. Folglich wird die sozialistische Revolution in einem neuen, breiteren Sinne des Wortes zu einer permanenten Revolution: sie findet ihren Abschluß nicht vor dem endgültigen Siege der neuen Gesellschaft auf unserem ganzen Planeten.

11. Das angeführte Schema der Entwicklung der Weltrevolution beseitigt die Frage nach den Ländern, die für den Sozialismus »reif« oder »nicht reif« sind, im Geiste jener pedantisch leblosen Klassifizierung, wie sie das heutige Programm der Komintern gibt. Insofern der Kapitalismus einen Weltmarkt geschaffen hat, eine weltumfassende Arbeitsteilung und weltumfassende Produktivkräfte, hat er zugleich die Weltwirtschaft in ihrer Gesamtheit für die sozialistische Umgestaltung vorbereitet.

Verschiedene Länder werden diesen Prozeß in verschiedenem Tempo vollziehen. Unter gewissen Bedingungen können zurückgebliebene Länder früher als die fortgeschrittenen zur Diktatur des Proletariats kommen, aber später zum Sozialismus.

Ein zurückgebliebenes koloniales Land, dessen Proletariat nicht genügend darauf vorbereitet ist, die Bauernschaft um sich zu sammeln und die Macht zu ergreifen, wird schon dadurch allein außerstande sein, seine demokratische Umwälzung zu Ende zu führen. In einem Lande dagegen, wo das Proletariat als Endergebnis einer demokratischen Revolution zur Macht gekommen ist, hängt das weitere Schicksal der Diktatur und des Sozialismus letzten Endes nicht nur und nicht so sehr von den nationalen Produktivkräften ab, wie von der Entwicklung der internationalen sozialistischen Revolution.

12. Die Theorie des Sozialismus in einem Lande, die auf der Hefe der Reaktion gegen den Oktober hochgegangen ist, ist die einzige Theorie, die folgerichtig und restlos im Gegensatz steht zu der Theorie der permanenten Revolution. Der Versuch der Epigonen, unter den Schlägen der Kritik die Anwendbarkeit der Theorie des Sozialismus in einem Land ausschließlich auf Rußland zu beschränken, infolge seiner besonderen Eigenschaften (Ausdehnung, natürliche Reichtümer usw.), macht die Sache nicht besser, sondern schlechter. Der Bruch mit der internationalen Position führt stets und unvermeidlich zum nationalen Messianismus, d.h. dazu, dem eigenen Lande besondere Vorzüge und Eigenschaften zuzusprechen, die es ihm erlauben, eine Mission zu erfüllen, die den andern Ländern versagt ist.

Die weltumfassende Arbeitsteilung, die Abhängigkeit der Sowjetindustrie von der ausländischen Technik, die Abhängigkeit der Produktivkräfte der fortgeschrittenen Länder Europas von den asiatischen Rohstoffen usw. usw. machen in keinem Lande der Welt den Aufbau einer selbständigen nationalen sozialistischen Gesellschaft möglich.

13. Die Theorie von Stalin und Bucharin bringt nicht nur der ganzen Erfahrung der russischen Revolution zuwider die demokratische Revolution mechanisch im Gegensatz zu der sozialistischen Revolution, sondern sie trennt auch die nationale Revolution von der internationalen.

Diese Theorie stellt den Revolutionen in den zurückgebliebene Ländern die Aufgabe, ein nicht zu verwirklichendes Regime einer demokratischen Diktatur zu errichten, das sie zu der Diktatur des Proletariats in Gegensatz bringt: Damit trägt sie Illusionen und Fiktionen in die Politik hinein, lähmt den Kampf des Proletariats des Ostens um die Macht und hält den Sieg der kolonialen Revolutionen auf.

Die bereits eroberte proletarische Macht bedeutet vom Standpunkt der Theorie der Epigonen schon die Vollendung der Revolution (»zu neun Zehnteln« nach der Formel Stalins) und den Beginn der Epoche nationaler Reformen. Die Theorie vom Hineinwachsen des Kulaken in den Sozialismus und die Theorie von der "Neutralisierung" der Weltbourgeoisie ist deshalb von der Theorie des Sozialismus in einem Lande nicht zu trennen. Sie stehen und fallen zusammen.

Durch die Theorie des Nationalsozialismus wird die Kommunistische Internationale zu einem Werkzeug degradiert, das nur für den Kampf gegen die militärische Intervention von Nutzen ist. Die heutige Politik der Komintern, ihr Regime und die Auswahl ihres führenden Personals entspricht völlig dieser Degradierung der Kommunistischen Internationale zur Rolle eines Hilfskorps, das nicht ausersehen ist, große, selbständige Aufgaben zu lösen.

14. Das von Bucharin geschaffene Programm der Kommunistischen Internationale ist durch und durch eklektisch. Es macht den hoffnungslosen Versuch, die Theorie des Sozialismus in einem Lande mit dem marxistischen Internationalismus, der von dem permanenten Charakter der Weltrevolution untrennbar ist, zu versöhnen. Der Kampf der linken kommunistischen Opposition um eine richtige Politik und ein gesundes Regime in der Kommunistischen Internationale ist nicht zu trennen von dem Kampfe um ein marxistisches Programm. Die Frage des Programms wiederum ist nicht zu trennen von der Frage der zwei einander ausschließenden Theorien: der permanenten Revolution und des Sozialismus in einem Lande. Das Problem der permanenten Revolution ist längst hinausgewachsen über die von der Geschichte restlos erschöpften episodischen Meinungsverschiedenheiten zwischen Lenin und Trockij. Der Kampf geht um die grundlegenden Gedanken von Marx und Lenin auf der einen Seite und der Eklektik der Zentristen auf der anderen Seite.

Fußnoten

1Diese Rede, gehalten am 6. Mai 1929, ist erst Anfang 1930 veröffentlicht worden, und zwar unter Umständen, die ihr eine Art "programmatischer" Bedeutung verleihen.

2Gosplan - Abkürzung für die Staatskommission der Planwirtschaft

3Die Algebra rechnet mit allgemeinen Größen (a, b, c, ...) im Gegensatz zur Arithmetik, die stets bestimmte Größen (1, 2, 3, ...) verwendet.

4Diese Prophezeiung hat sich inzwischen erfüllt.

5Im Jahre 1909 zitierte Lenin allerdings meine "Ergebnisse und Perspektiven", und zwar in einem Artikel, der einer Polemik gegen Martow galt. Es wäre jedoch nicht schwer, nachzuweisen, daß Lenin die Zitate aus zweiter Hand, d.h. in diesem Falle von Martow übernommen hatte. Nur so lassen sich einige seiner gegen mich gerichteten Erwiderungen erklären, die auf offenen Mißverständnissen beruhen.

Im Jahre 1919 veröffentlichte der Staatsverlag meine Ergebnisse und Perspektiven« als Sonderbroschüre. Ungefähr auf die gleiche Zeit bezieht sich jene Anmerkung zu der Gesamtausgabe der Werke Lenins, die besagt, daß die Theorie der permanenten Revolution »jetzt«, nach der Oktoberrevolution, besonders bemerkenswert sei. Hat Lenin meine »Ergebnisse und Perspektiven« im Jahre 1919 gelesen oder auch nur durchgeblättert? Darüber kann ich nichts Bestimmtes aussagen. Ich war damals stets auf Reisen, kam nach Moskau nur vorübergehend, und während meiner Zusammenkünfte mit Lenin in jener Periode - auf der Höhe des Bürgerkrieges - stand uns beiden der Sinn nicht nach fraktionellen theoretischen Erinnerungen. Aber A.A. Joffe hatte gerade in jener Zeit eine Unterhaltung mit Lenin über die Theorie der permanenten Revolution. Von dieser Unterhaltung berichtet Joffe in dem Abschiedsbrief, den er vor seinem Tode mir schrieb. (Siehe "Mein Leben", Verlag S. Fischer, Berlin, S. 521/522.) Kann man die Aussage A.A. Joffes so deuten, daß Lenin im Jahre 1919 zum ersten Mal die "Ergebnisse und Perspektiven" kennen gelernt und die Richtigkeit der darin enthaltenen historischen Prognose bestätigt hat? Ich kann hierzu nichts außer psychologischen Vermutungen äußern. Die Überzeugungskraft dieser Vermutungen hängt von der Einschätzung des Kernes der Streitfrage selbst ab. Die Worte A.A. Joffes, daß Lenin meine Prognose als richtig bestätigt habe, müssen einem Menschen, der mit der theoretischen Margarine der nachleninschen Epoche aufgezogen wurde, unverständlich erscheinen. Wer dagegen über die Entwicklung der Gedanken Lenins in Verbindung mit der EntwickIung der Revolution selbst nachdenkt, wird begreifen, daß Lenin im Jahre 1919 über die Theorie der permanenten Revolution in neues Urteil abgeben mußte, ein anderes Urteil als jenes, das er zu verschiedenen Zeiten vor der Oktoberrevolution flüchtig, nebenbei, manchmal sich offen widersprechend, auf Grund einzelner Zitate gefällt hatte, ohne auch nur ein einziges Mal meine Position im ganzen zu untersuchen.

Um im Jahre 1919 meine Prognose als richtig zu bestätigen, hatte Lenin nicht nötig, meine Position der seinen entgegenzuhalten. Es genügte, beide Positionen in ihrer historischen Entwicklung zu betrachten. Man braucht hier nicht zu wiederholen, daß jener konkrete Inhalt, den Lenin jedesmal seiner Formel "demokratische Diktatur" verlieh und der sich weniger aus einer hypothetischen Formel als aus der Analyse der realen Veränderungen des Kräfteverhältnisses der Klassen ergab, - daß dieser taktische und organisatorische Inhalt ein für allemal in das Inventar der Geschichte eingegangen ist als ein klassisches Beispiel von revolutionärem Realismus. Fast in allen Fällen, jedenfalls in allen wichtigen Fällen, wo ich mich taktisch oder organisatorisch in Widerspruch zu Lenin gestellt hatte, war das Recht auf seiner Seite. Gerade deshalb hatte es mich nicht interessiert, für meine alte historische Prognose einzutreten, solange es scheinen konnte, es handele sich nur um historische Reminiszenzen. Zu dieser Frage zurückzukehren sah ich mich erst in dem Augenblick gezwungen, als die Kritik der Epigonen an der Theorie der permanenten Revolution nicht nur die theoretische Reaktion der gesamten Internationale zu füttern begann, sondern sich auch in ein Mittel der direkten Sabotage der chinesischen Revolution verwandelte.

6Wie bekannt, ist das umfangreiche Protokoll dieser historischen Sitzung auf einen besonderen Befehl Stalins aus dem Jubiläumsbuch herausgerissen worden und wird bis jetzt vor der Partei verheimlicht.

7Ich erinnere daran, daß ich Bucharin auf dem VIII. Plenum des EKKI, als er dieselben Zitate anführte, wie heute Radek, zurief: »Aber es gibt bei Lenin auch direkt entgegengesetzte Zitate.« Nach einer kurzen Verwirrung antwortete Bucharin: »Ich weiß es, ich weiß es, ich nehme jedoch, was ich brauche, nicht was Sie brauchen.« So sieht die Schlagfertigkeit dieses Theoretikers aus!

8Man muß sich dessen erinnern, daß Parvus in jenem Zeitabschnitt auf dem äußersten linken Flügel des internationalen Marxismus stand.

9Trudowiki waren die Vertreter der Bauern in den vier Dumen, beständig schwankend zwischen den Kadetten (Liberalen) und den Sozialdemokraten.

10Dieses Zitat, neben hundert anderen, beweist nebenbei, daß ich die Existenz der Bauernschaft und die Bedeutung der Agrarfrage bereits am Vorabend der Revolution von 1905 erkannt hatte, d.h., daß ich etwas früher als die Maslow, Thalheimer, Thälmann, Remmele, Cachin, Monmousseau, Bela Kun, Pepper, Kuusinen und andere marxistische Soziologen begonnen habe, mich über die Bedeutung der Bauernschaft zu unterrichten.

11Lenin empfahl auf der Konferenz von 1909 die Formel: »das Proletariat, das die Bauernschaft anführt«, er schloß sich jedoch dann der Formel der polnischen Sozialdemokraten an, die dadurch auf der Konferenz die Mehrheit gegen die Menschewiki bekam.

12Sind die verspäteten Kritiker der permanenten Revolution damit einverstanden? Sind sie bereit, diesen Grundsatz auch auf die Länder des Ostens, China, Indien usw. auszudehnen? - Ja oder Nein?

13Stalin hat sich in einer Rede selbst den »Meister der Revolution« genannt.

14Die lokale Selbstverwaltung (Semstwo) bestand hauptsächlich aus Vertretern des adligen Grundbesitzes (Semzi).

15Jakowljew ist vor kurzem zum Volkskommissar für Ackerbau in der USSR ernannt worden.

16Auszug aus dem Protokoll der Sitzung des Organisationsbüros des ZK vom 22. Mai 1922, unter N. 21: »Den Genossen Jakowljew zu beauftragen ... unter der Redaktion des Genossen Trockij ein Lehrbuch der Geschichte der Oktoberrevolution zusammenzustellen.«

17Den 3./16. Juni 1907 wurde der Staatsstreich vollzogen, der die Periode der triumphierenden Konterrevolution formell einleitete.

18Ein von Chwost = Schwanz abgeleitetes Wort, das einen Politiker bezeichnet, der einer politischen Bewegung stets nachhinkt.

19Tschangkaischek ist der Führer der rechten, Wan-Tin Wei der linken Kuomintang. Tan-Pin-Sjan ist ein kommunistischer Minister, der in China die Politik Stalin-Bucharin vertrat.

20PPS = Polnische Sozialistische Partei (Daschinski & Co.).



 

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